Madril hielt Erchirion noch eine Standpauke und Sarion sah auf seine Finger, die auf der Tischkante lagen. Standpauken anderer mitzuerleben war fast so schlimm wie selbst eine gehalten zu bekommen. Doch alle Erläuterungen des Hauptmannes waren logisch und so konnte Sarion ihm nur zustimmen.

Schließlich wurden sie entlassen um sich auf ihren Streifzug vorzubereiten. »Danke! Schlaf dich aus!«, sagte er noch an Erchirion gewandt, bevor er sich zu seiner Pritsche begab.

Heute wählte Sarion noch ein paar Socken mehr! Vermutlich würde er trotzdem kalte Füße bekommen, doch einen Versuch war es wert. Zum Glück war sein Umhang fast wieder trocken, sodass er nicht noch einen zweiten dreckig machen musste. Nachdem er alle unteren warmen Schichten angezogen hatte und in die Stiefel geschlüpft war, zog er seine Rüstung aus gehärtetem Leder über, die ihn wenigstens ein bisschen vor den feindlichen Attacken schützen würde. Metall wäre natürlich wirkungsvoller, dafür machte es mehr Lärm! Und man konnte sich noch schlechter darin bewegen.

Nach einigen Minuten war Sarion fertig angezogen und so begab er sich zum Lager und füllte seinen Köcher wieder auf und nahm sich eine Ersatz Bogensehne. Anschließend holte er sein Vorratspaket ab, verstaute es und gesellte sich dann zu den anderen, die bereits fertig waren. Er setzte sich auf ein Fass, zog sein Schwert und begann die Schneide mit einem Wetzstein zu schärfen, während er wartete.

Arcuen entging der scharfe Blick seines Hauptmannes nicht, als dieser Erchirion zurechtwies. Beschämt schaute der junge Dunedain zu Boden. Häufig war Madril Faramir sehr ähnlich, denn auch wie beim jüngsten Sohn des Truchsess hatte er das Gefühl, nichts verbergen zu können, wenn Madril in ansah. In diesem Fall war es aber wohl eher auf dessen langjährige Erfahrung mit den Rekruten zurückzuführen. Obwohl Arcuen seinen Hauptmann für ebendiese Fähigkeiten und seine Führungsqualitäten bewunderte, fühlte er sich in seiner Anwesenheit selten wohl.

Erchirion schien glücklicherweise eingesehen zu haben, dass eine Diskussion zwecklos war und verabschiedete sich mit niedergeschlagenem Blick. Die übrigen Waldläufer verstreuten sich, um sich für den Abmarsch fertig zu machen.

In Erinnerung an die Unbequemlichkeiten des Vortages nahm sich Arcuen so viele warme Sachen mit, wie sein schmales Gepäck dafür an Kapazität hergab. Sorgfältig schlug er den Bogen ein und verschnürte den Köcher. So würde es zwar einen Moment dauern, bis diese einsatzbereit waren, andererseits riskierte er sie ruinieren, wenn er bei einer solche Witterung nicht derartige Vorkehrungen traf. Bald hatte er alles beisammen und traf als einer der Ersten vor dem Ausgang der Höhle ein.

Mit Arcuen

Sarion saß noch nicht lange auf seinem Fass, als Arcuen auch abmarschbereit auftauchte. Der erfahrenere Waldläufer überlegte, ob er wirklich noch einmal was sagen sollte, rief den Jüngeren dann aber doch zu sich.

Als Arcuen sich zu ihm gesellte, sah er ihn ernst an. »Vermutlich gehe ich dir damit auf die Nerven... Aber versprichst du mir, dass du, sollte es zum Kampf kommen, auch daran denkst, dass du jung bist und jede übereilte Entscheidung oder törichte Handlung deinen Tod bedeuten kann!«, bat er ihn leise und sehr ernst. Ihm war Arcuens Erleichterung vorhin nicht entgangen, ebenso wie die Ungeduld, mit der er gewartet hatte, bis Madril sie endlich entließ. Und gestern war es eben auch nicht nur Erchirion gewesen, der über die Stränge geschlagen war!

Arcuen hatte Sarion, der auf einem Fass ein paar Meter entfernt saß überhaupt nicht bemerkt - bis dieser ihn zu sich rief, um ihm ein weiteres Mal über seine Rachegelüste zu belehren. Gern hätte er die Augen verdreht. Natürlich hatte der Ältere recht, aber es war ja auch nicht so, als man es ihm schon oft genug erklärt hätte! Er wusste doch, dass es falsch war, sich so von seinen Gefühlen lenken zu lassen und dass ihr Einsatz keinen persönlichen Zwecken diente, aber manchmal ging seine impulsive Art halt einfach mit ihm durch. Reichte es nicht, dass Anborn und Madril ihn dafür tadelten?

»Ist ja gut...«, antwortete Arcuen und versuchte dabei den genervten Ton in seiner Stimme zu verbergen.

Was dachte er da überhaupt für einen Unsinn?! Sarion machte sich bloß nur Sorgen und meinte es gut. Wie anmaßend war es von ihm, sich auch noch über seinen Kameraden, der ihm bloß helfen wollte, zu ärgern, wenn der Fehler doch bei ihm selbst lag. War ihm überhaupt zu helfen?

Arcuen zog die Kapuze ins Gesicht und setzte sich an den Eingang, hoffend, dass Sarion es dabei belassen würde.

Madril



Nachdem Anborn wegen seiner Verletzung in Henneth Annûn blieb, würde außer Madril mit Maradir nur ein weiterer Offizier mitkommen. Der Hauptmann beriet sich mit ihm und den drei Feldwebeln der Kompanie noch eine Weile über das weitere Vorgehen. Kurz vor der Zeit zum Abmarsch gingen sie in voller Ausrüstung zum Ausgang, wo sich die Soldaten noch im Inneren der Höhle versammelt hatten. Beim Auftauchen des Hauptmannes verstummten ihre Gespräche und sie blickten zu ihm.

"Kameraden!" sagte der Hauptmann. "Nach einer kurzen Besprechung habe ich beschlossen, dass wir aus Gründen der Tarnung nicht als eine geschlossenen Truppe marschieren, sondern in acht Gruppen zu acht Mann. Die einzelnen Gruppen werden von folgenden Kameraden angeführt: Leutnant Maradir, Oberfeldwebel Handir, den Feldwebeln Falmir und Magor sowie den Unteroffizieren Caliondo, Sarion, Darandos und Belegor. Je zwei Gruppen marschieren in Sicht- und Hörweite nebeneinander. Die Gruppen von Falmir und Sarion marschieren vorneweg, dahinter folgen Caliondo und Handir, dahinter Magor und Darandos und am Ende folgen die Gruppen von Belegor und Maradir.

Und falls ich euch fragt, wo ich bleibe, so sei gesagt, dass ich abwechselnd bei den beiden vordersten Gruppen sein werde. Tretet nun vor der Höhle an und stellt euch hinter die eingeteilten Führer der Gruppen!"

Sarion seufzte, als Arcuen sehr gereizt reagierte und irgendwie auch wenig Einsehen zeigte. Vielleicht war seine Warnung auch übereilt gewesen, doch er wollte wirklich nicht, dass dem jungen Mann etwas passierte, nur weil er zu hitzköpfig handelte. Doch er beließ es dabei und sah Arcuen nur kurz nach, der sich nahe des Ausgangs einen Platz suchte.

Wenig später erschien Madril und forderte ihre Aufmerksamkeit. Sarion schob das Schwert zurück in die Scheide und erhob sich. Der Hauptmann erklärte seine Strategie, die Sarion einleuchtete. Über sechzig Mann würden wirklich eine Menge Geräusche machen. Doch er war erstaunt, dass er das Kommando über eine Gruppe erhielt. Natürlich brachte es seine Position als Unteroffizier mit sich und vielleicht war es eine gute Gelegenheit, um seine Qualitäten als Offizier unter Beweis zu stellen. Sarion fühlte sich geehrt. Noch dazu teilte man seine Gruppe vorne ein, sodass sie den Weg auskundschaften und den Feind aufstöbern würden!

Dass Madril mal hier mal da bei den vorderen Gruppen sein würde, beruhigte Sarion jedoch. Der ältere Waldläufer kannte sich einfach weit besser aus, als er selbst. »Sieben Mann zu mir!«, rief Falmir, nachdem Madril geendet hatte. Bewegung kam in die Männer. »Sechs Mann und Arcuen zu mir!«, kommandierte Sarion als nächstes und begab sich zum Ausgang. Er zwinkerte Arcuen zu, hoffte jedoch, dass dieser im Stoßtrupp nichts anstellen würde, indem er übereilt handelte. Doch so hatte Sarion ihn wenigstens im Blick und das beruhigte ihn wieder. Außerdem kam er mit dem jungen Mann recht gut zurecht.

Vor der Höhle war es kühl, doch wenigstens regnete es heute nicht, auch wenn ein feiner Nebel zwischen den Bäumen hing.
Die andern Kommandanten sortierten ebenfalls ihre Männer und schließlich standen die acht Gruppen zum Abmarsch bereit und warteten auf den Abmarschbefehl des Hauptmannes.

tbc: Wälder und Wiesen

Madril unterteile den Trupp in mehrere kleine Gruppen, eine davon würde Sarion anführen. Es wunderte Arcuen nicht, dass dieser ihn zu sich beorderte - er hätte es wohl auch von selbst getan - aber dieser Befehl kam ihm doch etwas seltsam vor. Hatte er vor, auf diese Weise zu überwachen, wie er sich verhielt? Mit skeptischem Blick stand er langsam auf und gesellte sich wortlos zu der Gruppe, die sich um Sarion sammelte. Er fühlte sich ein bisschen behandelt, wie ein kleiner Bengel, bei dem man acht geben musste, dass er nichts Dummes tat wenn man mal nicht hinsah.

Doch erneut verwandelte sich sein Trotz in Empörung über seine eigenen Gedanken. Er konnte froh sein, mit dem Älteren gehen zu können! Dieser hatte immer ein offenes Ohr, war ein guter Soldat mit einiger Erfahrung und obendrein ein netter Kerl. Arcuen zwang sich zu einem Lächeln, dass aber durchaus aufrichtig gemeint war, und sagte: »Wir sind vollzählig, worauf warten wir also noch? Ich kann es kaum erwarten, bei dem Wetter nach draußen zu kommen...«

tbs: Wälder und Wiesen

cf: Wälder und Wiesen

Irgendwie war es beruhigend, dass es einem erfahrenen Hauptmann auch nicht anders ging als den jüngeren Soldaten. Trotzdem hoffe Sarion, dass das dumpfe Gefühl in seinem Inneren sich nach einer guten Mahlzeit legen würde, obwohl er wusste, dass die Enge in der Brust nicht vom Hunger kam.

Bald brachen wie wieder auf und legten den restlichen Weg zu den Höhlen zurück. Dort wurden sie bereits erwartet, doch die freudige Begrüßung der Kameraden wandelte sich ebenso schnell in Trauer um die gefallenen Kameraden. Zum Glück waren nun noch weitere ausgeruhte Männer zur Stelle, die ihnen halfen. Als schließlich alle Verletzten versorgt und die Gefallenen aufgebahrt waren, konnte Sarion sich endlich aus den blutbesudelten, klammen Kleidern schälen und sich waschen.

Inzwischen knurrte sein Magen ziemlich, denn die Höhle duftete nach gebratenem Fleisch und frischem Brot. »Ich werde Erchirion gleich gehörig auf die Schulter klopfen!«, meinte er zu Arcuen, während er ein frisches Hemd überzog.