‚Was ist geschehen, dass es ihr soviel bedeutet, ihre Brüder fern ab eines Schwertes zu sehen?’
Gern hätte er mehr über Aeluin erfahren. Doch war es offensichtlich, dass er besser daran tat, Areros nicht zu drängen. Die Zeit würde Antworten bringen.
„Das sehen wir wohl aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aber du hast deine Gründe, und die zweifle ich nicht an. Solltest du jedoch einmal die Lust verspüren, dein Geschick zu testen, dann komm zu mir.“
Leyron machte einen Schritt nach vorn und deutete Areos an ihm zu folgen.
„Lass uns nachsehen, ob es bereits Abendessen gibt. Andirana versprach mir, etwas von der letzten Mahlzeit aufzuheben und so langsam meldet sich das Verlagen danach.“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Areros war froh, dass Leyron seine Antwort akzeptierte und nicht weiter in ihn drang. Vielleicht würde er tatsächlich irgendwann mit Leyron die Schwerter kreuzen und dann würde er es Leyron nicht leicht machen. Areros musste grinsen.
„Es ist noch etwas zeitig und das Abendbrot wird wohl gerade erst vorbereitet. Aber wenn wir uns ganz demonstrativ in die Küche setzen, arbeiten die Frauen vielleicht schneller. Oder sie erbarmen sich und geben uns zumindest einen Apfel.“
Gemeinsam gingen die beiden jungen Männer und durch ihre dunklen Haare wehte eine leichte Brise. Es gab wohl kaum ein Mädchen in der Umgebung, die sich von diesem Anblick hätten wegdrehen können. Die Entscheidung für einen von beiden, wäre bestimmt nicht leicht gefallen. Beide waren schöne Männer, deren Kraft aus ihrem Gang sprach. Areros überzeugte durch seine ebenmäßigen Züge, seine grünen Augen und seine sanfte Art, die so gar nicht zu seinem kraftvollen Wesen passen wollte.
Leyron hingegen hatte ein raueres, männlicheres Aussehen. Einer, der keinen großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte (im Gegensatz zu Lundor) und den es nicht störte, wenn sein Haar nicht ordentlich gekämmt war oder das Hemd nicht perfekt in der Hose saß. Das würde einen potentiellen Gegner nicht interessieren. Und die Frauen, die sich davon vielleicht hätten abschrecken lassen (was aber selten vorkam), die hätte er durch seinen unwiderstehlichen Charme, seine Anziehungskraft und sein Grinsen von sich überzeugen können.
In der Küche
Gemeinsam betraten sie die Küche, die noch fast leer war. Nur Andirana war da und schaute gerade nach, ob die Brote im Ofen schon fertig waren. Jeden Tag buken sie zehn Brote, um die hungrigen Mäuler der Großfamilie stopfen zu können. Nur selten blieb etwas übrig, denn die Brote schmeckten einfach zu gut und die Männer mussten hart arbeiten. Zum Glück hatten sie keine Sorgen und konnten sich diesen Luxus von frischen Brot leisten.
Areros gab Andirana als er eintrat einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr zu: „Er hat Hunger. Meinst du, wir haben etwas für ihn?“
Andirana lächelte schelmisch und flüsterte zurück: „Ich könnte Aeluin suchen … Sie würde bestimmt seinen Hunger stillen können … Arendir hat mir etwas von einem Kuss erzählt?“
Es war offensichtlich, dass Andirana gern erfahren hätte, was es mit diesem ominösen Kuss ihrer Schwester auf sich hatte. Ihre Kinder hatten zwar den Kuss gesehen, aber waren sich der Bedeutung gar nicht bewusst. Andirana kannte hingegen ihre kleine Schwester und wusste, welche Männer sie bisher geküsst hatte. Doch nie zuvor hatte sie sich von einem Mann schon nach nicht einmal zwei Tagen küssen lassen.
„Ja“, wisperte Areros ihr zu. „Ich erzähle dir später davon.“ Mit lauterer Stimme sagte er: „Du meinst also, wir müssen warten, bis du mit den Vorbereitungen fertig bist?“
Ich könnte Aeluin suchen … Sie würde bestimmt seinen Hunger stillen können … Arendir hat mir etwas von einem Kuss erzählt?„Ja, mein Lieber. Extrawürste fangen wir hier gar nicht erst an. Wenn ihr beiden zum Mittag nicht da wart, dann habt ihr wohl Pech gehabt. Es dauert aber nicht mehr lange. Ihr könnt euch ja etwas Obst holen.“
Areros wandte sich zu Leyron um, ob er einen Apfel vom letzten Herbst essen wollte. Doch in diesem Moment trat Aeluin in die Küche und blickte ihn erfreut an. Doch als sie ihren Blick weiter durch die Küche schweifen ließ, begegnete ihr der Blick Leyrons und sie erstarrte.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)
Als Leyron hinter Areros das Haus und kurz darauf die Küche betrat, drang ihnen bereits der Duft von frisch gebackenem Brot entgegen. Leyron sog ihn genüsslich ein. Das Leben in solch einer Familie hatte durchaus einige schöne Seiten zu bieten.
Er überließ es Areros, seine Schwester zu fragen, wann die Vorbereitungen für das Abendessen abgeschlossen sein würden. Ihre Antwort war eindeutig und durchaus verständlich. Gerade als Leyron auf Areros Frage nach einem Apfel zu einer Antwort ansetzen wollte, betrat Aeluin die Küche.
Sofort wanderte Leyrons Blick zu ihr und blieb einen längeren Moment auf ihr ruhen. Das grüne Kleid unterstrich erneut ihre strahlenden grünen Augen, die ihn magisch anzogen. Er lächelte sie an, doch Aeluin wich seinem Blick aus.
Auch als er sie mit freundlichen Worten ansprach, hatte sie kaum mehr als ausweichende Antworten parat, so dass er sich dann doch wieder an Areros wandte und sich einen Apfel zu werfen ließ. Er musste sich eingestehen, dass ihn ihre abwehrende Haltung störte. Denn er konnte nicht verstehen, wie sie wegen eines Spiels nun so verbohrt war. Aber er wusste auch, wann er aufhören sollte, jemandem zu etwas zu drängen und so beschloss er nun, sie vorerst zu ignorieren.
Stattdessen unterhielt er sich mit Areros und Lugreda, die kurz nach Aeluin in die Küche gekommen war. Lugreda deckte den Tisch und Leyron saß ihr dabei im Weg. Es folgte ein kurzes aber lustiges Wortspiel, ehe Leyron sich erhob und einen neuen Platz im Türrahmen einnahm.
Die jungen Frauen hatten ihre Arbeit recht schnell beendet. Kaum, dass sie das frische Brot auf den Tisch stellen, gesellten sich auch die restlichen Familienmitglieder dazu, angeführt von Damrod. Der Kleine brachte Leyron mit seiner Neugierde und den lustigen Antworten, die er auf die meisten Fragen hatte, zum Schmunzeln.
Er hätte der Bitte des Jungen, sich neben ihn zu setzen nachgegeben, doch es war Arendor, der ihm zu vorkam und ihn an seine Seite bat. So ließ sich Leyron neben dem Hausvorsteher nieder, ebenso wie Aeluin, die auf der anderen Seite ihres Vaters Platz nahm.
Erneut versuchte er, einen freundlichen Blick von ihr zu erhaschen, doch auch diese Mal verwehrte sie ihm ein Lächeln.
Während des Mahls (Leyron und Areros genossen den deftigen Eintopf vom Mittag und griffen auch beim frischen Brot ordentlich zu) ging es erstaunlich leise zu. Als dann jedoch die Erwachsenen das Essen beendet hatten, begannen die Tischgespräche, an denen sich Leyron gerne beteiligte.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Da war Lundor doch wirklich eingeschlafen. Aber irgendwie munterte ihn das nicht. Als er die Augen wieder aufschlug, hatte er keine Ahnung wie lang er hier gelegen und geschlummert hatte. Aber nach der Sonne zu urteilen ging es bereits auf den Abend zu.
Der junge Mann rappelte sich langsam auf, um zurück zum Hof zu kommen. Er sollte sich wirklich beim Abendessen sehen lassen. Schließlich hatte er schon das Frühstück und das Mittagessen verpasst. Er klopfte sich die Erde und die Grashalme von der Hose und band sich seine Haare nach hinten. Dann ging er kurz ans Wasser um sich das Gesicht zu waschen. Das kalte Wasser tat wirklich gut. Es war nicht gar so kalt wie das Brunnenwasser gestern im Eimer, in welchen Areros seinen Kopf gesteckt hatte. Hey, das war eine Erinnerung... Langsam kamen ihm so manche Bilder wieder ins Gedächtnis.
So schnell es ihm möglich war, trat er den Heimweg an.
Auf dem Hof beim Abendessen
Im Speisezimmer saßen schon fast alle beisammen als Lundor hinzu trat und sich schweigend auf dem freien Platz neben Lendil niederließ. Dieser grinste ihn schadenfroh an, aber selbst Lundor musste zurück grinsen. Die Speisen wurden ausgegeben, aber Lundor begnügte sich mit einem Stück trockenem Brot, das er langsam und appetitlos kaute. Er hatte Angst etwas anderes nicht bei sich behalten zu können.
Lundor ließ den Blick schweifen. Leyron saß neben seinem Vater und warf seine Augen immer wieder auf Aeluin. Doch diese schien ihn zu ignorieren, so wie der junge Mann das deuten konnte. Als sich Lundors Blick kurz mit dem seiner Schwester kreuzte, schaute er schnell weg auf seinen Teller. Der gestrige Tanz war für beide nicht sehr schön ausgegangen. Zum einen bereute er seine Worte, doch konnte er es nicht rückgängig machen und er stand auch immer noch dazu. Aber er liebte seine Schwester und das wusste sie.
Lissuin drückte ihre Hände in den Rücken und streckte sich. Dan drehte sie sich zum alten Brock um, der Fischer gewesen war bevor ihm ein Unfall sein linkes Bein gekostet hatte. Seitdem arbeitete er als Tischler und Schnitzer und konnte seine Frau und sich damit ernähren, die Tochter hatte schon zwei Jahre vor dem Unfall geheiratet und war nach Erui gezogen. Brock hatte immer mal wieder Problem mit seinen Holzbein das er nun schon gut 15 Jahre besass.
" Vergiss nicht die Salbe, jeden Morgen und Abend aufzutragen, dann werden die wunden Stellen bald weg sein. Danke deiner Frau noch einmal für das wundervolle Essen. " - " Das werde ich Lissuin und komm morgen wegen der Holzschüsseln noch einmal vorbei. "
Lissuin hatte den ganzen Tag damit verbracht ihre jungen und alten Patienten zu Besuchen und zu schauen wie es ihnen ging, nur wenige brauchten wirklich ihre Hilfe. Die Alten wollten vorallem mit ihr reden und Neuigkeiten erfahren. Brock war nicht so, aber Lissuin genoss es seine Geschichten zu hören und mit seiner Frau über Kräuter zu reden. Außerdem war Brock, Beregils und Silvaens Nachbar und sie hatte sowieso vor ihn vor dem Abendessen bei Beregil zu besuchen. Nachdem Lissuin sich Brocks Bein angeguckt hatte und seiner Frau den mitgebrachten Weißdorn und das Lungenkraut gegeben hatte, hatten sie sich lange, auf der Bank vor der Tür sitzend, unterhalten und dazu Met getrunken. Jetzt wurde der Himmel langsam golden und würde sich in den nächsten Stunden, in einem herrlichen Farbenspiel, dunkel verfärben.
Lissuin verabschiedete sich von Brock und begab sich zu Beregils Haus.
Der Eintopf schmeckte Leyron wirklich gut. Er lobte die Frauen des Hauses für ihre Kochkünste und bedankte sich auch noch mal bei Arendor, das er ihm die Möglichkeit gegeben hatte diesen Künsten gewahr zu werden. Auf Lugredas Anraten hin probierte er auch noch von dem geräucherten Schinken und dem würzigen Käse.
Während sich über den Tisch hinweg unterhalten wurde sorgte Aeluin für einen neuen Krug Wein. Leyron folgte ihr einen Moment mit seinem Blick, dann jedoch wurde er angesprochen und reagierte auf Nirions Frage. Ehe er sich versah war er in ein Gespräch vertieft und konnte nicht mehr weiter darauf achten was Aeluin tat.
Erst einige Antworten später, er hatte inzwischen seinen Wein geleert, wanderte sein Blick erneut zu Aeluin, die gerade ihrem Vater Wein eingoss. Mit einem Lächeln reicht er ihr seinen Kelch und bat sie ihm ebenfalls nachzuschenken.
Aeluin errötete, als sie hörte, wie Leyron sie ansprach. Sie hatte gehofft, beim Abendessen so wenig wie möglich mit ihm Kontakt zu haben. Noch immer fürchtete sie, dass er sie für eine grausame Person hielt.
Sie schaute ihm in die Augen, um daraus zu lesen, was er dachte. Doch sie konnte seinem Blick nur einen kurzen Moment standhalten. Ihr Herz heftig schlug, als sie ihm den Kelch abnahm und ihm Wein eingoss.
Sie reichte ihm den Kelch zurück und versuchte ein zaghaftes Lächeln, doch als seine Hände ihre berührten, wurde sie plötzlich wieder an den Kuss erinnert und sie wandte sich schnell wieder von Leyron ab. Es brauchte eine ganze Weile, bis sie ihren Herzschlag wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte.
Leyron wurde aus Aeluins Verhalten nicht schlau. Nur kurz hatte sie seinen Blick erwidert und nun da sie ihm den Kelch wortlos zurück reichte, schenkte sie ihm zwar ein zaghaftes Lächeln, wandte dann aber ebenso schnell wie das Lächeln kurz gewesen war ihren Blick erneut ab.
Er wollte nicht dass die gesamte Familie darauf aufmerksam wurde. Wenn er sie auf ihr Verhalten ansprechen wollte, musste er auf einen vernünftigen Zeitpunkt warten an dem er sie alleine antreffen würde. Zuvor aber, musste er sich zurück halten und ihr weder mit weiteren Worten noch mit Blicken, denen sie auswich, begegnen.
Leyron hob seinen Kelch an die Lippen und trank einen Kräftigen Schluck. Sein Blick streifte Lundor, der appetitlos auf seinem Stück Brot herumkaut. Seine Hautfarbe, der Glanz seiner Augen und der mangelnde Hunger bei dem jungen Mann der am Tag zuvor beim Mittagessen ordentlich zugelangt hatte, ließen erahnen was ihn beschäftigte. Leyron schmunzelte.
“Ein rohes Ei direkt nach dem Erwachen wirkt Wunder, Lundor!“ sagte er und zwinkerten dem jungen Mann, der ihm gegenüber saß zu.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Natürlich bekam die gesamte Familie mit, dass sich Aeluin dem Krieger gegenüber mehr als merkwürdig verhielt aber sie kannten nun den Grund dafür nicht und es ging sie ja auch nichts an, was sich zwischen den Beiden abspielte. Aber Lundor fand es schon reichlich merkwürdig, hatte er doch gestern das Gefühl gehabt, seine Schwester würde Leyron anhimmeln oder zumindest so etwas in der Art.
Lendil neben ihm schien die mehr oder weniger wörtliche Kommunikation aber sehr zu interessieren. "Hör auf die beiden so anzustarren! Das ist unhöflich unserem Gast gegenüber," flüsterte ihm Lundor zu. Sein jüngerer Bruder grinste nur und widmete sich wieder seinem Eintopf.
Lundor sah von seinem Stück Brot auf, als er selbst von Leyron angesprochen wurde. Ein rohes Ei...? War an diesen Worten etwas Wahres dran oder wollte man ihn nur auf den Arm nehmen? Ein Ei in roher Form, würde er nur zu sich nehmen, wenn er wirklich kurz vorm Verhungern war. Kurz musterte er den Krieger. "Sind das die Worte eines Mannes mit Erfahrung?" Es gab sicher auch Krieger, welche mal einen über ihren Durst tranken. Im Moment halfen ihm die guten Ratschläge wenig.
Arendor schloss sich gerade mit Nirion kurz, aber Lundor konnte die Worte nicht verstehen. Wahrscheinlich berieten sie sich, welcher Zeitpunkt am günstigsten für den geplanten Ausflug war. "Und wann solls los gehen? ...Den Familienausflug mein ich." schaltet sich Lundor ins Gespräch der Älteren mit ein. "Ausflug?" drang es gleich von mehreren Seiten an sein Ohr. Okay, vielleicht hatte sein Vater bis jetzt doch nur ihm von dieser Idee erzählt. Die Kinder waren natürlich gleich Feuer und Flamme.
"Aufsflug! Ausflug!" rief Damrod, stellte sich auf seinen Stuhl und begann zu hüpfen, bis seine Mutter ihn wieder nach unten zog. Lundor grinste seinen kleinen Neffen an. Als Kind war er auch so ein kleiner Wildfang gewesen. Aber vielleicht war er das ja immer noch...
Arendor spürte, wie sich alle Augen auf ihn richteten. Er hatte nicht gedacht, dass seine kleine Notlüge so weite Kreise ziehen könnte. Doch da musste er nun durch.
Er räusperte sich. „Ja… Ich dachte, es wäre mal wieder an der Zeit, dass wir uns einen gemeinsamen Tag gönnen.“
Es bracht ein gewaltiger Begeisterungssturm aus. Die Familienausflüge waren die Höhepunkte im Jahr. Immer gab es etwas zu erleben und man konnte noch wochenlang davon schwärmen.
Arendor hob beschwichtigend die Hand. „Ruhe“, rief er laut und nach einigen Momenten war es tatsächlich einigermaßen still und er konnte davon ausgehen, dass die anderen ihn hörten.
„Es dauert noch eine Weile, bis der Ausflug stattfinden kann. Wir hatten heute schon einen freien Tag. Bis wir uns wieder einen gönnen können, muss hart gearbeitet werden.“ Er hoffte, dass die Familie das einsah.
Leyron hatte mit einem breiten Grinsen geantwortet, als Lundor kurz auf seine Aussagen reagiert hatte. Seine Worte hatten also doch richtig gesessen. Lundor veränderte verständlicher Weise ganz geschickt das Thema und mit einemmal war helle Begeisterung bei allen Anwesenden am Tisch zuerkennen. Von den Kindern bis hin zu den Großeltern schien sich jeder auf diesen Ausflug zufreuen, ohne das überhaupt feststand wann dieser stattfinden sollte.
Leyron schwieg zu dieser Angelegenheit. Zum einen ging es ihn nichts an und zum anderen kannte er so etwas nicht. Obgleich er sich durchaus vorstellen konnte, das Ausflüge wie dieser zu dem harmonischen Leben der Großfamilie beitrugen und vielleicht das diese ungewöhnliche Familie ausmachte.
Doch so angenehm es sich gerade auch anfühlte in Mitten einer solchen Familie aufgenommen worden zu sein für einige Zeit, für heute hatte er genug gegessen und gesprochen. Er hatte gehofft einen Augenblick ungestört mit Aeluin reden zu können, doch ihre Gesten während des Abendessens ihre erfolgreichen Versuche seinen Blicken auszuweichen, ließen ihn erahnen das seine Hoffnung auf ein vernünftiges Gespräch an diesem Abend, vergeblich war.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Arendor bemerkte die ungewöhnliche Stille, die Aeluin beim Abendessen umgab. Am Morgen noch war sie fröhlich gewesen, doch nun war diese Fröhlichkeit schon wieder verschwunden. Sie vermied es mit Leyron zu sprechen, was ihm sagte, dass etwas vorgefallen war. Leyron machte den Eindruck, dass er zwar mit Aeluin sprechen wollte, aber nicht wusste, wie er sie ansprechen sollte.
Arendor fragte sich, was vorgefallen war. Er kannte seine Tochter gut, aber auch Leyron war ihm vom Typ her nicht fremd. Arendor selbst war in seiner Soldatenzeit hinter jedem schönen Mädchen her gewesen und diese konnten ihm nur selten widerstehen. Doch nun war er in einer anderen Situation. Hier ging es um seine Tochter. Die, welche ihm am liebsten war. Erst jetzt fragte er sich, wie vielen Frauen er wohl das Herz gebrochen hatte oder ob er noch mehr Kinder als seine sechs hier versammelten hatte.
‚Es wäre ein Wunder, wenn es nur diese sechs gäbe’, dachte er überrascht. Zum weiteren Nachdenken kam er nicht, denn das Abendessen war zu Ende und Aeluin war aus dem Zimmer verschwunden, noch bevor Leyron die Möglichkeit hatte ein Wort an sie zu richten. Dass er das wollte, sah Arendor ihm an.
„Leyron“, sprach er ihn an und stand von seinem Platz auf. „Hast du schon etwas vor? Nein? Dann würde ich gern mit dir einen kleinen Spaziergang machen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er voraus und wartete erst vor dem Haus auf ihn. „Lass uns ins Dorf gehen.“
Im Dorf
Arendor führte Leyron auf dem kleinen Pfad zum Marktplatz. Von dort gingen sie zu allen Häusern des Dorfes. Arendor stellte Leyron vor und er erzählte ihm Geschichten von den einzelnen Dorfbewohnern. Zu jedem kannte er eine kurze lustige Geschichte, die dessen Charakter scharf umriss. Die Bewohner waren über Arendors und Leyrons Besuch erfreut und baten sie in ihre Häuser. Doch Arendor lehnte jedes Angebot ab und ging weiter zum nächsten Hof. Er fragte auch unauffällig die Männer nach, ob sie seine Anweisungen vom Vormittag befolgt hatten und erhielt nur positive Antworten.
Am Anduin
Als letzten Hof hatten sie die Mühle besucht und nun gingen sie den Weg am Anduin entlang, den in der vorherigen Nacht Areros in seiner Wut entlang gerannt war. Es war ein schöner warmer Sommerabend und Frieden lag über dem Ort.
„Nun Leyron kennst du alle unsere Dorfbewohner. Manche sind etwas einfältig, doch sie haben ihr Herz an der rechten Stelle. Sie leben gern hier in Anthara, es ist ihre Heimat. Ihre Nachbarn sind ihre Freunde und nur selten gibt es einen kleinen Streit. Doch den kann man schnell wieder aus dem Wege räumen.
Viele haben Nummenorisches Blut in sich. Ich hoffe, das kann ich wecken, wenn Anthara einmal in Gefahr ist.“
Arendor hielt inne. Er wollte nicht über die Gefahr eines Angriffs mit Leyron sprechen. Dafür war Zeit, wenn es tatsächliche Anzeichen dafür gab. Ihn interessierte Leyron – was für ein Mann er war und welche Absichten er verfolgte. Auch in Bezug auf seine Tochter.
„Du bist schon in Gondor und vielleicht auch in anderen Ländern herumgekommen. Was sagst du zu unserem kleinen Dorf? Gefällt es dir? Oder findest du es zu langweilig?“
Arendor hatte sich an das Flussufer gesetzt und schaute über den Anduin.
Als Arendor ihn nach dem Essen zu einem Spaziergang einlud, nahm er die Einladung an. Er folgte ihm durch das Dorf, von Haus zu Haus, lauschte den Anekdoten die er über die Menschen zu erzählen hatte, auch wenn er Anfangs nicht verstand weshalb Arendor diesen Weg gewählt hatte. Unterwegs jedoch erfuhr er, aus den Worten die Arendor mit seinen Freunden wechselte, neben seiner Vorstellung und Bekanntmachung, das der ältere Warnungen ausgesprochen hatte.
Leyron schwieg darüber. Er wollte nicht während ihres Rundganges durch das Dorf seinen Begleiter darauf ansprechen. Wenn es ihm auch später noch wichtig erschien, sollte sich durchaus ein geeigneter Zeitpunkt finden.
Das letzte Haus das sie besuchten, war die Mühle. Neben dem Müller der ihm vorgesellt wurde, erhaschte Leyron auch einen flüchtigen Blick auf Pantia.
Dankbar dafür nicht noch mehr Häuser aufsuchen zu müssen, ließ Leyron an Arendors Seite den Mühlbach hinter sich und folgte dem älteren Mann gegen die Flussrichtung den Anduin entlang, bis Arendor innehielt und sich niedersetzt.
Leyron trat neben ihn und blieb mit Blick auf das Wasser stehen.
Arendor richtete das Wort an ihn und gerade als er auf eine mögliche Gefahr zu sprechen kam und Leyron zu einer Antwort ansetzen wollte, wechselte er das Thema.
Verwundert blickte der jüngere zu seinem Begleiter, dieser jedoch wandte sein Augenmerk nicht vom Wasserspiegel ab. „Ich habe wahrlich schon viele Dörfer auf meinen Reisen durchquert, doch in kaum einem bin ich zu Beginn meines Erscheinens so freundlich aufgenommen worden wie in Anthara. Und das verdanke ich zu großen Teilen Dir Arendor.“
Er hielt einen Moment inne, dann ließ er sich neben Aeluins Vater nieder. Ihre Blicke kreuzten sich noch immer nicht. Leyron griff nach einem kleinen Stein und ließ ihn dann mit einer geschickten Handbewegung mehrmals auf dem Wasser aufkommen, ehe er in der Tiefe versank.
„Es ist keine Langweile die mich nach einigen Tagen oder Wochen weiter ziehen lässt. Es ist..“ noch einmal schwieg er einen Augenblick, um die Worte die ihm auf der Zunge lagen zu erst hinunter zu schlucken. Nein, er verließ nicht jedes Dorf weil ihn ein erboster Vater verjagte, oder junge Mägde zu Besitz ergreifend wurden. „ … mehr der Drang danach neues zu entdecken“, beendete er dann kurz darauf seinen Satz.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Arendor fasste Leyrons Gesicht kurz ins Auge und blickte dann mit einem seltsamen Lächeln wieder auf den Anduin. Es war das Lächeln, vielmehr ein Grinsen, das er vor vielen Jahren abgelegt hatte. Damals als er seine Frau Aelandra heiratete und keine Frauen mehr damit verführen wollte.
Er seufzte mit etwas Wehmut in der Stimme. „Ja, es ist wahr. Warum sollte man zulange an einem Ort bleiben, wenn man dort schon alles entdeckt hatte, was sich zu entdecken lohnte. Andere Orte haben auch ihren Reiz. Und vor allen Dingen schöne Mädchen.“
Arendor schloss die Augen und konnte fast den einen oder anderen Duft einer jungen Frau riechen, die ihn faszinierte und die er in seinen Armen halten wollte. Und er hatte alle in seinen Armen gehalten. Es gab keine die seinem Charme widerstehen konnte.
„Du siehst, ich mache dir keinen Vorwurf. Es kamen schon einige fremde durch unser Dorf, auch Krieger, die einen gewissen Reiz für das weibliche Geschlecht darstellten. Aber du hast das ganze perfektioniert.“ Arendor grinste breit. „Ich sehe es an den Augen der Frauen, die dir hinterher starren, ob sie verheiratet sind oder nicht. Und an den Männern, in deren Augen Neid und Eifersucht aufblitzen, obwohl sie zugeben müssen, dass du ein sehr angenehmer junger Mann bist, mit dem man sich gern unterhält.
Es ist nur ungewöhnlich die ganze Situation aus dem Blickwinkel eines Vaters und sozusagen „Dorfvorstehers“ zu sehen und nicht aus den Augen des Mannes, der sich die schönste Frau aussuchen kann.“
Leyron hatte schweigend zugehört. Irgendwas an der Art dieses Gespräch ließ ihn nachdenken. Es lag auf der Hand das Arendor ihn nicht ohne Grund zu diesem Spaziergang mitgenommen hatte. Zu Anfang hatte er noch fast befürchtet gehabt das Arendor ihn seines Hofe verweisen wollte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, das so etwas geschah, doch diesem Mal gab es nicht den geringsten Grund, hatte er sich doch weder Aeluin noch einer anderen Frau des Hofes genähert. Doch inzwischen hörte es sich eher so an als wolle er ihm anbieten für länger als nur ein paar Wochen, auf seinem Hof zu verweilen.
Er grinste nicht mehr, dafür aber schenkte Leyron dem älteren Mann an seiner Seite nun einen interessierten Blick, der ihn wissen lassen sollte das ihn durchaus daran gelegen war, zu erfahren was er zu erzählen hatte.
Leyron machte keinen Ansatz Arendor mit Worten zu unterbrechen und so sprach dieser weiter.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
„Ich war in meiner Jugend einmal genauso wie du. Ich zog von Dorf zu Dorf und verweilte dort mal länger oder mal kürzer. Je nachdem wie lange mich die Männer des Dorfes als ihre Konkurrenz zuließen oder nicht.“ Arendor grinste. Man sah ihm an, dass er diese Zeit ausgiebig genossen hatte und für andere Männer und Väter ein stetiger Dorn im Auge war.
„Und nun sitze ich hier, bin sesshaft geworden in diesem friedlichen Ort und der Vater von sechs Kindern.“ Er blickte Leyron grinsend von der Seite an. „Ein Abstieg in deinen Augen, was?“ Er drehte sich wieder zum Anduin und sagte mehr zu sich selbst:„In meinen Augen wäre es damals ein Abstieg gewesen. Warum sich mit einer Kirsche zufrieden geben, wenn in ganz Gondor, in Rohan, in ganz Mittelerde tausende Kirschbäume stehen? Sich von einer Frau einfangen lassen, die einen an einen Ort fesselt, mit Kindern überschüttet, während draußen eine Welt voller Abendteuer und Freiheit auf einen Mann wartet.
Und doch. Ich bereue keinen einzigen Tag meines sesshaften Lebens. Ich habe die Liebe einer wunderbaren Frau gewonnen, um deren Liebe ich jeden Tag neu kämpfen muss. Nein. Das ist falsch ausgedrückt. Ich muss, ich will die Liebe dieser einen Frau jeden Tag neu erobern, weil ich nicht glauben kann, dass sie auch nur einen Bruchteil von dem für mich empfindet, was ich für sie empfinde. Sie ist wie eine Elbin, während ich ein Ork und es nicht wert bin, sie auch nur anzusehen.“
Aus Arendors Worten sprach die starke Liebe, die er für Aelandra empfand und das Nicht-glauben-können, dass sie sich gerade für ihn entschieden hatte.
„Aelandra sieht das natürlich alles ganz anders. In ihren Augen ist sie nur eine normale Frau, die sich den besten Mann der Welt geangelt hat – das sind ihre Worte und nicht meine.“ Arendor lachte. „Der beste Mann. Eher der unwürdigste Mann in ganz Mittelerde, die Liebe einer solchen fantastischen Frau zu verdienen.“
Aeluin rannte nach dem Abendessen schnell aus der Küche. Zwar hätte sie eigentlich mit beim Aufräumen helfen müssen, aber sie ertrug es nicht länger mit Leyron in einem Raum zu sein. Was war das nur für ein schreckliches Gefühl – einerseits wünschte sie sich an seine Seite, dass er sie beachtete, sie anlächelte und andererseits wünschte sie sich weit weg von ihm, wo sie wieder klar denken konnte und nicht immer nur an ihn denken musste.
Aeluin stand am Fenster ihres Zimmers und sah, wie ihr Vater mit Leyron ins Dorf ging. Sie runzelte die Stirn. ‚Was hat Vater mit ihm vor?’
Doch dann drang Andiranas Stimme zu ihr hoch, welche sie bat, ihr beim Waschen der Kinder zu helfen. Das tat Aeluin sehr gern, denn mit den Kindern hatte sie immer viel Spaß. Sie ging hinaus auf den Hinterhof, wo schon der Waschzuber mit samt drei dreckigen Kindern stand. Im Sommer nutzten sie die Chance die Kinder draußen zu waschen. Denn diese plantschten immer mir so viel Enthusiasmus, dass der ganze Raum im Haus schwamm. Auch wenn Arendor den Boden extra mit gebrannten Ziegeln, denen er noch eine Glasur gegeben hatte, ausgelegt hatte, so war nahm er trotzdem die Feuchte auf und drohte Schimmel anzusetzen.
„Ah, Aeluin. Kannst du bitte die Kinder waschen? Ich würde gern Mutter beim Teig für die Brote helfen. Lugreda wird ihre zwei bestimmt auch gleich bringen.“ Andirana sah ihre Schwester bittend an. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie würde ihre Schwester ausnutzen, weil sie ihr so oft ihre Kinder abtrat. Doch Aeluin lächelte sie an und nickte. Andirana gab Aeluin einen Kuss auf die Wange und verschwand im Haus.
„Mann oh Mann. Seht ihr aber heute wieder dreckig aus! Wie schafft ihr das nur immer?“ mit gespielt verzweifeltem Gesicht, wandte sich Aeluin an Andiranas Kinder. Aber ihre Augen leuchteten wie eh und je fröhlich. Sie überlegte einen Augenblick, ob sie wie jeden Tag ihr Kleid ausziehen sollte, weil es beim Waschen immer nass wurde. Doch sie wollte nicht, dass Leyron sie nur im Unterkleid sah, falls er plötzlich zurückkehren würde. Er hatte heute schon viel mehr von ihr bekommen, als er hätte bekommen dürfen.
„Wie wäre es, wenn wir heute mal einen Versuch machen: Ihr bemüht euch keinen Tropfen Wasser über den Wannenrand zu lassen.“ Aeluin kniete sich vor den Zuber und begann Nenia zu waschen. Doch keine zehn Sekunden später ließ Arendir seine beiden Arme auf die Wasseroberfläche platschen und übergoss Aeluin mit einer Fontäne.
Aeluin wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie wischte sofern es ihr mit ihren nassen Händen gelang, das Wasser aus ihrem Gesicht und betrachtete mit sorgenvollem Blick ihr Kleid. Es war vom Hals bis zu ihren Oberschenkeln durchtränkt und ließ ihre Körperkonturen nun sehr deutlich hervortreten.
‚Dann hätte ich auch das Kleid ausziehen können’, dachte Aeluin. ‚Nur wäre da der Stoff auch noch durchsichtig, wenn er nass ist.’
Mit einem leicht bösen Blick wandte sie sich an Arendir, der frech grinsend im Zuber saß. Dann legte sie schnell ihre Hand auf seinen Kopf und drückte ihn für einen Moment unter Wasser. Prustend kam Arendir wieder an die Oberfläche. Er schaute leicht erschrocken, doch sagte er frech: „Na und. Ist mir doch egal. Das war überhaupt nicht schlimm!“
Aeluin seufzte nur und fuhr damit fort Nenia zu waschen. Gerade, als sie damit fertig war, kam auch Damrod mit Diranion im Schlepptau an. Er sah Aeluin prüfend von oben bis unten an und sagte dann: „Du bist ganz nass!“
Aeluin konnte nicht anders und fing an zu lachen. „Du bist ein ganz schlauer Junge, Damrod. Gut, dass du es mir sagst, mir ist es noch gar nicht aufgefallen! Zieh dich aus und dann ab mir dir in den Zuber. Komm Diranion, ich helfe dir.“
Sie streckte die Arme aus und der kleine Diranion kam mit immer noch wackeligen Schritten auf sie zu und ließ sich in ihre Arme fallen. Ihn störte es gar nicht, dass Aeluin nass war. Er hatte nun die Chance mit seiner Tante zu kuscheln und das nutzte er aus. Aeluin lächelte und gab Diranion einen Kuss auf sein dunkles Haar. Dann drückte sie ihn fest an sich und wiegte ihn hin und her. Sie wusste, dass Diranion gern in ihrer Nähe war und oft ihre Geborgenheit suchte. Für ihn war es wichtig, ihren Schutz zu spüren und für Aeluin war es wichtig ihm diesen Schutz zu gewähren.
Nach einer Weile – Damrod war schon längst in den Zuber geklettert und plantschte gemeinsam mit den anderen – fragte Aeluin Diranion: „Na mein Kleiner, willst du auch mit ins Wasser?“ Sie beugte sich ein wenig zurück, damit sie in Diranions Gesicht sehen konnte. Er konnte noch nicht viel sprechen, sondern brabbelte bisher immer noch in seiner Babysprache. Doch in seinen Augen konnte man ablesen, was er mochte und was nicht.
Er schien nichts mehr dagegen zu haben, sich waschen zu lassen. Er ließ sich ohne murren ausziehen und vorsichtig in den Zuber setzen. Für ein paar Momente waren die anderen Kinder still und hörten auf sich zu boxen, doch lange hielten sie es nicht aus. Anders war es ja auch viel lustiger.
Aeluin passte auf Diranion auf, damit er nicht unter Wasser geriet. Sie wusch ihn schnell und geschickt. Dann hielt sie ihn noch für eine kurze Weile fest, damit er auch die Chance hatte, das Bad im Zuber zu genießen. Schließlich hob sie ihn aber wieder aus dem Zuber und setzte ihn auf eines der frischen Tücher, welche Andirana ihr schon zurecht gelegt hatte. Sie trocknete ihn ab und liebkoste ihn immer wieder, in dem sie ihn auf die Nasenspitze, seine Brust oder seinen Po küsste. Bevor sie ihm ein dünnes Hemdchen über den Kopf zog, hielt sie ihm die Arme fest, weil er sich schon in Vorfreude auf das nun Kommende krümmte und seinen Bauch bedecken wollte. Aeluin grinste ihn frech an, setzte ihren Mund auf Diranions Bauch und pustete los. Diranion bog sich vor lachen, wünschte sich einerseits, das es aufhörte, wünschte es sich aber gleich noch mal. Aeluin erfüllt ihm den Wunsch, zog dann sein Hemdchen über den Bauch und setzte ihn auf ein trockenes Tuch, in der Hoffnung, er würde nicht weglaufen und sich wieder dreckig machen.
Doch da kam Lugreda und sie nahm sich ihren jüngsten und brachte ihn ins Haus. Im Schnelldurchlauf wusch nun Aeluin noch Arendir, Lereda und Damrod. Nenia war inzwischen aus dem Zuber herausgeklettert, hatte sich selbstständig abgetrocknet und war noch einmal aufs Örtchen gegangen.
Damrod trocknete Aeluin als Letzten ab. Er genoss es sichtlich, nun die ganze Aufmerksamkeit seiner Tante zu haben. Er betrachtete seine Tante genau und sagte sich, dass sie wirklich sehr schön war. Eigentlich hatte er vor, sie einmal zu heiraten. Doch er wusste, dass er viel zu jung dafür war. Ob Leyron zu ihr passte? Damrod mochte ihn. Er war ein Krieger und mutig. Er hatte heute sogar mit ihnen gespielt. Auch wenn seine Tante ihn besiegt hatte. Das sollte ein Mann eigentlich nicht mit sich machen lassen. Schließlich waren sie stärker. Aber seine Tante Luin sollte auch niemand weh tun. Damrod war sich sicher, dass Leyron ihr sehr toll weh tun könnte, wenn er es wollte. Deshalb war es wohl besser, wenn sie auch mal einen Kampf gewann.
„Du, Tante Luin?“, begann Damrod. „Stimmt es, dass dir Leyron nicht egal ist?“
Aeluin seufzte. ‚Wird Damrod denn nie mit Leyron aufhören?’
„Was meinst du damit, dass er mir nicht egal ist? Mir ist kein Mensch egal!“ antwortete sie ihm.
„Leyron hat das gesagt. Er sagte, dass er dir weit weniger egal ist, als du sagst.“
Aeluins Herz schlug plötzlich einen Tick schneller.
„Stimmt das?“ bohrte Damrod nach.
„Er … Er ist ein netter Mann …“ Aeluin suchte nach Worten, die Damrods Neugierde befriedigten, aber keine falschen Gedanken in ihm weckten.
„Wirst du ihn heiraten?“
„Nein Damrod.“
„Aber er hat gesagt, dass er dich heiraten will.“
„Wann?“ Aeluins Herz schlug schneller. Hatte Leyron wirklich gesagt, dass er sie zur Frau wollte? Das widersprach allem, was sie von ihm hielt.
„Na gestern, als er hier angekommen ist. Er sagte, dass er dich nicht auf der Straßen heiraten könnte und deshalb schnell zu Opa wollte.“ Damrod wunderte sich immer wieder, die Erwachsene manche Dinge so schnell vergessen konnten.
In Aeluin machte sich ein leichtes Gefühl der Enttäuschung breit.
„Ach so das“, sagte Aeluin mit leicht enttäuschter Stimme. „Hör mal zu Damrod. Leyron hat nur einen Scherz gemacht. Er ist nicht her gekommen, um mich zu heiraten. Er will hier arbeiten, um Geld zu verdienen. An mir hat er gar kein Interesse. Bald wird er wieder aus Anthara weggehen.“
„Warum will er wieder von hier weggehen? Er hat doch zu Onkel Areros gesagt, dass er dich hübsch findet und dass du ihm gefällst. Warum will er dich dann nicht heiraten?“
Während Aeluin noch überlegte, wie viel Wahrheit an Damrods Worten diesmal war, dachte auch Damrod einen Moment nach.
„Du solltest etwas netter zu ihm sein. Du könntest ihn doch jeden Tag mindestens fünf Mal küssen. Ich glaube, das hat ihm gefallen. Er hätte dich bestimmt noch weitergeküsst, wenn du ihn nicht gefesselt hättest.“
Damrod sprach mit so großem Ernst, dass Aeluin sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Du spinnst, Damrod“, sagte sie und küsste Damrod auf die Stirn. Dann zog sie ihm das Hemd über den Kopf und pustete noch auf seinem Bauch, so dass er laut los kicherte.
„Das könntest du auch bei Leyron machen. Dann würde er dich bestimmt heiraten“, rief Damrod unter Glucksen.
„Ja – das werde ich mal ausprobieren!“ kicherte Aeluin zurück. Sie stellte sich vor ihrem inneren Auge Leyron vor, der sich vor Lachen krümmte, wenn sie auf seinen Bauch pustete. Doch dann sah sie seinen durchtrainierten Körper vor sich und beschränkte sich nicht mehr auf das Pusten. Ein paar Momente lang gab sich dieser Fantasie hin.
Dann merkte sie, wie Damrod ohne Schuhe zur Toilette wollte. Sie hielt ihn an und zog ihm seine Schuhe an. Als alle Kinder weg waren, stieß sie mit einiger Anstrengung den Zuber um. Das Wasser war zu dreckig, als das sich einer von den Erwachsenen noch hätte darin waschen können.
Dann ging sie ins Zimmer von Lugreda, wo mittlerweile alle Kinder versammelt waren. Lugerod war da und erzählte ihnen einen kurzen Teil einer spannenden Geschichte. Wie gebannt sahen die Kinder zu dem alten Mann auf.
Als er fertig war und allen Gute Nacht gesagt hatte, blieb Aeluin mit den Kindern allein. Lugreda hatte auch Andiranas Kinder in ihrem Zimmer für die Zeit aufgenommen, in der Dirios nicht da war. Den Kindern machte das gemeinsame Schlafen mehr Spaß und Andirana und Nirion konnten ihr Eheleben ungestörter genießen.
Die Kinder hatten sich ins Bett gelegt und zugedeckt. Aeluin setzte sich jeden Abend an ein anderes Bett. Heute war Lereda dran. Während sie sie streichelte begann sie mit ihrer schönen und beruhigenden Stimme ein Lied zu singen. Es war ein langes Lied und handelte von einer Elbin und einem Elben, die vor langer Zeit in Mittelerde lebten.
Meistens blieben die Kinder nur bis zur Hälfte wach, aber Aeluin sang trotzdem das ganze Lied bis zu Ende. Sie ging noch einmal von Bett zu Bett, gab jedem einen Kuss und ging leise aus dem Zimmer.
“Du hast eine wundervolle Frau Arendor. Ebenso wie dir sieht man ihr an das sie glücklich ist und die Wahl die vor vielen Jahren getroffen worden ist die richtige gewesen war. Die Harmonie in der eure Familie lebt ist ein besonders wertvolles Gut, dessen bin ich mir sicher.“
Leyron überlegte ob es zwischen Arendor und ihm wirklich so viele Gemeinsamkeiten gab wie der Mann glaubte. Liebe. Was war Liebe? Was bedeute es zu lieben? Einmal hatte er geglaubt so etwas wie Liebe zu empfinden. Ja…. Damals. Doch war es wirklich das gewesen was Arendor ihm gerade beschrieb? Sicher… er wäre für sie gestorben. Er hatte alles riskiert und letztendlich doch verloren. Aber nun im nach hinein betrachte, war es wohl besser so gewesen. Was konnte er einer Frau bieten, neben seinen Qualitäten zwischen den Laken? Aeluin war das beste Beispiel. Sie würde niemals akzeptieren das seinen Waffen zu ihm gehörten genauso wie Hemd und Hose. Immer in der Gefahr leben nicht mehr nach Hause zu kommen, wenn er den je eines finden würde, das ihn immer wieder zurückziehen konnte.
Nein, so etwas wie Liebe, sesshaft werden… das war nichts für ihn.
“Wie hast du Aelandra kennen gelernt? Jene Frau die dich, wenn ich deine Worte richtig verstanden habe, zu dem gemacht hat, was du nun bist?“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
„Auf die Liebe war ich überhaupt nicht gefasst. Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich hatte wohl bemerkt, dass die Frauen hier und da gern gehabt hätten, dass ich da bliebe – und nicht nur, weil ich ein so guter Verführer war.“
Arendor zwinkerte Leyron zu.
„Aber für mich war das nichts. Frauen bedeuteten für mich eine willkommene Abwechslung zum Alltag. Ihre weiche Haut. Ihre Rundungen. Der Reiz des Verbotenen. Und die Auswahl war riesengroß. Warum sollte ich so dumm sein und das für eine Frau aufgeben?
Das dachte ich auch an dem Abend, als ich Aelandra das erste Mal sah. Ich war gerade fünf Tage in einem neuen Dorf, um mir dort Tricks von einem guten Bauern abzuschauen. Dann war ein Dorffest, ähnlich wie das gestern Nacht. Es waren viele Leute gekommen, auch aus den Nachbardörfern und die Auswahl an Mädchen war durchaus nicht zu verachten. Da sah ich Aelandra. Sie war durchaus nicht die Schönste auf dem Fest und trotzdem hatte ich mich auf sie versteift und sie sollte die Frau für diese Nacht oder vielleicht noch für ein paar Nächte mehr werden.
Ich ging auf sie zu und der junge Mann, mit dem sie gerade sprach, verschwand schnell, als er mich sah. Er sah wohl ein, dass er gegen mich keine Chance hatte. Dabei hatte ich wohl eher gegen ihn keine Chance. Denn das machte Aelandra mir schnell klar. Sie lehnte meinen Wunsch zu tanzen rundweg ab. Meine Hand, die mit ihren blonden Haaren spielte, schlug sie heftig von sich weg und ihre Augen blitzten mich an.
Es gab immer mal wieder Frauen, die sich zuerst heftig zierten, aber irgendwann gaben sie nach. Das war immer sehr reizvoll und ich dachte, bei Aelandra wird das nicht anders sein. Ich versuchte den einen oder anderen Trick bei ihr, ihren Widerstand zu brechen. Aber sie blieb eisern. Ihre Augen sahen mich nur kalt und eine Spur mitleidig an, als sie zu mir sprach. Ihre Worte behielt ich in meinem Gedächtnis.
‚Was glaubst du, wer du bist? Oder vielmehr, wer glaubst du bin ich? Eine Frau, die sich dir hingibt, wie so viele vorher? Nein, danke. Aber es gibt hier viele Frauen, die sich gern in dein Bett legen wollen. Geh doch zu ihnen und lass mich in Ruhe.’
‚Was soll ich denn machen, dass du mich nicht wegschickst? Ich ändere mein Leben für dich!’ Einen platteren Spruch konnte ich nicht sagen.“ Arendor musste bei der Erinnerung daran grinsen.
‚Was du tun musst? Werde ein Mann! Benutz die Frauen nicht, um deine Lust zu befriedigen. Behandle sie, als wären sie Menschen und nicht nur dafür geschaffen, um dir ein paar schöne Stunden zu bereiten. Eine Frau ist kein Lustobjekt. Sie will lieben und nicht nur geliebt werden. Ich meine, körperlich geliebt werden. Bei Liebe geht es nicht nur um das Versinken in der Trunkenheit des Glücks. Es geht darum, dass du auf dein Wohl zu Gunsten des anderen verzichtest. Bei Liebe geht es immer zuerst um den anderen und nicht um sich selbst. Ihre Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse gilt es zu befriedigen und nicht deine eigenen.’
Sie tippte mir auf die Brust und sagte: ‚„Sie“ ist das Ziel. Ausschließlich sie. Dann wird auch sie deine Wünsche und Bedürfnisse erfüllen. Aber du hast wohl keine Ahnung von Liebe.’
Ich muss sie angestarrt haben wie ein Trottel. Ich hatte nur die Hälfte von dem verstanden, was sie gesagt hatte. Aber mit einem hatte sie wohl Recht. Von der Liebe hatte ich keine Ahnung. Sie ließ mich einfach stehen und ich zuckte mit den Schultern. Es gab noch andere Frauen auf dem Fest und ich vergnügte mich wie immer.
Aelandra war nur zu Besuch bei ihrem Onkel gewesen und fuhr einige Tage später mit dem Pferdewagen wieder ab. Ich sah sie nur aus der Ferne und hatte nicht mehr das Bedürfnis mit ihr zu sprechen. Sie würde nur wieder solche unverständlichen Dinge sagen und etwas von Männern verlangen, wozu sie gar nicht in der Lage waren. Liebe war etwas für Frauen mit ihren wirren Gedanken. Das hatte ich so für mich festgelegt.
Aber ihre Worte gingen mir nicht aus dem Sinn und sie verfolgten mich. Ich verlor die Lust an Frauen, weil ich sie in meiner Vorstellung immer Aelandras Worte wiederholen hörte. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fuhr zu ihrem Dorf. Hier nach Anthara. Ich wollte ihr sagen, dass das alles Unsinn war, was sie gesagt hatte. Dass das die Ideale einer Frau seien, die in einer Traumwelt lebte.
Doch als ich sie sah, wie sie in ihrem dunkelblauen Kleid auf dem Hof die Hühner fütterte … Ich weiß nicht. Alles andere kam mir unwichtig vor. Es gab nur sie, in ihrem blauen Kleid und die Schüssel mit dem Hühnerfutter. Sie sah mich an, mit ihrem kalten Blick und wandte sich einfach wieder den Hühnern zu. Ich hätte alles dafür gegeben, wenn ich in diesem Moment ein Huhn gewesen wäre.“
Arendor lachte schallend. Doch aus seiner Stimme konnte man hören, dass er tatsächlich den Wunsch verspürt hatte.
„Verliebte Männer sind die größten Trottel auf der Welt. Ich frage mich, warum die Frauen auf sie hereinfallen. Sie können doch nicht im Ernst einen Mann wollen, der kein gescheites Wort aus seinem Mund bekommt und nur herumstottert. Der seine Gefühle nicht ausdrücken kann, die ihn ganz plötzlich durchströmen und die er nicht versteht.“
Arendor schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Aelandra beachtete mich an diesem Tag nicht. Auch am nächsten nicht und auch nicht die folgenden Wochen, obwohl ich am Hof ihres Vaters arbeitete. Sie ließ mich ganze sieben Monate zappeln und in meiner Verzweiflung schmoren. Später hat sie mir gesagt, dass es für sie nicht leicht war. Aber sie wollte und musste wissen, ob ich es ernst meinte oder ob ich wieder weiterziehe. Ich kann es ihr nicht verdenken. Oft hatte ich den Gedanken sie einfach hier in Anthara zu lassen und mich wieder anderen Frauen zuzuwenden, die mich nicht links liegen ließen.
Aber ich wollte nur sie. Sie sollte mich beachten. Ich wollte ihr alle Wünsche erfüllen, die sie hatte. Ihr hätte ihr die Sterne vom Himmel geholt, wenn sie mich dafür nur einmal angelächelt hätte. Für einen Kuss von ihr hätte ich mich nach Mordor hineingetraut und wäre dem Namenlosen persönlich gegenüber getreten.
Ich kann froh sein, dass sie mich letztendlich doch noch erhörte und ich nicht nach Mordor gehen musste.“ Anrendor lächelte. Das Glück strahlte regelrecht aus seinem Gesicht.
„Von da an begannen meine glücklichsten Jahre. Aelandra schenkte mir ihre Liebe und nach und nach sechs wunderbare Kinder.“
Anrendor hielt inne und lächelte versunken. Er erinnerte sich an die Momente, in denen er seine Kinder das erste Mal auf dem Arm hatte. Das Glück gemischt mit der Furcht, etwas falsch zu machen oder das Kind nicht beschützen zu können.
Er riss sich wieder aus seinen Gedanken heraus.
„Entschuldige Leyron. Ich bin wohl nun doch alt geworden und versorge die Jugend mit Geschichten, die sie nicht interessieren.“
Arendors Art zu erzählen fesselte sogar Leyron. Er konnte sich recht gut vorstellen wie Arendor als junger Mann gewesen war und wie schwer Aeleandras es ihm gemacht haben musste. Aeluin war eindeutig ihre Tochter.
Beide waren sie sehr willensstarke Frauen. Leyron lächelte.
“Ich hab bei weitem langweiligere Geschichten gehört Arendor. Nein, lass mich ehrlich sein. Ich fühle mich geehrt, das du mich hast teilhaben lassen an einem Teil deines Lebens.“ Leyron nickte Arendor anerkennend zu.
“Aeluin ist ihrer Mutter sehr ähnlich “ sagte er eher beiläufig. Es gab noch etwas anderes das Leyron interessierte. Er konnte das Alter von Arendor nur vermuten, doch wenn er richtig lag dann glaubte er nicht daran einen einfachen Reisenden vor sich zu haben. Areros hatte am Nachmittag von seinem Großvater erzählt. Was lag näher, als das auch Arendor Soldat gewesen war? “Du warst kein gewöhnlicher Reisender Arendor, nicht wahr?“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Arendor hatte das Wort aufgeschnappt, dass ihn zu dem Thema brachte, was ihn am meisten interessierte. Leyrons Interesse an Aeluin. Für Anrendor war es klar, dass Aeluins Schönheit Leyron nicht kalt lassen würde. Sie war ein lohnenswertes Objekt jeder männlichen Begierde und für einen Mann wie Leyron musste es schwer sein, seine Finger von ihr zu lassen.
Doch nun dachte er nicht an Leyrons Gefühle, sondern an seine eigenen. Er war der Vater dieser begehrenswerten jungen Frau und er liebte sie über alles. Arendor würde nicht zulassen, dass ein Mann ist verletzte.
„Vielleicht ist Aeluin ihrer Mutter wirklich ähnlich. Bisher sind mir nur die Ähnlichkeiten zu meinen Eltern aufgefallen. Aber den Dickkopf was Männer betrifft und diese zur Verzweiflung treiben – ja das hat sie wohl von ihrer Mutter.“ Arendor musste lachen.
„Sie hat dich wohl auch schon zur Verzweiflung getrieben, hmm?“ Arendor schaute kurz zu Leyron, aber dieser starrte nur geradeaus auf den Anduin. „Du brauchst mir darauf keine Antwort zu geben. Mir ist klar, dass du sie … schön findest. Ich wäre wohl auch ein wenig enttäuscht, wenn es nicht so wäre. Schließlich ist sie eine wunderschöne Frau. Sie sieht meiner Mutter unglaublich ähnlich. Ich habe nur noch wenige frühe Kindheitserinnerungen, aber ich weiß, sie hatte ebenso schönes dunkles Haar und ihre leuchtenden grünen Augen schauten mich mit der gleichen Wärme an.“
Wieder versank Arendor für einen kurzen Moment in lang zurückliegenden Erinnerungen. Dann seufzte er.
„Ich muss gestehen, dass sie mir das liebste Kind von allen ist. Väter sind ja sowieso immer auf ihre Töchter fixiert. Aber Andirana und Lugreda kommen nach ihrer Mutter. Sie sind beständig und sind mit dem zufrieden, was sie haben. Aeluin hat Ideale, sehr hohe Ideale und sie hat meinen Sturrschädel und ist nicht bereit auch nur einen Fuß davon abzuweichen.“
Anrendor wandte sich zu Leyron um und sagte in vertraulichem Ton: „Oder sie führt mich die ganze Zeit an der Nase herum und tut nur so, als suche sie den idealen Mann. Bei Aeluin ist das auch möglich. Es würde ihr großen Spaß machen, ihren armen alten Vater mit einem Ehemann zu schocken, der rein gar nichts mit ihren Idealen zu tun hat. Zum Beispiel ein trinkender Taugenichts, der noch dazu humpelt … Oh ja, sie würde über mein entsetztes Gesicht lachen und dann hoffentlich sagen: ‚Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich so einen Mann nehmen könnte. Ich will doch nur einen, wie dich!’
Ich gebe zu, ich werde mich nur schwer von ihr trennen können. Aber sie ist alt genug und hätte schon mindestens drei Kinder haben sollen. Oder zumindest einen Mann ins Auge fassen können. Doch sie behandelt alle gleich gut und beachtet keinen Mann mehr als einen anderen. Eigentlich findet sie an jedem etwas auszusetzen. Besonders Krieger, die es hier in Gondor ja wie Sand am Meer gibt, lehnt sie ab.
Das liegt wohl zum größten Teil an meiner Erziehung, aber es muss noch etwas mehr dahinter stecken. Früher war sie nämlich nicht so. Sie mochte den Krieg nicht, aber sie hatte keine so starke Abneigung gegen Soldaten. Ich glaube, sie beneidete auch eine zeitlang Lugreda, weil Diros sich in ihre Schwester verliebt hatte und nicht in sie. Diros war bzw. ist ein Soldat mit Leib und Seele.
Dann muss irgendetwas passiert sein. Sie verhielt sich anders als sonst. Sie war nicht mehr lustig, wie sonst. Zumindest klang ihr Lachen oft aufgesetzt. Und als Lundor als Junge äußerte Soldat zu werden (und damals konnte man seinen Wunsch wirklich noch nicht ernst nehmen), da sagte sie, dass sie alles versuchen würde, um das zu verhindern. Es war nicht der Inhalt der Worte – Geschwister streiten sich oftmals – es war der ernste und … seltsame Tonfall, in dem sie es sagte.
Von da an merkte ich, dass eine Veränderung mit ihr vorgegangen war. Als ich sie fragte, was geschehen war, doch sie sagte es sei nichts. Ich vermutete, dass sie ein Mann, ein Soldat gegen ihren Willen genommen hatte. Sie verneinte es … Aber ich konnte diese Furcht bis heute nicht aufgeben.“
Arendor schwieg. Jeden Tag wieder fragte er sich, was der Grund für Aeluins Schweigen war. Es war etwas geschehen, dessen war er sich sicher. Und wenn es ein Mann war, der sie vergewaltigt hatte, sein kleines Mädchen gegen ihren Willen benutzt hatte, dann wollte er Rache nehmen. Arendors Hände hatten seine Knie umfasst und drückten sie so stark, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. In seinen Augen blitzte dieselbe Wut auf, mit der er früher seinen Gegnern tödlich gegenübertrat.
„Wenn es diesen Mann wirklich gab, dann will ich meine Tochter rächen und ihm mein Schwert in die Rippen bohren!“
Arendor spürte, wie sein alter Kampfgeist versuchte wieder an die Oberfläche zu treten. Das kam nur selten vor und immer konnte er ihn wieder zurückdrängen.
„Du hast es richtig erkannt Leyron. Auch ich war einmal ein Soldat. Niemand in meiner Familie weiß davon … Es ist nicht so, dass ich mich dafür schäme. Ich war ein verdammt guter oder wohl eher erfolgreicher Soldat. Meiner Klinge konnte kaum ein Gegner entkommen und ich selbst habe nur wenige Narben davongetragen. Doch ich habe aus den falschen Beweggründen gekämpft.
Mein Vater war Soldat, ein guter Soldat. Er war ein Hauptmann unter Ecthelion und hat an Denthors Seite gekämpft. Sie waren befreundet – der Sohn des Truchsess und mein Vater.“
Stolz stand in den Augen Arendors.
„Denethor war einige Male zu Besuch bei uns. Er war ein großer, stattlicher junger Mann. Sein schwarzes Haar fiel bis auf seine Schultern. Aus seinen Augen sprach Mut, Kampfeskraft und aber auch Güte. Wenn er mich ansah, dann spürte ich, dass er meine wahren Gefühle und Gedanken lesen konnte und sich nicht von dem täuschen ließ, was ich ihm vormachen wollte. Wobei meine einzige Vorgaukelei darin bestand, ihm zu zeigen, dass ich ein mutiger kleiner Junge war, der gern in die Truppen seines Vaters eingetreten wäre. Er lächelte darüber und sagte, dass er gern mit seinem Vater darüber sprechen wollte. Bis dahin sollte ich schon mal mit dem Schwert üben. Und dann schenkte er mir ein Holzschwert. Aber es war kein gewöhnliches Holzschwert, sondern so geschnitzt, dass es aussah, wie ein echtes aus Metall. Sogar elbische Zeichen waren eingeritzt …
Denethor war leider nicht an der Seite meines Vaters, als sein letzter Kampf kam. Ecthelion hatte Denethor nach Rohan geschickt, um dort die Freundschaft zwischen den beiden Ländern auszubauen. Mein Vater war dagegen wieder nach Umbar gezogen, um die Corsaren an ihren Plünderungen Gondors zu hindern. Gondor verlor die Schlacht und mein Vater wurde gefangen genommen. Über ein Jahr hörten wir nichts von ihm.
Eines Tages kam ein Soldat zu meiner Mutter. An seinem Blick konnten meine Mutter, meine Geschwister und ich erkennen, dass Vater etwas zugestoßen war. Mutter schickte uns aus dem Zimmer, doch ich schlich mich zurück und lauschte an der Tür.
Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen auf meine Mutter zu hören. Was ich hörte, war grausam. Es erschreckte mich, aber förderte in mir auch eine Wut, der ich später nicht mehr entgehen konnte. Mein Vater war gefangen genommen worden und über ein Jahr lang bestialisch gefoltert worden. Es klang so, als hätten die Corsaren an meinem Vater ihre Foltermethoden erst einmal ausprobiert, um zu sehen, wie weit man mit einem Menschen gehen kann oder nicht.“
Arendors Stimme war hart und stählern geworden. Wieder spürte er die eiserne Kralle, die sein Herz umschloss – genau wie damals, als er den Soldaten von der Folter an seinem Vater berichten hörte. Seine Mutter hatte gebeten alles zu hören und sie nicht zu schonen. Sie wollte auch das Leid ihres Mannes mit ihm teilen.
„Von da an wollte ich nicht mehr Soldat werden. Ich fürchtete mich davon in den Krieg zu müssen und vielleicht ebenso wie mein Vater auf einem Corsarenschiff zu landen. Die Jahre gingen dahin und meine Furcht verwandelte sich in Wut und Rachegelüste. Als ich 19 Jahre alt war, konnte ich nicht mehr anders und wurde Soldat. Meiner Mutter und meinen Geschwistern gab ich vor in Belfalas Bauer zu erlernen. Stattdessen lernte ich dort mit dem Schwert um zu gehen. Ich hatte Talent und wurde bald in den Krieg geschickt.
Fünf Jahre kämpfte ich gegen Corsaren. Jeden Gegner den ich tötete, tötete ich aus Rache und mit dem Wunsch, die Trauer, Furcht und Wut in mir zu besiegen. Es gelang mir nicht. Sie wurde nicht kleiner, sondern größer. Mit jedem Schwerthieb merkte ich, dass ich etwas in mir selbst tötete: Meine Menschlichkeit. Denn ich bereitete den Männern nicht einen schnellen Tod, sondern versuchte ihn so lang wie nur möglich herauszuzögern. Genau, wie sie es bei meinem Vater getan hatten. Mit jedem Toten wurde ich grausamer und härter.
Als ich eines Tages einen erbarmungswürdigen Corsaren unter mir liegen hatte, der schon mehr tot als lebendig war und ich mir gerade überlegte, wie ich ihn noch möglichst lange und für ihn mit großen Schmerzen verbunden am Leben halten könnte, hörte ich, wie er etwas zu mir sagte. Das hatten schon viele getan, aber dieser Mann sprach Westron und ich konnte ihn verstehen. „Sag meiner Frau, dass ich sie liebe“, brachte er mühsam hervor.
Damals wusste ich noch nichts von der Liebe. Die Frauen, die ich verführte, lenkten mich etwas von der Kälte ab, die immer mehr in mir Platz einnahm.
Doch als er das sagte, kam mir meine Mutter in den Sinn und ihre Trauer, als sie erfuhr, was mit ihrem Mann geschehen war. Und plötzlich sah ich vor meinem inneren Auge eine verzweifelte dunkelhäutige Frau, mit drei kleinen Kindern und einem noch nicht geborenen Kind, die erfahren, dass ihr Mann und Vater tot sind. Sie hatten den gleichen verzweifelten, untröstlichen Blick und schienen zu schrumpfen unter dem Schmerz. Ebenso, wie meine Mutter es war.
Und nun war ich es, der diese Trauer verursachte. Ich war es, den die Söhne des Mannes töten wollten, um ihn zu rächen. Ich würde die Ursache sein, dass diese Jungs ebenso, wie ich, später in den Krieg ziehen würden und Gondorianer töten würden, die nichts für den Tod ihres Vaters konnten. Und deren Kinder würden wiederum gegen die Corsaren kämpfen … Es gäbe nie ein Ende – nur Tote und der Schmerz der zurückgebliebenen.
Ich ließ von dem Mann ab, steckte mein Schwert weg und ging weg. Ich verließ meine Truppe, deren Hauptmann ich inzwischen war, ohne ein Wort und eine Erklärung. Ich schrieb an Denethor, dem ich Treue geschworen hatte. All meine Beweggründe schrieb ich ihm, ihm, der schon damals in meinem Herzen lesen konnte. Doch ich wusste auch, dass Denethor es nicht einfach dulden konnte, dass ein Hauptmann seine Truppe und sein Land einfach im Stich lässt. So gab ich nichts an, wo er mich finden könnte.
Ich ging nicht zurück nach Minas Tirith, wo meine Mutter wohl noch immer auf mich wartete. Ich begann tatsächlich mich als Bauer ausbilden zu lassen und traf dann irgendwann auf Aelandra. Meine Mutter holte ich erst nachdem Aeluin geboren worden war und sie mich mit ihren grünen Augen so an meine Mutter erinnerte.
Ich verschwieg meine Zeit als Soldat, einerseits um sie zu vergessen, andererseits um meine Taten nicht irgendwann zu verherrlichen. Meinen Kindern brachte ich bei, was ich über den Krieg dachte und dass es nur einen Grund gibt zum Schwert zu greifen: Wenn man die Menschen, die man liebt vor dem Tod bewahren muss.
Areros hat das begriffen. Ihm hätte ich es nicht einmal sagen müssen. Er weiß es selbst, denn er hört auf sein Herz. Das hat ihm Aeluin beigebracht. Aeluin hat mir auch viel von meinem Schmerz genommen.
Ich weiß noch, wie ich ihnen das erste Mal von meinem Vater erzählt habe. Aeluin war vielleicht neun Jahre alt. Ich habe ihnen natürlich nur gesagt, dass er gefangen und gefoltert wurde – keine Einzelheiten. Sie waren entsetzt. Aeluin hatte mich mit ihren grünen Augen angstvoll angestarrt, doch dann stand sie auf, kletterte auf meinen Schoß und umarmte mich. Leise sagte sie in mein Ohr: „Vater, hab keine Angst mehr. Nun passe ich auf dich auf!“ Und sie gab mir einen Kuss.“
Arendor musste bei dieser Erinnerung lächeln. Die kleine Aeluin hatte beschlossen von nun an, auf ihren Vater aufzupassen.
„Ich weiß nicht, ob sie es geschafft hat. Vielleicht in dem Sinne, dass mich nie wieder die Wut in meinem Innern überwältigen konnte. Aeluin zeigte mir, auf was es ankommt: Vertrauen, Geborgenheit und Liebe. Das hatte sie mit ihren neun Jahren schon begriffen, während ich, ein erwachsener Mann von 41 Jahren, das erst lernen musste.“
Zusammenhangslos fuhr Arendor fort: „Sie mag dich, Leyron. Ich habe sie am heute Morgen gesehen und sie strahlte mich an. Es war anders als sonst. Sie genießt jedes Fest, an dem sie tanzen kann. Aber noch nie hat sie mich so angeschaut.
Auch wenn sie bisher immer gegen Krieger gewettert hat, scheint sie in dir noch etwas anderes zu sehen. Ich hoffe, es ist nicht nur dein Charme und deine männliche Anziehungskraft, die sie dazu bringt dich zu mögen.
Ich hoffe, du verstehst, dass ich so zu dir rede. Ich möchte nicht, dass du aus Anthara verschwindest. Ich mag dich. Du erinnerst mich an mich selbst, obwohl hinter dir bestimmt eine ganz andere Geschichte liegt. Ich sehe in dir einen tapferen Mann, der Mut und Ehre besitzt. Du ziehst durch die Lande und verdienst dir dein Geld auf Bauernhöfen, obwohl es überall genug Möglichkeiten für dich gibt zu kämpfen.
Ich kenne den Grund dafür nicht. Vielleicht sind es nur die schönen Mädchen auf dem Land, die dich anziehen. Ich habe keine Angst, dass du Aeluin verführst. Na gut – natürlich habe ich Angst davor, dass du meiner Tochter das Herz brichst. Doch ich kenne Aeluin und weiß, dass sie alles was sie macht, bewusst macht. Sie denkt vorher nach und handelt dann – mit allen Konsequenzen, die es für sie bringen kann.
Wie immer sich also Aeluin dir gegenüber verhält – es ist ihre Sache und ich werde mich nicht einmischen. Doch ich bitte dich trotzdem: Sollte Aeluin dir nicht mehr bedeuten, als irgendein anderes Mädchen in Gondor, dann such dir ein anderes Mädchen. Aeluin lässt sich nicht einfach auf einen Mann ein, erst wenn sie sich sicher ist, dass sie ihn liebt. Und wenn sie dich liebt und du weggehst, dann brichst du ihr das Herz.“
Arendor erzählte und erzählte. Es schien ihm wichtig, dass Leyron diesen Teil seiner Vergangenheit erfuhr. Zu Anfang war Leyron überrascht. Dann jedoch kristallisierte sich immer mehr heraus, dass es ihm um Aeluin ging und darum, was zwischen ihnen war oder sein könnte.
Als Arendor über seinen Verdacht sprach, dass ein Mann sich gewaltsam Aeluin genommen haben könnte, spannten sich Leyrons Muskeln an. “Ich würde ihn langsam sterben lassen“ waren seine Gedanken in jenem Moment, als Arendor die seinen aussprach.
So etwas hatte Aeluin nicht verdient. Es machte ihn nachdenklich. Ihr Verhalten ihm gegenüber deute jedoch nicht darauf hin, dass sie Angst vor ihm hatte. Wenn sie vor etwas Angst hatte, dann davor, dass ihre kleinen Brüder ihm nacheiferten. Und doch der Nachgeschmack dessen, was er gehört hatte blieb. Es gab viele Männer, die sich nahmen was man ihnen nicht geben wollte. Doch er hatte und würde nie zu ihnen gehören. Nicht einmal einen Gedanken würde er an so etwas verschwenden. Überall gab es Frauen, die ohne viele Worte das Lager mit einem teilten. Niemand musste zu seinem Glück gezwungen werden, genauso wenig davon überzeugt. Es sei denn daraus wurde ein feuriges Spiel zwischen Wort und Wille.
Es war das erste Gespräch dieser Art mit einem Vater dem Leyron beiwohnte, noch ehe dessen Tochter sein Bett gewärmt hatte. Er wusste, dass Arendor nun von ihm eine Antwort erwartete. Auch wenn er ihm nicht expliziert eine Frage gestellt hatte. Jetzt war es an ihm etwas zu erzählen, wenn er nicht den nächsten Tag wieder fort ziehen wollte. Und das stand außer Frage. Bisher gefiel es ihm in Anthara ausgesprochen gut.
“Du bist ein guter Vater Arendor. Ein Vater wie ihn nicht jeder hat. Wie ich ihn nie hatte.“ Leyron schwieg einen Augenblick. Es gab nicht viel das er erzählen konnte und vor allem wollte.
“Ich habe zu lange für meine Freiheit gekämpft, um sie aufzugeben. Ich bin kein Soldat, wie du vielleicht vermutest und ich war es nie. Ich habe immer für den gearbeitet, der mich entsprechend für meine Arbeit bezahlen konnte. Du siehst, keine edlen Beweggründe begleiten mich bisher durch mein Leben. Es gibt keinen Kampf, keinen Krieg gut gegen böse. Es gibt immer nur die eigenen Gründe, die einen handeln lassen. Du hast einen Weg gefunden, der dich glücklich gemacht hat. Vielleicht finde ich ihn auch eines Tages, aber bis dahin ...
Leyrons Stimme war dunkler geworden. Erinnerungen an eine Zeit, in der er bereit gewesen war, nicht mehr fort zu gehen, in dem er ein Stück seiner Freiheit wieder aufgegeben hätte. Doch das war lange her. Es war vorbei. Nein, er wollte sich nicht mehr daran erinnern. Einen längeren Moment zierte Trauer und Wut seinen Blick, ohne dass er es bemerkte.
“Arendor, ich würde dir mehr erzählen, wenn es mir möglich wäre. Meine Vergangenheit ist etwas, dass ich nicht teilen kann ...“ einen Wimpernschlag lang suchte er den Blick des Älteren “... und es auch nicht will. Zu oft musste ich damit leben, nach ihr beurteilt zu werden. Ich hoffe, du kannst mich verstehen. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem ich wieder darüber sprechen werde. Und wenn es so sein soll, dann wirst du vielleicht der erste sein, der sie mit mir teilt.“
Noch einmal griff Leyron nach einem Stein und ließ ihn erneut über das Wasser tanzen.
“Aeluin, ...“ begann Leyron nach einem längeren Moment des Schweigens und sprach den Namen mit sanftem Klang aus “... sie genießt meinen Respekt und meine Achtung. Ich werde ihr gegenüber ehrlich sein.“ Das ist mehr, als ich vielen anderen zugestanden habe.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin ging in ihr Zimmer, da sie heute Abend keine Lust auf Gesellschaft hatte. Das Zimmer war klein und hatte nur wenige Möbel, aber es war gemütlich eingerichtet. Neben der Tür stand eine alte Kommode, die schon Lugerods Vater gezimmert hatte. Darin bewahrte Aeluin ihre Kleider und ihre Habseligkeiten auf: Neben dem roten Tanzkleid, besaß Aeluin noch ein braunes Sommerkleid und zwei warme Winterkleider. Dazu vier Unterkleider, die sie im Winter auch übereinander anziehen konnte. Ein langer tannengrüner Mantel mit einer Blumenbrosche. Diese hatte sie von ihrem Onkel in Minas Tirith geschenkt bekommen und sie hütete sie wie einen Schatz. Eine warme Mütze, Handschuhe und ein Schal aus Schafswolle, die rot gefärbt waren, waren ihr Schutz im Winter. Für den Sommer, hatte sie von ihrer Tante einen zauberhaften Hut aus Stroh bekommen, den sie aber nur selten aufsetzte, weil er ihr zu kostbar war. Außerdem gehörten Aeluin noch einige Leinentücher, die sie für ihre Monatshygiene benötigte, sowie Tücher für ihr Bett, welche sie auch zum Abtrocknen nach dem Bade benutzte.
Neben ihren Kleidungsstücken waren in der Kommode auch ihre Schreibutensilien untergebracht. Ihr Vater hatte sie eines Tages damit überrascht, als er gesehen hatte, dass sie von Areros das Schreiben lernte. Es bestand aus einem kleinen Glas mit schwarzer Tinte, ein paar Gänsefedern und zwanzig Bogen Pergament. Das Geschenk war ein Vermögen wert und Aeluin hatte bisher noch nicht den Mut gehabt, es zu gebrauchen. Nur dann und wann holte sie es hervor und überlegte, wann endlich etwas so wichtiges geschah, dass sie jemanden davon berichten musste.
Außerdem besaß sie einige Schriftstücke, die ihr Onkel ihr geschenkt hatte. Darauf waren kurze Erzählungen über die Geschichte Gondors niedergeschrieben und Aeluin las sie sehr oft und konnte sie mittlerweile auswendig. Sie wünschte, sie könnte auch Geschichten aufschreiben. Lugerods Geschichten, die er früher ihr und heute ihren Nichten und Neffen erzählte. Sie waren so spannend und es war schade, dass sie irgendwann nicht mehr erzählt werden würden. Doch den Stil Lugerods konnte niemand nachahmen. Er müsste niedergeschrieben werden. Doch das Papier und die Tinte waren einfach zu teuer.
Auf der Kommode standen eine Waschschüssel und ein Wasserkrug. Außerdem lag da ein Leinentuch zum Abtrocknen und eine Bürste zum Zähneputzen. Diese hatte sie bei einem Besuch in Minas Tirith entdeckt und erstanden. Ihr Großvater hatte sich die Bürste angesehen und gemeint, dass die gar nicht so schwer nach zu bauen sei. Seitdem hatte jeder in der Familie eine eigene Zahnbürste. Die Leute im Dorf lachten deswegen manchmal über sie, aber ihre weißen und gesunden Zähne ließen sie bald verstummen.
Unter dem Fenster stand ein kleiner Tisch. Darauf befand sich eine Vase mit frischen Blumen. Eine Haarbürste aus Wildschweinborsten und ein Kamm aus Holz lagen ordentlich neben einer Reihe von Bändern für das Haar. In einer kleinen Holzschachtel lagen die Haarnadeln, mit denen sie sich geschickt die Haare hochsteckte. Des weiteren stand hier eine Kerze auf einem hölzernen Kerzenständer. Doch in der Sommerzeit zündete sie Aeluin nur selten an. Vor dem Tisch stand ein schöner Holzstuhl, den Lugerod gezimmert hatte.
An der Wand stand ein schmales Bett mit Stoffsäcken, in denen Stroh war und die als Kissen dienten. Im Winter gab es noch einen großen Stoffsack mit Stroh gefüllt als Decke. Doch der Sommer war in Lossarnach sehr warm und es reichte ein dünnes Leinentuch als Zudecke.
Aeluin zog das nasse Kleid samt Unterkleid an und zog ihr braunes Sommerkleid an. Sie setzte sich an den Tisch und löste ihre Frisur auf. Sie war noch vom gestrigen Abend und es war ein befreiendes Gefühl, endlich die Haare wieder offen tragen zu können. In Gedanken versunken kämmte Aeluin ihre Haare. Sie merkte nicht, wie Areros zur Tür reingekommen war und sich auf das Bett gesetzt hatte. Erst als er sie ansprach zuckte sie zusammen.
„Woran denkst du Aeluin?“ fragte Areros seine Schwester.
„Hast du mich erschreckt, Areros“, antwortete ihm Aeluin. „Ich denke an nichts Besonderes.“
Auf Areros Gesicht erschien ein sanftes Lächeln. „Erzähl schon. Was läuft da zwischen Leyron und dir?“ Areros blickte Aeluin gespannt an. Seit gestern hatte sich seine Schwester verändert und er hatte noch nicht die Zeit gefunden, sie zu fragen, was passiert war.
„Gar nichts“, sagte Aeluin schroff. „Leyron ist ein Arbeiter hier auf dem Hof, wie so viele and…“
„Aeluin“, unterbrach Areros sie. „Ich weiß, dass du ihn geküsst hast.“
Aeluin hatte bisher mit dem Gesicht zum Fenster gesessen und drehte sich nun abrupt zu ihrem Bruder um.
„Woher weißt du …?“
„Leyron hat mir davon erzählt“, sagte Areros leise. „Aber Arendir hat es auch schon Andirana erzählt. Du kannst also sicher sein, dass es schon die ganze Familie weiß.“
Aeluin wurde weiß im Gesicht. Daran hatte sie am Nachmittag gar nicht gedacht. Nun würde ihre Familie sie ständig beobachten und sie hätte keine ruhige Minute mehr. Aeluin stöhnte auf.
„Warum hast du ihn geküsst?“ Areros hatte nicht die Absicht seine Schwester zu schonen.
„Ach. Das war … das gehörte zum Spiel. Es hat gar nichts zu bedeuten!“ Aeluin zog ihre Stirn in Falten, wie sie es immer tat, wenn sie mit etwas unzufrieden war.
„Nichts zu bedeuten …“, wiederholte Areros leise. „Nun dann brauche ich dir ja nicht sagen, was Leyron mir erzählt hat.“ Er stand auf und ging zur Tür. Doch Aeluin hatte ihn schon erreicht und sah ihn unglücklich an.
„Nun erzähl schon, Schwesterherz!“ Areros streichelte die Wange von Aeluin.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)
Aeluin drehte sich weg und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.
„Ich weiß es doch auch nicht, Areros. Seit er hier im Dorf ist, kann ich nicht mehr klar denken. Er verwirrt mich und stellt mein Leben auf den Kopf.“Sie wandte sich an ihren Bruder und schaute ihn verzweifelt an. „Ich kann mich doch unmöglich in ihn verliebt haben. Er ist ein Krieger!“
Areros ging zu Aeluin, nahm sie sanft in den Arm und sagte: „Du hast dich ganz offensichtlich in Leyron verliebt.“ Er lächelte über das Stöhnen, dass Aeluin entfuhr. „Das ist doch nicht schlimm, Aeluin. Leyron ist ein netter Mann …“
„Ein netter Mann?“ rief Aeluin. „Er ist ein Krieger. Er hat bestimmt schon viele Männer umgebracht, ohne dass es ihm viel Kummer bereitet hätte. Genauso hat er bestimmt schon genauso viele Frauen unglücklich gemacht und sie sitzen gelassen. Und so einen Mann nennst du nett?“ Aeluin blickte Areros direkt in die Augen. Er konnte in ihren Augen lesen, dass sie es quälte, was sie von Leyron dachte. Doch Areros wusste, dass sie wahrscheinlich damit Recht hatte.
„Wir können uns es nicht aussuchen, in wen wir uns verlieben, Luin“, bemerkte Areros. „Du hast Recht. Wahrscheinlich ist Leyron genauso, wie du ihn beschrieben hast. Doch du weißt nicht, warum er ein Krieger ist. Ich glaube, er ist ausgesprochen gut im Kämpfen. Es ist sein Leben zu kämpfen, so wie auch Lundor und Lendil dieses Bedürfnis verspüren. Das kann man sich nicht aussuchen.“
„Doch das kann man sehr wohl. Du wolltest auch ein Soldat werden und du hast dich dagegen entschieden. Ganz bewusst. Nie hast du ein Schwert in die Hand genommen und wirst es nie.“ Aeluin machte sich aus Areros Umarmung los und ging zum Fenster. „Ich weiß ja, dass Leyron niemals sein Kriegerdasein aufgeben würde und dass er dafür geschaffen wurde. Aber … ich … wie soll ich damit umgehen?“
„Akzeptiere es einfach, Aeluin“, antwortete Areros ruhig.
„Wie soll ich das schaffen? Wenn er irgendwann wieder in den Kampf zieht und ich hier bleibe und in ständiger Angst leben muss, dass er stirbt?“ Aeluin stöhnte leise auf. „Ach das ist doch sowieso alles müßiges Gerede. Er wird sich nicht länger für mich interessieren, als für irgendeine andere Frau in Gondor. Sobald er mich in seinem Bett gehabt hat oder auch nur eine andere Frau im Dorf, wird er wieder weiter ziehen.“ Aeluin setzte sich seufzend auf ihr Bett.
„Vielleicht wäre es besser, wenn er gleich gehen würde“, sagte sie mit leiser, trauriger Stimme.
Areros setzte sich zu ihr und streichelte ihr sanft über das dunkle, weiche Haar. „Du hast scheinbar keine Ahnung, welche Anziehungskraft du auf Männer hast, Kleines. Meinst du wirklich Leyron wird sich für irgendeine andere Frau hier in Anthara interessieren, wenn er die Chance hat, dich zu erobern?“ Er küsste sie sanft auf ihr Haar und sagte leise: „Du verwirrst ihn, glaube ich, nicht weniger, als er dich.“
Aeluin blickte ihren Bruder an und in ihren Augen glomm ein Hoffnungsschimmer auf. Doch einen Moment später, war er schon wieder verschwunden. „Ich mache doch alles falsch, was ich nur falsch machen kann. Mittlerweile denkt er, dass ich eine grausame Person bin und dass ich an seinem Tod Freude hätte.“
Areros musste loslachen. „Luin – Leyron ist Krieger. Meinst du, dass ihn abschrecken könnte, wenn du am Morden Spaß haben würdest? Außerdem habe ich ihm erklärt, dass es dir niemals Spaß gemacht haben kann, ihn zu töten. Was hast du dir eigentlich bei diesem Corsarenspiel gedacht?“
Aeluin wurde rot und verzog ihr schönes Gesicht. „Gar nichts. Wir spielten erst Gondors Flotte, doch Damrod wollte dann plötzlich Seeräuber spielen und ich habe nicht nachgedacht, sondern habe mich mitreißen lassen. Dann kam plötzlich Leyron und machte mir meinen Posten als Kapitän streitig. Dumm, wie ich war, ließ ich in meinem Stolz nicht zu, dass er der Oberkrieger wurde. Und … ich ließ mich von ihm küssen“ , fügte sie ganz leise hinzu.
„Hat es dir nicht gefallen?“ fragte Areros und musste sich ein Grinsen verkneifen. Aeluin war in ihrer Verzweiflung wirklich zu komisch. Worüber sich Frauen alles Gedanken machten! Sie sahen Probleme, wo gar keine waren.
„Doch“ , antwortete Aeluin ebenso leise und durchlebte ein weiteres Mal diesen Kuss und ein Nachbrennen des Feuers durchströmte abermals ihren Körper.
„Nun – dann gibt es ja keine Probleme mehr!“ Areros lehnte sich auf dem Bett zurück, so dass sein Kopf an der Wand lehnte.
„Keine Probleme?! Was meinst du damit?“ Aeluin drehte sich halb zu ihrem Bruder um.
„Du bist das nächste Mal, wenn du ihn siehst nett zu ihm und er küsst dich wieder – und ihr beide seid glücklich.“
Aeluin schaute ihren Bruder mit offenem Mund an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Was meinst du, was wird Leyron in meinem Verhalten herauslesen?“ Areros schaute sie fragend an. „Er wird das als Einladung auffassen, mich zu verführen.“ Aeluin blitze Areros wütend an.
Areros musste an Leyrons Vergleich von Aeluins Augen und dem tosenden Meer denken, das versuchte ein Schiff habhaft zu werden. ‚Gar kein schlechter Vergleich’ stimmte Areros Leyron innerlich zu.
Areros kratze sich am Kopf. „Hmm … Da könntest du recht haben. Ach, was fragst du mich denn auch in Fragen der Liebe. Ich weiß davon gar nichts.“ Areros hatte sich aufgesetzt und starrte stumpfsinnig auf die Holzdielen.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)