Leyron lag eine Antwort auf der Zunge, die dem Zwerg ganz sicher nicht geschmeckt hätte. Da es aber auch dafür der falsche Zeitpunkt war und die verbohrte Art der Zwerge durchaus auch ihm bekannt war, beließ er es bei einem tiefen Atemzug, als Bavagor sich mit einem dumpfen Schlag auf den Boden fallen ließ.
Das Arendor mit diesem Zwerg den richtigen Fang gemacht hatte, bezweifelte Leyron. Dass dieses Volk zähe Kämpfer hervorbrachte und und ihre Statur allein ein Vorteil war, um Männer in die Flucht zu schlagen, lag auf der Hand. Auch, dass Anthara solche Krieger durchaus gebrauchen konnte.
Der gewichtigste Grund jedoch in Leyrons Augen, überhaupt mit einem Zwerg zu verhandeln, war, dass solange dieser sich im Dorf aufhielt, weitestgehend sichergestellt war, dass er sich nicht dem Feind anschloss.
„Könnt Ihr schwimmen, Herr Zwerg?“ fragte er mit einem Grinsen im Gesicht. „Wenn nicht, ist Euer Unterfangen vorerst sowieso nicht umsetzbar. Die Späher werden wohl kaum ein Boot für Euch zurückgelassen haben. Solltet Ihr jedoch die Bekanntschaft mit dem Wasser nicht scheuen, müssten die Spuren auf der anderen Seite des Erui selbst für einen Zwerg erkennbar sein. Denn wenn nicht, wird sie im Dunklen auch kaum ein anderer finden.“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Bavagor
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23.01.2008 10:09
#328 RE: 23. Juni 3016 DZ Abend Im Wohnzimmer Arendors
Bavagor sah Leyron grimmig von unten an als dieser vom Wasser redete
"in meiner Rüstung kann ich selbstverständlich nicht schwimmen" das er auch ohne Rüstung wie ein stein versinken würde sagte er natürlich nicht.
"ihr seid doch ein Dorf an einer Flussmündung, ihr habt hier bestimmt ein paar Boote übrig."
Bavagor spurte den warmen Holzboden an seinem Hintern, schaute aber weiter grimmig was für ein unpassender Moment um über den Warmen Boden nach zu denkendachte er sich dabei bevor er seine Gedanken wieder auf Leyron fixierte
"Zwerge sind so Schlecht im Fährtenlesen wie Elben im Axtkämpfen... Ich würde meine eigenen Fußspuren im Schnee nicht mal wieder finden, wenn sie direkt hinter mir wären." Damit wollte Bavagor klar machen das er sich sofort nach dem übersetzten verlaufen würde.
"also wenn ihr mir keinen Fährtensucher zur seite stellt, warte ich hier bis mich einer angreift." mit hier meinte Bavagor genau den Platz auf dem er saß.
Arendor hörte das Gespräch von Leyron und dem Zwerg nur mit halben Ohr. Es war natürlich unsinnig den Angreifern entgegen zu laufen. Das hätte nur den frühen Tod seiner Leute bedeutet. Der Zwerg mochte vielleicht ein guter Kämpfer sein, aber gegen eine Übermacht von vielleicht 80 bis 100 Männern konnte er auch nichts tun.
Arendor räusperte sich, bevor Leyron dem Zwerg antworten konnte.
„Leyron hat vollkommen recht. Es ist erstens viel zu gefährlich und zweitens würden wir sie bei Nacht nie aufspüren können, eher selbst entdeckt werden. Außerdem will ich nur unser Dorf verteidigen und keine Fremden angreifen. Schließlich habe ich keine Armee hinter mir, sondern eine Handvoll Bauern.
Einen Fährtensucher habe ich schon gar nicht – es sei denn Leyron hier. Doch er scheint keine Lust zu haben, sein Leben leichtfertig wegzuwerfen.“
Arendor warf Leyron einen Seitenblick zu. Nein, Leyron schien ganz und gar nicht leichtsinnig zu sein. Als Bogenschütze wäre er ihm eine große Hilfe, wenn Arendor nur einen zweiten Mann für ihn finden könnte.
Sein Blick wanderte weiter zu Aeluin, welche so stand, dass sie Leyron von ihm unbemerkt beobachten konnte. Wie sehr wünschte er seiner Tochter, dass sie ihre aufkeimenden Gefühle für Leyron ausleben könnte – selbst wenn er in Leyron nicht unbedingt den richtigen Mann für sie sah. Stattdessen musste sie sich nun bald von ihm trennen und vielleicht würde er im Kampf fallen. Zwar waren die Gefühle seiner Tochter bestimmt noch nicht so stark, dass sie darüber untröstlich wäre. Doch sie schenke ihre Liebe so selten einem Mann und Arendor war sich sicher, dass sie die Liebe eines Mannes brauchte.
„Aeluin“ , sprach er sie an und er bemerkte, dass sie leicht zusammenzuckte, als hätte er sie bei etwas Verbotenem erwischt. „Seid ihr mit dem Packen fertig? Dann solltet ihr aufbrechen.“
„Ja, ich denke schon, Vater“, antwortete ihm seine Tochter. „Ich glaube, Lugreda und Andirana wecken schon die Kinder. “
Arendor nickte zufrieden. Dann war die Zeit des Aufbruchs nah. Er ging hinaus aus, um nachzusehen, wie alles lief.
Vor dem Haus
Sein Schwiegervater hatte bereits den Wagen eingespannt. Er sah, dass bereits Lebensmittel, Decken und Kleidung auf dem Wagen waren. Die Großeltern saßen ebenfalls auf dem Wagen und Lugreda brachte gerade Diranion, welcher auf ihrem Arm weiter schlief. Damrod lag im Schoß von Aneria und schaute mit halbgeöffneten Augen müde umher.
Aelandra tippte ihn von hinten. Arendor legte seine Arme um sie, doch die Rüstung störte ihn dabei. Gerne hätte er ihre Wärme und ihren weichen Körper gespürt, doch nichts konnte durch seine Rüstung dringen.
„Liebste“ , sagte Arendor in rauem Ton zu seiner Frau. „Versprich mir, dass du dir unterwegs keinen anderen Mann suchst! Denn keiner wird dich lieben, wie ich dich liebe.“
Aelandra lächelte ihren Mann an. „Ich habe dich geheiratet, weil ich den Rest meines Lebens mit dir zusammen sein wollte. Was sollte mir ein anderer Mann geben können?“
„Er könnte ehrlich zu dir sein“ , sagte Arendor ernst. „Es war nicht richtig, dass ich dir meine Zeit als Soldat verschwiegen habe. Bist du mir böse deswegen?“
Aelandra schaute Arendor tief in die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich wusste doch, dass du ein Soldat warst. Niemals hätte ein einfacher Bauer eine solche Ausstrahlung haben können, wie du. Ich gebe zu, dass ich zu Beginn unserer Ehe enttäuscht war, dass du tatsächlich Bauer zu bleiben gedachtest. Ich wollte nie Bäuerin werden und auf dem Land versauern. Wenn ich einen Soldaten heiratet – so dachte ich – würde ich in Minas Tirith leben und etwas von der Welt erleben.
Doch jetzt, wo ich von diesem Fleckchen Erde weg muss und unser Heim zerstört werden soll, merke ich, dass ich nur hier leben will – gemeinsam mit dir und unserer Familie. Nie hätte mein Leben glücklicher sein können und ich danke dir für jeden Moment!“
Aelandra stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihren Mann, welcher ihren Kuss willig und leidenschaftlich erwiderte. Dann strich er ihr eine Strähne ihres inzwischen mehr weißen als blonden Haares aus dem Gesicht und grinste sie an.
„Du verblüffst mich auch noch nach 30 Jahren Ehe. Aber immerhin wissen wir jetzt, woher Lundor seinen Wunsch hat, kein Bauer zu werden.“
Noch einmal küsste er Aelandra und bat sie dann vorsichtig zu sein. Er wischte eine kleine Träne weg, welche auf ihrer Wange herunterlief und machte ihr Mut. Dann trennten sie sich. Sie stieg auf den Wagen und Arendor zog sein Schwert und warf es kunstvoll in die Luft.
Lundor und Lendil ließen sich außerhalb des Hauses auf eine Bank fallen und sahen missmutig zu, wie ihr Großvater die Pferde an den reparierten Wagen spannte. Es war eine allgemeine Aufbruchsstimmung angebrochen. Die Sachen waren gepackt, die Kinder geweckt. Lange würde es nicht mehr dauern und sie mussten den Hof verlassen.
Lundor zog die Beine an, umgriff diese und legte seinen Kopf auf seinen Knien ab. Sein Blick wanderte zu Lendil, welcher neben ihm ins Leere starte. "Warum hast du nichts gesagt?" sprach er den Jüngeren an. Lundor wusste, dass sein Bruder das gleiche gedacht hatte wie er. Ihre Blicke trafen sich. "Ich wollte ja. Aber ich hab mich nicht getraut. ... Außerdem finde ich, dass du ein bisschen zu weit gegangen bist."
Lundor wechselte wieder seine Sitzposition und verschränkte die Arme vor dem Körper. "Ich bin zu weit gegangen? Du denkst doch das gleiche wie ich. Nur dass du nicht den Mut aufbringst es immer offen auszusprechen." Lendil sollte froh sein, dass zumindest Lundor ihre Interessen so lautstark vertreten hatte.
Lendil seufzte und schnippte einen kleinen Stein, welcher auf der Bank lag, mit den Fingern weg. "Jetzt ist es sowieso egal. Wir müssen mit den Frauen, Kindern und Alten fahren. Welch Erniedrigung..." Lendil hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihr Vater ließ eben nicht mehr mit sich verhandeln.
"Vielleicht vergessen sie uns ja, wenn wir hier einfach stillschweigend auf der Bank sitzen bleiben..." meinte Lundor. Man konnte ja nicht behaupten, dass sie sich dann versteckt hätten. Schließlich stand die Bank direkt neben der Eingangstür zum Haupthaus. Aber das mit dem Vergessen werden war wohl ein Wunschtraum der beiden jungen Männer.
Die komplette Familie hatte das Haus verlassen. Die Kinder waren freilich ziemlich durcheinander, wurden sie doch aus ihrem Schlaf gerissen. Doch dass Arendir gar so muffelig und verstört reagierte, hätte Nirion nicht gedacht. Als der 5-Jährige dann auch noch versuchte seinem Vater ins Gesicht zu boxen, setzte Nirion den Bengel ab und beugte sich zu ihm runter und wischte seine Tränen aus dem Gesicht. "Du bist doch ein großer Junge und die Fahrt wird dir bestimmt Spaß machen. Also hör jetzt bitte auf so ein Theater zu machen."
Sofort wurde der Kleine von seiner großen Schwester an die Hand genommen. Nirion strich ihr über die Haare. Er war stolz auf seine Große, die das alles mit mehr Fassung aufnahm als ihr Bruder. Alle waren nun im Hof vertreten, jede Generation. Die Frauen waren bereit mit den Kindern und den Alten aufzubrechen. Sie sollten auch keine Zeit mehr verlieren.
Andirana kam zu ihm, die kleine Lereda auf dem Arm. Auch der Jüngsten kullerten die Tränen die Wange hinab. Nirion trat an seine Frau heran und nahm sie in den Arm, die Jüngste wurde mit umarmt. Dann nahm er Andiranas Gesicht in die Hand.
"Ich liebe dich! Wir sehen uns bald wieder. Das verspreche ich dir!" Nirion schnürte es das Herz zusammen. Er wusste nicht, was die Männer erwarten würde. Auch war er kein Krieger. Sie hatten alle keine Erfahrung. Er hatte Angst um seine Familie, wollte sie gar nicht gehen lassen. Doch er wusste, dass es notwendig war.
"Passt mir auf eure Mutter auf!" sprach er seinen Kinder an und gab ihnen einen Kuss auf die Stirn. Die Frauen und Kinder machten sich nun bereits auf den Weg zum Wagen, als sich Andirana noch einmal kurz vor der Kutsche zu ihm umdrehte. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie reichte Lereda zu den anderen Familienangehörigen auf den Wagen und ging wieder auf Nirion zu.
Kurz vor ihm blieb sie stehen. "Nirion... ich muss dir noch was sagen!" Sie sah ihn mit feuchten Augen an und er nahm ihre Hände in die seinen. "Ich... ich bin schwanger. Wir bekommen wieder ein Baby!" Ein Leuchten blitzte in Nirions Augen auf. "Oh Andirana!" Er schlang von neuem seine Arme um sie und drückte die junge Frau an sich. Dann fuhr er ihr mit seiner Hand über den Bauch. "Seit wann weißt du es?" Für einen Augenblick war Nirion einfach nur glücklich, doch der Abschied machte es schwerer.
"Noch nicht sehr lange. Alle Anzeichen deuten aber darauf hin. Ich wollte, dass du es erfährst, bevor wir jetzt gehen." Noch eimal drückte er Andirana fest an sich, dann ließ er sie gehen. Er sah ihr hinterher, als sie zu den anderen auf die Kutsche stieg.
_________________________________________ Der Chara für alle Fälle …
Ihr benötigt den Nebencharakter (NPC)? Wendet euch bitte an einen Mod.
Aeluin blickte kurz Areros hinterher. Sie war wirklich sehr froh, dass er mit ihr kommen würde. Allein, dass er in ihrer Nähe war und sie ihn gegebenenfalls um Rat fragen könnte, würde ihr Kraft geben. Sie würde ihre Angst unterdrücken können, wie sie es schon so oft getan hatte. Areros war ja da und würde ihr im Notfall helfen.
Auf ihrem Gesicht machte sich ein sanftes Strahlen breit. ‚Areros … Was würde ich nur ohne dich machen. Ich habe dich so lieb.’
Ihr Blick wanderte zu dem Mann, welchen sie im Begriff war, lieber zu haben, als ihr recht war. All die Vorurteile, welche sie von ihm hatte, konnte er auf seltsame Weise in den Hintergrund treten lassen. Dann sah sie einen Mann, welcher ihr das zu geben vermochte, was sie sich von einem Mann ersehnte.
Selbst jetzt übersah sie sein so offensichtliches, kriegerisches Aussehen, in dem sie sich ganz auf sein Gesicht konzentrierte. Es war so ernst und Aeluin wäre am liebsten zu Leyron gegangen, hätte sich vor ihn gestellt und ihn dazu bewegt in ihre grünen Augen zu schauen.
‚Ganz gewiss würdest du dann nicht mehr so ernst schauen, Leyron. Sondern dein unwiderstehliches Grinsen aufsetzen.’
Doch Aeluins Phantasie wurde unbarmherzig durch das Eintreten des Zwerges gestört. Plötzlich drehte sich das Gespräch um den bevorstehenden Angriff und die Möglichkeit, dass Menschen sterben würden, wurde offen ausgesprochen.
Bis jetzt hatte Aeluin den Gedanken daran nicht zugelassen. Sie hatte sich auf ihre Arbeit konzentriert und darauf, dass sie nichts vergaß. Ihre Brüder waren aufgehalten worden und würden in Sicherheit sein. Doch würden in Anthara noch viele Männer bleiben, welche ihr lieb waren. Allein der Zwerg wäre wohl der einzige, dessen Dableiben sie nicht bedauerte.
Doch erschreckender war für Aeluin, dass sie sich inmitten von Männern befand, für welche das Kriegshandwerk etwas selbstverständliches war. Sie sprachen über Angriffspläne und über das Einsetzen von Männern, als wären sie nur Figuren auf einem Schachbrett. Ihr Vater schien zu bedauern, dass er keine echten Soldaten und Krieger zu Hand hatte. Sonst würde er über den Erui setzen und die Angreifer vom Boden fegen.
Aeluin verstand das nicht. Hatte ihr Vater vergessen, dass es sich hier um seine Freunde handelte? Dachte er nicht daran, dass sie sterben könnten, wenn er sie gegen bewaffnete Männer kämpfen ließ? Sah er in ihnen nicht mehr als Männer, die ihn seinem Ziel näher brachten: Die Männer, welche nach Anthara kamen, zu töten.
Als Leyron sprach, sah sie zu ihm. Plötzlich konnte sie nicht mehr die Waffen übersehen, die er trug. In seinen Augen stand eine deutliche Abneigung gegen den Zwerg. Doch Aeluin sah auch, dass Leyron den bevorstehenden Angriff ohne große Furcht entgegensah. Für ihn schien es etwas Selbstverständliches zu sein, plötzlich zu den Waffen zu greifen und sich einem Gegner zu stellen. Er würde nicht lange überlegen und den anderen töten.
‚Wie nur soll ich einen solchen Mann lieben?’ , dachte Aeluin bedrückt und all ihre Gründe gegen Leyron bauten sich wie eine Mauer vor ihr auf. Sie schloss die Augen und sah vor sich Leyrons Augen, mit welchen er sie vor fast einer Stunde ernst, aber liebevoll angesehen hatte. „Luin!“ Sie hörte noch einmal Leyrons Stimme, wie er sie mit ihrem Kosenamen ansprach. Sie öffnete ihre Augen wieder und Leyron schien ihr schon wieder weniger kriegerisch, als zuvor.
Ihr Vater sprach sie an und sie zuckte leicht zusammen. Jetzt war keine Zeit sich über die Liebe oder die Nicht-Liebe zu einem Mann Gedanken zu machen. Sie mussten losfahren, um nicht in noch größere Gefahr zu geraten.
Auf dem Flur
Aeluin folgte Arendor. Sie war sehr darauf bedacht, Leyron nicht noch einmal anschauen zu müssen. Er verwirrte sie und sie musste sich nun konzentrieren. Doch kaum war sie ein paar Schritte aus dem Zimmer heraus, da hörte sie seine Stimme. Langsam drehte sie sich um und blickte in Leyrons blaue Augen.
Arendor blickte sich um und bemerkte die vier jungen Männer aus den anderen Dörfern. Er würde gleich mit ihnen sprechen, aber zuerst wollte er sich von seiner Familie verabschieden. Andirana sprach gerade mit Nirion. Da wollte Arendor nicht stören. Er ließ seinen Blick suchend nach Lugreda über den Platz schweifen, doch er fand sie nicht. Stattdessen sah er seine jüngsten Söhne, wie sie maßlos enttäuscht und wütend über ihn auf einer Bank saßen.
Arendor holte tief Luft und ging zu den beiden. Er musste wenigstens versuchen mit ihnen Frieden zu schließen.
„Lundor. Lendil“, sprach er die beiden an. Während Lundor geradeaus sah und ihn nicht bemerken wollte, blickte sein jüngster Sohn zu ihm auf. In seinen Augen glomm wohl so etwas wie ein Hoffnungsschimmer, doch er sah in den Augen seines Vaters, dass dieser seine Meinung nicht geändert hatte.
„Glaubt nicht, dass ich euch mit den Frauen und Kindern wegschicke, weil ich euch damit ärgern will. Ich weiß, dass ihr mit dem Schwert umgehen könnt – vielleicht besser als die meisten der Männer, die hier bleiben. Doch das ist nicht euer Kampf. Ich weiß nicht, wer uns da heute Nacht überfallen wird. Vielleicht ist es nur eine Bande von Raufbolden, dann würde ich euch auf jeden Fall kämpfen lassen. Aber es können auch echte Krieger sein, die wissen wie man Männer niedermetzelt …“
Arendor war lange genug Soldat gewesen, um die Grausamkeit kennenzulernen, die der Krieg in jedem Mann – und sei er noch so gut – weckte. Er selbst hatte seine Gegner mit immer schmerzvolleren und langsameren Todesarten gequält.
„Ich möchte nicht, dass ich euch beide verstümmelt auf dem Schlachtfeld finde.“ In Arendors Augen sammelten sich bei dieser Vorstellung Tränen. Er liebte seine Kinder über alles und eines von ihnen tot in seinen Armen zu halten, würde ihn umbringen.
„Vater. Wir würden nicht sterben …“ Lendil machte einen zaghaften Versuch seinen Vater sowohl zu trösten, als ihn auch zu überreden, sie kämpfen zu lassen.
Über die Wangen Arendors liefen nun die Tränen und er packte Lendil grob am Hemd und zog ihn an sich heran. Er hatte nicht bedacht, dass er seine Rüstung anhatte und so vernahm er ein schmerzvolles „Autsch“ von seinem Sohn. Doch Arendor drückte seinen Sohn fest an sich. Er wollte doch nur, dass seine Familie in Sicherheit ist …
Seine rechte Hand griff Lendil am Nacken und er gab Lendil endlich wieder etwas Raum, um Abstand zu ihm zu halten. Sein Sohn hatte keine Chance seinen Vater irgendwo zu berühren. Allein dessen Gesicht war nicht von der Rüstung bedeckt. So umfasste er seine Arme und blickte seinem Vater ins Gesicht.
„Vater …“ Weiter wusste er auch nicht. Es war so ungewöhnlich seinen Vater weinend zu sehen. Er war doch immer ein so starker Mann gewesen. Und in dieser Rüstung wirkte es gerade zu grotesk, dass er weinte. Und doch war es gerade der weinende Mann, den er als seinen Vater erkannte, der ihn liebte und den er auch von ganzem Herzen liebte.
„Bitte Lendil. Versprecht mir, dass ihr mit den Frauen geht. Sollte ich in diesem Kampf fallen, so müsst ihr eure Mutter und eure Schwestern und die Kinder beschützen. Ich brauche euch dort. Wenn ich hier versage, dann kommen sie euch vielleicht hinterher … “ Arendor schluckte. „Sie dürfen ihnen nichts antun.“
Allein die Vorstellung, dass sich irgendein Mann an Aelandra – seiner Aelandra vergreifen könnte, brachte ihn fast um den Verstand. Er würde es nicht zulassen. Er würde nicht fallen, nicht solange noch einer von ihnen am Leben war. In Arendor wachten der Mut und die Tatkraft wieder auf und die Zeit der Schwäche war vorüber. Mit der linken Hand wischte er sich die Tränen ab, als er die erlösenden Worte von Lendil hörte.
„Wir gehen mit den Frauen, Vater. Aber du musst uns eins versprechen: Du wirst nicht sterben!“ Auch Lendil stiegen nun die Tränen in die Augen. Mit seinem Vater hatte er oft so viel Spaß. Wenn es die Zeit erlaubte, so unternahm sein Vater etwas mit Lundor und ihm. Sie stromerten durch die Umgebung, gingen angeln oder klettern. Ihr Vater war nicht so besorgt, wie ihre Mutter und ließ sie oft gefährliche Wege nehmen. Nur in dem einen Punkt – dass seine Söhne Soldaten werden wollten – ließ er gar nicht mit sich reden. Sie hatten ein stillschweigendes Abkommen getroffen, dass sie dieses Thema bei ihren Ausflügen nicht erwähnten, da beide Seiten darüber nur wütend wurden. So waren es immer wundervolle Stunden gewesen.
„Und wenn wir das nächste Mal einen Ausflug machen, dann erzählst du uns von deinem Leben als Soldat und warum du es uns immer bisher verschwiegen hast!“ fügte Lendil hinzu.
Arendor schaute seinen Sohn an dankbar an und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Ja, Lendil. So machen wir es.“ Ein beruhigendes Gefühl machte sich in Arendor breit. Doch was dachte Lundor? Würde er seinen Vater auch verstehen? Arendors Blick wanderte zu Lundor.
„Was ist mit dir Lundor? Wollen wir nicht Frieden schließen?“
Noch immer saßen die beiden jungen Männer auf der Bank vor dem Haus. Stillschweigend hatten sie mit angesehen, wie Vorräte und sonstige lebenswichtigen Utensilien auf den Wagen verladen wurde. Die Kinder waren mittlerweile geweckt worden und hier und da hörte man ein Weinen. Die meisten saßen bereits auf dem Wagen und warteten auf die Abfahrt.
Lundor wartete nicht darauf. Aber er wusste auch dass es keinen Sinn hatte seinem Vater weiterhin zu widersprechen. Auch wenn er einfach nur wütend auf ihn war, so liebte er ihn doch und er wollte nicht dass diese Liebe an dieser Geschichte zerbrach. Arendor musste einsehen, dass er seine Söhne sehr sehr enttäuscht hatte. Und er musste auch Lundors Worte verstehen. Sein Zorn und seine maßlose Enttäuschung waren noch nicht abgeklungen.
Der Vater kam und sprach seine beiden Jüngsten beim Namen an. Aber Lundor sah ihm nicht in die Augen. Er starrte weiterhin auf dem großen Hof, wo alle in Aufbruchsstimmung waren. Lendil hingegen gab sich den Worten seines Vaters hin. Natürlich bekam Lundor alles mit. Ihr Gespräch, die Tränen seines Vaters.
Als sein Vater Lendil zu sich zog und an sich drückte, drehte Lundor kurz seinen Blick in die Richtung der beiden. Eine gewisse Traurigkeit, vermischt mit Eifersucht brannte in seinen Augen und ließen auch bei ihm die Tränen aufsteigen. Aber er war tapfer und schluckte nur einmal kurz.
Lendil mochte zwar an Körpergröße Lundor überragen, doch war er immer der Jüngste, das Nesthäkchen gewesen. Und irgendwie tat es Lundor weh zu sehen wie sich sein Bruder und sein Vater in den Armen lagen und weinten. Lendil, welcher vorhin im Haus kein einziges Wort herausgebracht hatte...
Als sich der Vater nun Lundor zuwandte und ihn direkt ansprach, rollte auch dem jungen Mann eine Träne über die Wange. Auch wenn er immer noch versuchte Arendor nicht in die Augen zu sehen. "Hab ich denn eine andere Wahl?"Hast du uns je eine Wahl gelassen...
Der Bauernsohn sah den Vater nun doch an. In seiner Rüstung wirkte er so anders, so ungewohnt. Sie stand ihm, machte ihn zu einem richtigen Mann. Noch immer hatte Lundor seine Beine angezogen und umschlungen. Als wollte er alles aussperren und sich so sein eigenes kleines Territorium schaffen. "Ich... wir... werden uns um sie kümmern... Wenn du das verlangst." Seine Worte klangen gefrustet aber nicht mehr zornig.
"Vater... ich..." Ihm war übel, so richtig übel. Schlecht vor Angst, Wut, Verzweiflung, Enttäuschung, den Worten seines Vaters über Verstümmelung und Tod, und wegen seines Alkoholkonsums gestern Abend. "...mir ist schlecht." Er sprang von der Bank auf und rannte um die nächste Hausecke.
Diese Worte seines Vaters hatten ihm zugesetzt. Er hatte nun Angst, dass er seine Familie enttäuschen könnte und dass seinem Vater etwas während der Verteidigung des Dorfes passierte. Worte von Tod, Verstümmelung, Schmerzen... solch eine Verabschiedung wollte er nicht.
Arendor verließ, von Aleuin gefolgt, das Zimmer. Leyron blickte noch einmal auf den Zwerg, griff nach seinem Bündel und folgte ihnen dann ebenfalls. Mit schnellen Schritten trat er aus der Stube hinaus und holte Aeluin ein, ehe sie das Haus verlassen konnte. „Aeluin ... Bitte warte!“ wandte er sich an sie und blickte bereits einen Augenblick später in ihre faszinierenden grünen Augen.
Gebannt von ihrem Blick, huschte ein Lächeln über sein ernstes Gesicht.
„Ich habe eine Bitte an dich. Kannst du mein Bündel an dich nehmen? Es ist nicht viel, aber mir liegt etwas daran, es unversehrt zu wissen.“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
„Danke“, raunte er und hob sanft seine nun freie Hand an ihre Wange. Ihre Haut war so zart. „Gib auf dich Acht, Aeluin. Ich möchte dich gerne wieder sehen und vielleicht einen anderen Anfang finden.“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Kaum berührte Leyron ihre Wange, begann ihr Herz zu hämmern und tausende Schmetterlinge flogen in ihrem Bauch auf. Für einen Moment schloss Aeluin die Augen. Wie gerne hätte sie in diesem Moment die Zeit angehalten. Doch sie musste gehen, weg von dem Mann, dessen Finger leicht ihre Wange streichelten.
Sie öffnete wieder die Augen und sah Leyron mit einem Lächeln an.
„So schlimm fand ich unseren Anfang gar nicht. Immerhin hast du tanzen gelernt und …“
Aeluin dachte an den Kuss, den Leyron ihr – oder sie ihm – gegeben hatte. Für einen kurzen Moment, versuchte Aeluin diesem Kuss mit der Zunge nachzuschmecken. Doch erwähnen wollte sie ihn auf keinen Fall. Sie wusste nicht, ob Leyron ihren Brief schon gelesen und ihr verziehen hatte.
Ein Schmunzeln regte sich in Leyrons Gesicht. Und was weiter, wollte er fragen – sie mit Gesten auffordern – sie küssen. Doch schien es nicht angebracht. Sie hatte den ganzen Tag kühl auf ihn gewirkt, sich von ihm distanziert. Und auch wenn er jetzt nichts davon spürte, wusste er nicht wirklich, wie er sie zur Zeit einschätzen sollte.
Zu gerne hätte er nun gewusst, ob der Brief wirklich von ihr war und was da an ihn geschrieben stand.
„Es gibt sicher noch vieles, das ich von dir lernen könnte, Aeluin. Noch ein Grund mehr, dass wir uns wieder sehen sollten. Nicht wahr?“
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin ließ ein leises, angenehmes Kichern vernehmen. „Was kannst du, Krieger, denn noch alles nicht?“ Aeluin hatte für den Moment vergessen, dass die Zeit drängte und sie aufbrechen musste. „Doch wenn es etwas gibt, was ich dir beibringen kann, so will ich es gern tun.“
Aeluin lächelte Leyron an und entblößte ihre weißen Zähne. Dann fügte sie hinzu: „Ja – wir sollten uns unbedingt wieder sehen. Vielleicht gibt es ja auch Sachen, die du mir beibringen kannst.“
Sie blickte in Leyrons Gesicht, auf welchem wieder sein unverkennbares Grinsen zu sehen war. Einen Moment zögerte sie noch, doch dann senkte sie den Arm, mit welchen sie Leyrons Bündel an sich gedrückt hatte. Rasch ging sie die zwei kleinen Schritte, welche sie von Leyron trennten und küsste Leyrons Lippen, welche er ihr bereitwillig zu wandte.
‚Sollen doch die anderen denken, ich würde mich Leyron an den Hals werfen’, dachte Aeluin. ‚Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich ihn küssen kann.’
Kaum hatte sich dieser Gedanke, welcher sie in die Wirklichkeit zurückbrachte, in ihren Kopf geschlichen, griff ihr freie linke Hand um Leyrons Hüfte und krallte sich am Ende des Lederschutzes fest. Ihr Körper kam Leyron noch ein Stück näher und ihr Kuss wurde leidenschaftlicher.
Für einen Wimpernschlag lang wusste Leyron kaum, wie ihm geschah. Er hatte viele Möglichkeiten vor Augen gehabt, wie ihr Abschied aussehen könnte … Dass sie ihn jedoch von sich aus küssen würde, daran hatte er nicht gedacht. Nicht nachdem, wie sie sich seit dem Mittag ihm gegenüber verhalten hatte.
Doch kaum dass ihr Kuss leidenschaftlicher wurde, er den lieblichen Duft ihrer zarten Haut einatmete, ging er auch schon bedingungslos darauf ein. Er spürte ihre Hand, die versuchte sich einen Weg unter seinen Lederschutz zu suchen. Leyron öffnete Aeluins Lippen sanft mit seiner Zunge. Er erforschte ihren Mund und genoss ihre Nähe und die Zärtlichkeit, die er in diesem Augenblick mit ihr teilen konnte.
Leyron umfasste seinerseits Aeluins Taille, ließ zügig seine Hände ihren Rücken hinaufwandern und drückte sie noch enger an sich heran – gerade so weit, dass die Verschnürung des Köcherriemens sie nicht schmerzte.
Wilder wurde das Spiel seiner Zunge und fordernder sein Kuss – bis er am oberen Ende der Treppe zuerst einen Schatten wahrnahm, und nur einen Atemzug später eines der kleinen Kinder des Hauses erkannte.
Kaum dass er das Kind realisiert hatte, ging alles ganz schnell. Krabbelnd bewegte sich Aeluins Neffe auf die erste Stufe zu. Leyron löste sich unsanft von Aeluin, die mit dem Rücken zur Treppe stand und eilte die Stufen hinauf. Gerade noch rechtzeitig, sodass Diranion nur die ersten beiden Stufen hinabrutschte und sich nicht ernsthaft verletzte.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin war überrascht, wie Leyron die Situation ausnutze. Sie hatte das nicht bedacht, als sie zu ihm getreten war. Der Gedanke, dass Leyron sterben könnte, war schnell wieder aus ihrem Kopf verschwunden. Wie sollte auch ein Mann sterben, in welchem so viel Leben und Leidenschaft steckten?
Aeluin überlegte, was sie tun sollte. Eine Stimme in ihr sagte, dass sie zu weit ging. Wenn sie sich das nächste Mal treffen würden, würde sie sich Leyron vielleicht nur mit Mühe auf Abstand halten können. Sie war noch lange nicht bereit, sich näher auf ihn einzulassen.
Auf der anderen Seite fühlte es sich wunderbar an, von Leyron geküsst zu werden. Es war, als würden plötzlich alle Sorgen und Nöte aus ihrem Leben verschwinden und sich alles auf diesen Kuss reduzieren: Auf die Zärtlichkeit und das Begehren Leyrons.
Abrupt beendete er den Kuss und Aeluin kam sich vor, als würde sie nach dem Tauchen wieder an die Seeoberfläche kommen. Ihr Herz hämmerte und ihr Atem ging schnell, als sie sich umdrehte, um zu sehen, wohin Leyron gegangen war.
Sie sah gerade noch, wie Leyron Diranion auffing. Sie stieß einen kleinen Schreckensschrei aus. Dann bemerkte sie, wie Lugreda angerannt kam und Leyron unter Dankesworten den kleinen Mann abnahm. Hinter ihr kam Damrod angetappst. Er sah sehr müde aus und hatte die Augen nur ganz leicht geöffnet, um sie gegen die Helligkeit zu schützen. Lugreda nahm ihn an die Hand und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinab.
„Kommst du auch Luin?“ sagte Lugreda zu ihrer Schwester. Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern ging mit ihren Kindern nach draußen.
Aeluin sah nach oben zu Leyron, welcher noch immer auf der Treppe stand. Was sollte sie nun machen? Sich in dieser Distanz von ihm verabschieden? Das wäre ihrer Ansicht nach das Vernünftigste. Aber wäre es nicht unhöflich Leyron gegenüber? Aeluin wusste nicht, ob Leyron ihr ihr Verhalten vom Nachmittag verziehen hatte. Sie wollte ihn nicht schon wieder vor den Kopf stoßen. Unschlüssig blieb sie stehen.
Erleichtert blickte Leyron Lugreda und ihren Kindern nach, bis sie ihm den Blick auf Aeluin wieder freigaben. Sofort war das warme Gefühl wieder da, das er zuvor bei ihrem Kuss verspürt hatte. Oh ja … Er sehnte sich danach, sie wieder in seine Arme schließen zu können. Sie hatte ihm wahrlich einen Grund gegeben, ihre Rückkehr herbei zu sehnen.
Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und wenn sie nicht auf Aeluin warten sollten, dann musste sie nun hinaus und zu ihrer Familie auf den Wagen steigen. Leyron stieg die Stufen hinab, seinen Blick nicht von Aeluin wendend.
Bei ihr angekommen, hatte sie das Bündel wieder vor die Brust gedrückt. Sie ging auf Abstand. Leyron blieb zwei Schritte vor ihr stehen und blickte sie schweigend an. Sein Blick schien ihr nicht ganz zu behagen und doch zogen sie einander an. Flink näherte er sich ihr dann doch und drückte ihr einen sanften Kuss auf die noch geröteten Lippen.
Ebenso schnell aber brachte er daraufhin auch wieder Abstand zwischen sich. Sie musste gehen, auch wenn er den Abschied lieber in die Länge gezogen hätte.
„Geh Luin! Vielleicht lässt ein Wiedersehen dann nicht so lange auf sich warten. Ich werde hier sein, wenn du heimkehrst.“
Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln und hoffte darauf, dass ihr, während ihrer Abwesendheit aus dem Dorf, nichts geschah.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
‚Warum schafft Leyron das, was mir nicht gelingt?’ dachte Aeluin, als sie Leyrons sanften, aber kurzen Kuss spürte. ‚Ich hätte ihn so küssen sollen, dann würde er bei unserer nächsten Begegnung nicht mehr von mir verlangen, als ich ihm zu geben bereit bin.’
Doch als Aeluin dann Leyrons Gesicht sah, welches sie so liebevoll anlächelte, glaubte sie, dass er ihr auch den Abstand geben würde, den sie verlangte. Aeluin versuchte jedes kleine Detail von Leyrons Gesicht in ihr Gedächtnis aufzunehmen. Jetzt wünschte sie, Areros wäre hier und würde ihr Leyrons Gesicht zeichnen. Sie glaubte nicht, dass er sie jemals wieder so anschauen könnte. Deshalb bemühte sie sich jede einzelne Rundung, jeden noch so kleinen Leberfleck und die Lage jeder Haarsträhne zu merken. Doch wusste sie schon, dass es ihr nicht gelingen würde.
‚Warum nur prägen sich die schönen Erlebnisse nicht so tief in unser Gedächtnis ein, wie die schrecklichen?’ Und schreckliche Bilder kamen Aeluin viel zu oft in den Sinn.
Ihr Blick wanderte von Leyrons Gesicht zu seinem Hals und Oberkörper. Sie sah seinen Köcher hinter seinem Rücken vorschauen und um Leyrons Taille hing sein Schwert. Sein Lederharnisch schien dick genug zu sein, um zumindest leichte Schwerschläge erst einmal abzuhalten.
‚Er ist ein Krieger’, dachte Aeluin bedrückt. Sie wusste nicht recht, wie sie damit umgehen sollte. Normalerweise hielt sie nichts von Männern, die in den Kampf zogen, um andere zu töten. Doch Leyron hatte seine Waffen angelegt, um Anthara und die Menschen hier zu verteidigen. Rechtfertigte das das Töten von anderen?
Aeluin schob den Gedanken beiseite. Sie mochte sich nicht im Streit von Leyron verabschieden. Doch sie wusste auch, dass sie auf die Frage eine Antwort finden musste, wenn sie sich ernsthaft auf ihre Liebe zu Leyron einlassen wollte.
Gern hätte Aeluin Leyron noch einmal in die Arme geschlossen, aber sie hielt sich zurück. Stattdessen erfasste sie die Fingerspitzen seiner rechten Hand, als sie zu ihm sagte: „Pass auf dich auf, Leyron.“ Sie hob den Blick, der auf seinen Fingern verweilt hatte, die mittlerweile ihre leichte Berührung erwiderten, zu Leyrons Gesicht. „Ich möchte dich lebend wiedersehen, Krieger!“
Ihr Mund lächelte ihn frech an, doch ihre Augen zeigten eine Spur von Traurigkeit und Sorge. „Achte – sofern es dir möglich ist – bitte auch auf Vater und Nirion.“
Plötzlich war die große Angst da und Aeluin fürchtete, dass sie weder ihren Vater, noch Nirion oder gar Leyron lebend wieder sah. Eine einsame Träne lief langsam ihre Wange hinunter. Aeluin wandte sich von Leyron ab und ging schnell hinaus. Sie wollte nicht, dass Leyron sie weinend sah oder sie zu trösten versuchte. Die Trennung von ihm fiel ihr schon schwer genug. Wenn sie schon sein musste, dann lieber kurz und schmerzlos. Vor dem Haus lehnte sie sich an die Hauswand neben der Tür und versuchte ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Vor dem Haus
Auch Leyron kam aus dem Haus und schaute sich suchend um, doch er bemerkte sie nicht. Mit raschen Schritten ging er um den Wagen herum. Aeluin seufzte.
Diese Worte seines Vaters hatten ihm zugesetzt. Er hatte nun Angst, dass er seine Familie enttäuschen könnte und dass seinem Vater etwas während der Verteidigung des Dorfes passierte. Worte von Tod, Verstümmelung, Schmerzen... solch eine Verabschiedung wollte er nicht.
Arendor sah die Träne, welche auf Lundors Gesicht hinunterlief, als dieser ihn endlich ansah. Er sah sehr blass aus, sofern Arendor das im spärlichen Fackelschein ausmachen konnte. Gerade wollte Arendor auch Lundor in die Arme schließen, als dieser schon um die Hausecke gelaufen war.
Er wollte ihm hinterher laufen, doch dann fiel sein Blick auf Aeluin, welche gerade aus dem Haus lief und sich an die Hauswand stellte. Arendor drehte sich zu Lendil, welcher sich verstohlen die Tränen abwischend, nach Lundor umsah. So sah Arendor nicht, dass auch Leyron aus dem Haus gelaufen kam.
Eigentlich sollte er jetzt zu Lundor gehen, doch noch einmal schaute er zu Aeluin.
Aeluin schaute sich um und ihr Blick blieb bei ihrem Vater hängen, der gerade mit Lendil sprach. Seine Rüstung schimmerte silbern und er wirkte auf einmal sehr furchteinflößend und fremd. Erst jetzt ging Aeluin richtig auf, dass ihr Vater Soldat gewesen war. Diese Tatsache drang tief in ihr Bewusstsein ein und traf sie wie eine Faust. Sie stand an der Mauer des Hauses und lehnte sich dagegen.
Unmengen von Gedanken strömten durch ihren Kopf. Ihr Vater war ein Soldat Gondors gewesen. Er hatte eine Rüstung, die den Baum Gondors zeigte.
War das noch ihr Vater? Der Mann, der ihr und ihren Geschwistern beigebracht hatte, dass der Kampf nichts Erstrebenwertes ist, sondern dass man um Frieden bemüht sein sollte. Dass jedes Leben genauso viel wert war, wie sein eigenes.
‚Wieviele Männer hat Vater wohl getötet?’
Aeluin konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. War ihr Vater nicht besser, als der Mann, den sie vor Jahren gesehen hatte und dessen Taten sie nicht vergessen konnte?
Durch die Tränen nahm Aeluin Damrod wahr, der verschlafen und orientierungslos vor ihr stand und nach seiner Mama weinte. Aeluin nahm ihn hoch und sprach mit tröstenden Worten auf den Jungen ein. Doch ihre Gedanken waren noch immer bei ihrem Vater und dessen Leben, von dem sie nichts wusste und welches ihr Angst machte.
„Was los, Tante Luin?“ drang Damrods ängstliche Stimme an Aeluins Ohr. „Warum weinst du? Ich will in mein Bett zurück!“
Aeluin zwang sich zu einem Lächeln und sagte zu ihrem kleinen Neffen: „Hab keine Angst, Damrod. Wir machen einen kleinen Ausflug. Das wird bestimmt ganz spannend.“
In diesem Moment kam Lugreda und nahm Aeluin den Jungen ab. Lugreda wollte etwas sagen, doch auch Arendor war zu ihnen getreten und schickte sie mit einer Armbewegung weg.
‚Ich muss mit ihr reden’, sagte sich Arendor. Er drehte sich zu Lendil.
„Lendil“, sagte Arendor zu seinem jüngsten Sohn. „Schau bitte nach Lundor … Sag ihm, dass ich gleich zu ihm komme. Ich möchte nur einen kurzen Moment mit Aeluin sprechen.“
Schnell ging Arendor zu ihr, auch wenn er dafür eigentlich keine Zeit hatte.
Vor dem Haus mit Aeluin
„Aeluin“ , sagte er sanft und strich durch ihr dunkles Haar. „Ich weiß, es gäbe so viel, was ich dir sagen sollte und müsste. Doch nun fehlt die Zeit.“
Er blickte in Aeluins verzweifelte Augen und es brach ihm fast das Herz, sie so zu sehen. Er wusste, dass er der Grund für ihre Verzweiflung war. Und es machte ihn wütend, dass er nun keinen Moment Zeit hatte, um ihr zu erklären, warum er sein Soldatenleben immer verschwiegen hatte.
„Ich weiß, dass ich dir – euch allen – von meiner Vergangenheit hätte erzählen müssen. Ich dachte nicht, dass ich jemals wieder zum Schwert greifen muss. Doch nun geht es darum das Dorf und meine Familie zu verteidigen.“ Er packte das Gesicht seiner Tochter mit beiden Händen und sagte: „Ich muss das tun, Aeluin! Verstehe doch Liebes!“
Aeluin nickte nur. Doch ihr Blick blieb genauso verzweifelt, wie vorher.
Arendor drückte seine Tochter fest an sich, soweit es in seiner Rüstung ging. „Aeluin. Verzeih mir bitte.“
Aeluin hörte die Worte des Mannes, von dem sie bisher immer dachte, dass sie ihn kannte. War es jetzt die Wahrheit, die er sagte? Oder stellte sich bald alles wieder als Lüge heraus?
Erst als ihr Vater sie umarmte und sie an seine harte Rüstung drückte, wusste sie, dass er trotz allem noch ihr Vater war – so wie sie ihn kannte: Liebevoll und beschützend.
Sie erwiderte die Umarmung, auch wenn er das nicht spüren konnte, und sagte unter Schluchzen: „Vater. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Alles hat sich so schnell verändert.“
„Ich weiß, Aeluin. Ich wünschte nicht weniger als du, dass es keinen Angriff gäbe. Doch es wird ihn wohl geben und wir müssen uns trennen. Ich brauche deine Hilfe. Du musst deiner Mutter und deinen Schwestern mit den Kindern helfen. Mach den Dorfbewohnern Mut, wenn sie Angst haben und beruhige sie. Sie werden auf dich hören.“
Arendor nahm ein wenig Abstand von seiner Tochter. „Vor allen Dingen musst du auf Lundor und Lendil acht geben. Ich habe mit ihnen geredet und sie haben mir versprochen, ohne Probleme mit euch zu ziehen. Aber in ihnen steckt mein Kampfgeist und ich weiß, dass er schwer zu bezwingen ist. Du musst sie aufhalten, wenn sie versuchen sollten, nach Anthara zurückzukehren. Sie sind nicht bereit für diesen Kampf. Erinnere sie an das Versprechen, was sie mir gegeben haben. Halte sie auf. Versprich es mir!“
Aeluin atmete tief durch. Ihr Vater hatte Recht. Sie musste auf ihre beiden Brüder aufpassen. Sie würden es nicht leicht aufnehmen, dass sie mit den Frauen und Kindern mitgehen mussten.
„Sie werden bei uns bleiben. Dafür sorge ich“ , sagte Aeluin mit fester werdender Stimme. „Wir werden uns doch wiedersehen?“
Nun war der Moment da, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte: Sie würde Menschen, die sie liebte in eine Schlacht ziehen lassen und die große Gefahr bestand, dass sie nicht lebend zurückkehrten.
Sie klammerte sich an die Arme ihres Vaters, als gäbe es noch eine Möglichkeit, ihn mitzunehmen.