Lenor bekam nichts von alledem mit. Nach seiner üblichen Prozedur, die aufgrund der gegebenen Umstände nur geradewegs befriedigend ausfallen konnte, dem Versorgen seines Pferdes, einer guten Stunde des grasen-lassens, während er selbst etwas aß, legte er sich auf sein Lager nieder und schlief ohne Erwachen bis zum nächsten Morgen durch.
Thorin schaute drein, als ob Ihm jemand aufgetragen hätte die sieben Mauerringe Minas Tiriths pechschwarz zu streichen.
Er verstand die Welt nicht mehr.
›Da bekomme ich eine Nachricht von Heermeister Faramir persönlich mich so schnell wie möglich nach Osgiliath zu begeben und jetzt ist diese Mission so unwichtig, dass er mich nicht einmal anhören will?‹
Thorin gestand sich ein, dass sein plötzliches Erscheinen vielleicht etwas überraschend erschien. Er hatte ja auch nicht damit gerechnet hier mitten im Wald auf die beiden Heermeister mit Ihren Truppen zu stoßen. Möglicherweise war auch die Art seine Ankunft zu melden etwas ... überstürzt, aber er konnte einfach nicht verstehen, warum er hier so Unwillkommen erschien.
Kälte überkam ihn. Er wusste dass er hier mal wieder alleine sein würde. Niemand würde ihn verstehen.
›Murin ... Drár? Wo seid ihr bloß? IHR hättet mich hier herzlich empfangen und nicht so unfreundlich und mürrisch wie seine Vorgesetzten und Brüder. Brüder? Sollten diese Männer hier wirklich soetwas wie "Brüder" sein...‹
Unwillkürlich wurde er aus den Gedanken gerissen, als Boromir vor ihn trat, seine Hand unsanft auf seine Schulter setzte und Ihn ungeduldig fragend anschaute.
Thorin wurde unbehaglich in Gegenwart dieser Person. Boromirs Gesichtszüge wurden von dem tanzenden Licht des Feuers umspielt und machten es noch grimmiger als es sonst so oft erschien, als Thorin ihm im Lauf seiner Ausbildung begegnet war.
»Heermeister Faramir sande mir vor einigen Tagen eine Botschaft mit einem Falken. Diese Botschaft besagte, dass ich meinen Wachposten an den Grenzen des Landes Rhûn so schnell wie möglich verlassen und mich unverzüglich nach Osgiliath begeben soll. Ich ging davon aus, dass mich der Heermeister erwarte und er dringend mit mir zu sprechen vermag!«, entgegnete Thorin dem Oberheermeister.
Faramir hatte vollkommen Recht damit, sich einfach wieder hinzulegen und weiter zu schlafen. Alles was nicht dringend war, hatte auch bis Morgen früh Zeit. Und so verwies er Thorin auch einfach an Boromir, welcher sich nun ihm annahm.
Nach seiner Erklärung nickte Boromir und sprach dann etwas ruhiger. "Lass uns ein Stück gehen ..." Gemeinsam verließen sie den Ort, an welchem Faramir schlief. Auch die anderen Waldläufer um ihn herum steckten ihre Schwerter weg und legten sich wieder schlafen.
Als sie sich ein Stück entfernt hatten, blieb Boromir stehen und sah den Waldläufer wieder ernst an. "Möglich dass Faramir dich aufgefordert hat nach Osgiliath zu kommen. Möglich, dass er es vergessen hat. Aber das glaube ich weniger. Vielmehr glaube ich, dass er sich gerade nicht dran erinnern 'wollte', da du ihn mitten aus dem Schlaf gerissen hast." Er hätte wohl auch nicht anders reagiert. Und alles weitere konnte Faramir auch noch morgen mit dem Waldläufer besprechen. "Aber eines sag ich dir! So ein Verhalten, wie du gerade an den Tag gelegt hast, kann ich auf den Tod nicht ausstehen! Also denke das nächste mal bitte ein bisschen nach!" Der Waldläufer wusste ja nicht, dass die Ranger einen harten Tag, an welchem sogar ein Orküberfall stattgefunden hatte, hinter sich hatte und gerne etwas Ruhe hätten.
Owain betrachtete die Situation mit solch einer Überraschung, das er sich außer Stande fühlte, einzugreifen. Auch schien ihm Thorins Anliegen von höchster Dringlichkeit. Als dann aber die Soldaten und Waldläufer neben ihm die Schwerter zogen, wurde ihm die Sache doch etwas unheimlich. Hatte er vielleicht doch einen Attentäter ins Lager geschleust? Dann trat Hauptmann Boromir zu Thorin und führte ihn etwas abseits. Owain wartete bis Boromir sein Gespräch mit dem verwirrten Waldläufer beendet hatte. Er konnte ihn schlecht sich selbst überlassen.
"Das hört sich ja interessant an! Ja, das interessiert mich schon...das Leben in Minas Tirith ... Aber nicht mehr heute, ich bin ziemlich müde jetzt, wo ich endlich satt bin!" antwortete Gwaenas seinem Freund und nahm noch einen Schluck aus dem Wasserschlauch. Dann legte er sich hin, deckte sich mit seinem Mantel zu und schlief augenblicklich ein.
»Gut. ICh werde mich nun auch schlafen legen, morgen wird wahrscheinlich ein anstrengender Tag, obwohl ich ja hoffe das wir nah an Osgiliath sind«, sagte er.
»Gute Nacht«, flüsterte er, drehte sich ,deckte sich mit seinem Umhang und einer weiteren Decke zu und schlief nach einigen Minuten ein.
Nach der Standpauke von Boromir wollte und konnte Thorin nicht mehr viel sagen. Er fühlte, wie ihn ein Gefühl purer Einsamkeit überkam. Dazu kam dieses Unbehagen, welches er in der Gegenwart des Oberheermeisters verspürte.
»Entschuldigt bitte mein Verhalten Heermeister Boromir! Es ward wohl etwas unangemessen! Es wird nicht wieder vorkommen!«, gab Thorin mit knirschenden Zähnen und gespieltem Bedauern von sich. Dabei verbeugte er sich leicht vor Boromir, um seine Worte durch eine Geste des Zugeständnisses zu unterstreichen.
»Ich werde morgen das Gespräch mit Heermeister Faramir ersuchen.«
Thorin verspürte plötzlich einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen. Dabei war es nicht einmal wirklich kühl. Er als Waldläufer war es ohnehin gewohnt bei Wind und Wetter draußen zu sein und so verspürte er auch keine Kälte - zumindest nicht in dieser Jahreszeit.
Er fühlte sich in der Natur zuhause. Die Tiere waren seine Freunde und die Zwerge aus den Eisenbergen seine Familie. Die Waldläufer sollten seine Brüder sein... Er mochte seine Arbeit und für seine Waffenbrüder würde er durchs Feuer gehen, das wusste er. Dennoch fühlte er sich häufig unverstanden und fehl am Platz.
Das war wohl auch der Grund, weshalb er am Liebsten allein unterwegs war.
Er schaute Boromir tief in die Augen. Er spürte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Auch wenn er sich diesen selbst nicht eingestehen wollte.
Boromir hörte Bedauern in Thorins Stimme. Hätte er die Gabe seines Vater besessen und könnte so auch in den Herzen der Menschen lesen, hätte er wohl mitbekommen, dass dieses nur gespielt war. Aber er besaß diese Fähigkeit nicht und so nahm er die Entschuldigung Thorins an.
"Gut, dann wäre das ja vorerst geklärt. Ich werde mich nun auch zurückziehen. Eine angenehme Nacht ..." Mit diesen Worten verließ der Hauptmann den Neuankömmling und suchte sich einen Schlafplatz. Er gesellte sich in die Ecke seiner Soldaten und entledigte sich noch von der restlichen Rüstung. In dieser schlief es sich sehr unbequem.
Nicht lange nachdem er sich hingelegt hatte, schlief der Hauptmann ein und fiel in einen traumlosen Schlaf. Sollte etwas in der Nacht vorfallen, würde ihn jemand wecken. Da hatten seine Männer das vollste Vertrauen.
Owain sah den verwirrten Waldläufer an. Es war keine besondere Gabe notwendig um zu erkennen das er sich jetzt, nach dem Hauptmann Boromir weg war, lieber irgendwo anders aufhalten wollte, allein. Owain trat zu ihm.
»Wenn ihr Lust habt könnt ihr Euch zu uns gesellen, momentan seid ihr sowieso eine bessere Unterhaltung als mein schlafender Freund da drüben. Wenn ihr schon einmal hinüber gehen und ihn wecken würdet, ich werde versuchen Damrod etwas Fleisch für uns Drei abzuluchsen.«
Owain lächelte Thorin an und wies in Richtung Curons, der trotz des Tumultes immer noch schlief. Der Tag musste unwahrscheinlich hart gewesen sein.
Nachdem sich Boromir von ihm getrennt und sich einen Schlafplatz suchte, verpürte auch Thorin plötzlich eine große Müdigkeit. Er war seit Tagen auf den Beinen und hatte nun fast sein Ziel erreicht. Dazu kam dieser große Drang nach Einsamkeit.
Doch da kam Owain auf ihn zu und fragte, ob er sich zu ihm und ein paar anderen 'Brüdern' gesellen möchte.
Selbst das angebotene Fleisch konnte Thorin nicht aufheitern. Er wollte nur noch für sich alleine sein und irgendwo abseits von den anderen eine Schlafstätte suchen, wo er die Stunden bis zum Morgengrauen verbringen konnte.
Thorin warf Owain ein müdes Lächeln zu. »Habt Dank für Eure Einladung. Doch er war ein ein anstrengender Tag für mich. Ich werde es lieber den anderen gleich tun und mich schlafen legen!«
Mit diesen Worten verschwand Thorin im Dunkeln des Waldes.
Er lief einige Meter in den Wald hinein, bis er sich sicher war, dass ihn niemand mehr sehen würde, dann legte er sich auf eine weiche Stelle auf dem Boden und rollte sich in seinen Umhang. Er starrte auf die kleinen Flecken Himmel, die durch die Bäume über ihm zu sehen waren.
Frindol hatte eine Stelle nah bei den Bäumen gewählt und nachdem er eine weitere Decke auf den Waldboden ausgebreitet hatte, ließ sich Erchirion kraftlos darauf sinken. Die Entzündung machte ihm ganz schön zu schaffen und schwächte seinen kompletten Körper. Aber der junge Waldläufer hoffte, dass es ihm nächsten Morgen, nachdem er geschlafen hatte, besser ging.
Und so müde und erschöpft wie er sich im Moment fühlte, war er der festen Überzeugung, dass er schlafen würde. Sobald er wieder bei Kräften und das Fieber gesunken war, würde die Welt schon wieder viel besser aussehen. Erchirion bedankte sich noch einmal bei den beiden Soldaten für ihre Bemühungen, bevor er versuchte zu schlafen. Davan und Frindol hatten unweit von ihm ihr Lager aufgeschlagen und schliefen abwechselnd, um ein Auge auf den Verletzten zu haben. Eben genauso so, wie Frindol es angedroht hatte.
Der junge Mann fühlte sich durch die Fixierung eingeengt und gehemmt in seiner Bewegung, was ja auch sinn der Sache war, und so musste er es erst einmal schaffen sich zu entspannen. Irgendwann drehte sich Erchirion auf die rechte Seite, da ihm die Schulter so am wenigstens schmerzte, und schlief ein. Der junge Ranger hatte einen traumlosen, fast schon tiefen Schlaf, was wohl an dem Kräutergemisch lag, welches ihm Frindol als Tee verabreicht hatte. Zweimal war er in der Nacht aufgewacht, da er unerträglich fror und sein ganzer Körper zitterte. So gut es ging wickelte er sich in die beiden Decken ein und versuchte weiter zu schlafen, was auch nach einiger Zeit wieder gelang.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
›Was für ein sonderbarer Kerl.‹ Owain sah Thorin nach bevor er sich zum Feuer zurück begab. Curon schlief immer noch und Owain beschloß ihn auch nicht zu wecken. Er würde seine Fleischration für morgen früh für Curon aufbewahren. Owain war müde, die Geschenisse des Tages beschäftigten ihn zu sehr. Er starrte eine ganze Weile ins Fuer bevor er sich hinlegen konnte und einschlief.
Thenar erwachte, als die Vögel ihren ersten Gesang anstimmten. Es war noch recht dunkel, und die meisten Waldläufer schliefen noch.
Dem Waldläufer fröstelte; doch blieb er noch einen Augenblick liegen. An den Traum in der Nacht erinnerte er sich nicht mehr, er hatte sich richtig ausgeruht. Dennoch fühlte er, dass etwas anders war als sonst. Verwundert überlegte er, was es sein könnte und zog seinen linken Fuß unter den Mantel. Da spürte er plötzlich einen Schmerz im Fußgelenk.
'Nanu? Was ist denn mit meinem Fuß los?' Verwundert setzte sich Thenar auf und fühlte nach der schmerzenden Stelle. Zu seinem Erstaunen merkte er, dass sein Fuß nackt und am Gelenk geschwollen war. 'Was ist denn jetzt los? Das muss von dieser Baumwurzel gestern gekommen sein!So ein Mist! '
Ärgerlich erhob er sich und versuchte den Fuß zu belasten. Doch konnte er das nur bedingt tun, da ihm ansonsten das geschwollene Gelenk arge Schmerzen bereitete. 'Das fehlt mir noch! Wir wollen doch heute nach Osgiliath! Wahrscheinlich geht es dann gleich weiter zum Lebenin ... Wie soll ich da mithalten?'
Ihm wurde ganz warm vor Ärger bei diesen Gedanken. An die Pferde, die Boromirs Truppe mitgebracht hatte, dachte er gar nicht. Frustriert suchte er im Dunkeln seinen ausgezogenen Stiefel; wagte es aber gar nicht, ihn wieder anzuziehen. Dann humpelte der Waldläufer etwas in den Wald hinein, um sich bei einem Busch zu erleichtern. Auf seinem Rückweg ordnete er seine Kleidung und rückte sein Schwert und den Dolch zurecht.Schließlich setzte er sich an seinem Schlafplatz an einem Baumstamm und wartete, bis seine Kameraden erwachten. Dabei suchte er nach den Heilern, doch konnte sie in der erst beginnenden Dämmerung nicht ausfindig machen.
So hatte Thenar Zeit zum Nachdenken. 'Ich muss mir selber den Stiefel ausgezogen haben, weil er mir wegen der Schwellung Schmerzen bereitet hat ... Hoffentlich können die Heiler mir helfen! Ich will mit Faramir mitziehen ... Aber wer weiß ... So bin ich keine große Hilfe für ihn! Frindol wird sicher Rat wissen - er hat mir schon früher mal geholfen! Oh, das ärgert mich so! Warum habe ich gestern auch nicht auf den Waldboden geachtet und diese Wurzel gesehen!' Wütend schmiss er einen Tannenzapfen in den Wald hinein, wo niemand der Waldläufer schlief.
Gwaenas schreckte aus seinem Schlaf; er wusste selber nicht warum. Nicht weit von ihm konnte er den schlafenden Meowés in der Dunkelheit erkennen. Er setzte sich hin und blickte auf der Lichtung umher. Die meisten Waldläufer schliefen noch und die Wachen taten ihren Dienst. Gwaenas stand auf, um einen dringenden Bedürfnis nachzugehen und ging deshalb vorsichtig an seinen schlafenden Kameraden vorbei zu einem abseits gelegen Fleck am Waldrand. 'Bloß leise sein! Sonst wecke ich noch das ganze Lager!' sagte sich Gwaenas und atmete erleichtert auf, als er seine Notdurft verrichtet hatte. Gerade richtete er sich auf und schloß seine Kleidung, als ihn plötzlich etwas hart am Hinterkopf traf. Erschrocken rief er laut "Au ...Lass das!" , weil er dachte, dass sein Freund Meowés ihm gefolgt war und einen Streich mit ihm spielte. Schnell wirbelte er um seine Achse, doch konnte er zuerst in der Dunkelheit niemanden sehen. Dann entdeckte er einen Schatten, der schnell auf ihn zukam. Voller Panik schrie er deshalb laut:"Alarm! Wacht auf! Wir werden angegriffen!" und rannte wieder zurück, denn bis auf sein Messer hatte der junge Waldläufer seine Waffen an seinem Schlafplatz gelassen.
Boromir hatte einen ruhigen Schlaf. Da er in der Nacht kein einziges mal geweckt wurde, war dieser auch ganz erholsam gewesen. Erst als die Vögel schon sangen und sich der Tag mit großen Schritten ankündigte, war er durch einen Schrei aufgeschreckt worden. Sofort richtete sich der Hauptmann auf und verschaffte sich einen Überblick. Ein Waldläufer rief aufgebracht etwas von einem Angriff auf ihr Lager.
Sofort waren Boromirs Sinne geschärft und er griff zu seinem Schwert. "Zu den Waffen, Männer!" Niemand schlief mehr und fast ein jeder Soldat und Waldläufer war bereits auf den Beinen und wabnete sich für die Verteidigung. In solchen Momenten war es zu spät noch seine Rüstung überzuschmeißen. Es musste eben so gehen.
Boromir spähte in die Richtung, aus welcher die Stimme des Waldläufers kam. Der junge Mann lief nun aufgebracht herbei. "Wie weit sind sie entfernt und wieviele sind es?" fragte Boromir den Ranger. So ein Angriff am frühen Morgen hatte ihnen gerade noch gefehlt.
Faramir schreckte hoch, als er den Ruf seines Bruders zu den Waffen hörte. Er griff zu seinem Schwert und sprang auf.
Um ihn herum waren alle Männer aufgewacht und hielten ihre Waffen bereit, doch ein Feind war nirgends zu sehen. Faramir wandte sich an Anborn, der in der Nähe stand und offenbar schon länger wach war.
"Was ist los, Anborn?" fragte der Heermeister.
"Gwaenas hat eben Alarm geschlagen", antwortete der Waldläufer. "Da, er rennt gerade zu Herrn Boromir."
"Gwaenas? Warum schlägt dieser junge Tollpatsch Alarm?" Faramir war verwundert.
"Sieh mal nach den Wachen, Anborn!" befahl er. Der Waldläufer nickte und eilte davon. Faramir ging zu seinem Bruder, denn er wollte wissen, was Gwaenas zu melden hatte.
-------------------------------------------- "Ich bin Faramir, Heermeister von Gondor."
Erchirion schlief noch mehr oder weniger gut, als er durch einen plötzlichen Schrei von Boromir aus dem Schlaf gerissen wurde. Zuerst musste er sich orientieren, bis ihm die Erinnerungen wieder kam. Aber wo genau sie sich im Moment befanden, konnte er trotzdem nicht sagen, hatte er vom gestrigen Nachmittag so gut wie nichts mitbekommen. Erst hier war er wieder zu sich gekommen.
Boromir hatte zu den Waffen gerufen und ziemlich alle Männer waren aufgesprungen. Es war noch fast stockdunkel. Erchirions Herz begann zu rasen und er brach in Schweiß aus. Nur einen kurz Augenschwank nach rechts und er hatte sein Schwert im Blick. Er konnte es mühelos erreichen als er die Hand danach ausstreckte. Die Waffe in der Hand quälte er sich hoch, wobei er sich ein bisschen am Schwert abstütze. Die Decke, welche er noch über den Schultern hatte, rutschte zu Boden und blieb dort liegen. Nun stand er oben rum völlig frei, vom Verband, welcher die Wunden bedeckte und den Arm fixierte, einmal abgesehen, im Wald.
Der junge Mann atmete schwer. Sein Kreislauf versuchte ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, denn schon wieder wurde im schwindlig. Es war ja eigentlich auch nicht verwunderlich, hatte er schon einen Tag lang nichts mehr Essbares zu sich genommen. Aber er lebte, das wurde ihm gerade wieder bewusst. Solange er Schmerzen verspürte, lebte er auch noch ...
›Nein ... bitte kein Orks ... nicht schon wieder. ‹ Erchirion atmete schnell und drohte fast zu hyperventilieren. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber der Gedanke erneut von Orks angegriffen zu werden, machte ihm große Angst. Ein Gefühl, dass er sich eigentlich nicht erlauben durfte. Er hatte mitbekommen, dass Gwaenas Alarm geschlagen hatte und nun alle gespannt darauf waren, was dieser zu berichten hatte.
Erchirion überlegte, ob er sich wieder hinsetzen sollte, denn ihm war schummrig und seine Beine zitterten. Aber im Liegen konnte er sich nicht verteidigen. Viele der Waldläufer hatten ihre Bögen mittlerweile gespannt. Der junge Fürstensohn fragte sich, wo eigentlich seiner war. Gestern Mittag hatte Curon diesen noch gehabt.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Gwaenas rannte zurück zu seinem Schlafplatz, legte rasch seine Waffen an und rannte schnell zum Heerführer Boromir, der schon auf ihn zukam. Überall waren die Männer aufgesprungen und hielten aufmerksam ihre Waffen bereit. Doch herrschte allerseits Verwirrung und die Soldaten blickten fragend auf die Heermeister.
Deshalb beeilte sich Gwaenas und kam keuchend vor Boromir zu stehen. „Heermeister Boromir! Da … Da hat mich etwas am Hinterkopf getroffen und dann habe ich einen Schatten auf mich zukommen sehen!“ Gwaenas deutete aufgeregt in die Richtung, aus der er aus dem Wald gekommen war.
Wie Boromir schaute auch er dorthin, wo nun aus dem Dunkel ein Soldat auftauchte. Der Soldat rief beim Näherkommen mit ärgerlicher Stimme zu dem jungen Waldläufer: „He! Was soll das? Kannst du die Wachposten nicht mehr von Feinden unterscheiden?“
Gwaenas schrak entsetzt zusammen und erkannte plötzlich seinen Fehler! Betretenes Schweigen herrschte und alle Männer starrten ihn an! Er wurde rot bis unter die Haarwurzeln und wünschte sich brennend ein Loch im Boden, in das er sofort verschwinden könnte. Verzweifelt suchte sein Blick nach Meowés, doch er sah nur in wütende Gesichter. Er knetete verlegen seine Hände und scharrte mit dem Fuß im Waldboden. ‚Gwaenas du bist der größte Tollpatsch, den es je in Gondor gegeben hat! Ich kann von Glück sagen, wenn ich nicht aus der Armee gefeuert werde …’
Thenar hob lauschend den Kopf, als er eine Stimme aus dem Wald hörte. 'Wer ist denn da? Haben die Wachposten einen Feind entdeckt?' Vorsichtig erhob sich der Waldläufer und versuchte seinen schmerzenden Fuß so wenig wie möglich zu belasten.
Da rannte auch schon aufgeregt Gwaenas auf die Lichtung und rief zur Alarnbereitschaft. So schnell es Thenar vermochte, humpelte er zu dem Platz, an dem er geruht hatte. Kaum war er dort angekommen, rief Boromir alle Männer zu den Waffen.
Thenar bewaffnete sich und spannte einen Pfeil in den Bogen. Suchend schaute er sich um; er konnte die Worte des jungen Waldäufers an den Heerführer nicht verstehen, sah aber, dass Gwaenas schrecklich aufgeregt war.
'Das werden doch nicht wieder Orks sein? Das fehlt uns noch ...' Er schaute sich immer noch suchend nach einem Feind um und dabei entdeckte er Erchirion, der schwankend mit dem Schwert in der Hand neben dem Heiler stand. Seinem Gefährten war die Decke von den Schultern gerutscht und obwohl Thenar dessen Gesicht in der Entfernung und bei den Lichtverhältnissen nicht genau erkennen konnte, wusste er, dass es ihm gar nicht gut ging. 'Bei Eru ... der Junge kann in seinem Zustand doch nicht kämpfen!' Doch mitten in seinen Gedanken platzte der wachhabende Soldat und klärte die Situation auf. Thenar seufzte erleichtert auf und ließ den Bogen sinken. Kopfschüttelnd schaute er zu Gwaenas, der vor Scham am liebsten in den Boden sinken wollte. 'Gwaenas mal wieder ... Ob der Junge es noch schaffen wird, ein richtiger Soldat zu werden?'
Sehr aufgebracht berichtete ihm der junge Waldläufer, dass ihn jemand beworfen hätte und er einen Unbekannten im Dunkeln ausmachen konnte. Und so war er der festen Überzeugung, dass ihr momentaner Lagerplatz ausspioniert beziehungsweise im nächsten Augenblick angegriffen werden würde. Er wollte sich gar nicht beruhigen und Boromir dachte über das nun weitere Vorgehen nach.
Doch im nächsten Augenblick kam Diros, welcher unter anderen die letzte Nachtwache hatte, angelaufen und rief Gwaenas zu, ob er ihn nicht von einem Angreifer unterscheiden konnte. Also war alles nur ein Missverständnis gewesen. Boromir hätte schmunzeln können, wenn es nicht zu seinen Aufgaben gehört hätte, in solchen Situationen ernst zu bleiben. Der junge Mann vor ihm schien seinen Fehler langsam zu begreifen und sagte nichts mehr. Boromir konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, dass ihm die ganze Sache mehr als peinlich war und er wohl am liebsten davongelaufen wäre.
Schnell wechselte Boromir einen Blick mit Faramir. "Und du denkst, Bruder, ich hätte Männer mit sonderbarem Benehmen in meiner Truppe?" Natürlich war dies eine Anspielung auf Lenor gewesen. Doch der Ranger vor ihm schien genauso grün hinter den Ohren zu sein und der Hauptmann glaubte nicht, dass er schon recht viel Erfahrung im Kampf hatte. Er bezweifelte sogar, dass dieser jemals einem echten Feind gegenüber gestanden war. Er konnte sich was dies anging natürlich auch irren.
"Ein Glück, dass wir dich nicht zum Wachdienst eingeteilt haben. Wer weiß wie oft du uns in der Nacht geweckt hättest." Er sah den jungen Mann eindringlich an, welcher ganz kleinlaut geworden war. "Faramir, er gehört dir!" Sein Bruder kannte Gwaenas einfach besser und hatte auch ein besseres Händchen was die jungen Burschen betraf.
"Männer, da wir sowieso schon alle auf den Beinen sind, macht euch langsam zum Aufbruch bereit. In einer Stunde reiten wir los!" Jetzt hatte es keinen Sinn mehr sich noch einmal hinzulegen. Die Dunkelheit würde bald von der Morgendämmerung vertrieben werden und sie wollten ja so schnell wie möglich nach Osgiliath.
Wenn man in Erchirions Augen sah, konnte man so etwas wie Panik erkennen. Früher hatte er sich nie von diesem Gefühl übermann lassen, denn als Soldat konnte man sich so etwas nicht erlauben. Doch im Moment machte ihm der Gedanke, erneut von Orks angegriffen zu werden, schwer zu schaffen. Das ganze war wohl auf die Ereignisse des vergangenen Tages zurückzuführen.
Gwaenas kam angelaufen und berichtete Boromir von seine Entdeckung. Da Erchirion nicht all zu weit entfernt stand, konnte er jedes Wort verstehen. Als dann aber der Soldat beim Hauptmann erschien und das Missverständnis aufdeckte, merkte Erchirion wie sich Erleichterung in ihm breit machte. Aber gleichzeitig wurde die Panik von unsagbarer Wut verdrängt.
»Ich bring ihn um ... ich bring ihn um ...«, murmelte Erchirion etwas lauter vor sich hin und mit seinen Worten meinte er niemanden anderes als Gwaenas. Langsam überspannte der junge Bursche gewaltig den Bogen. Sowohl Gwaenas als auch Meowés gehörten nicht hier her. Aber Faramir schien das nicht zu begreifen.
Wütend sah er in Gwaenas Richtung. "Genau das ist dein Problem! ... Du sorgst nicht nur bei dir für Chaos und Verwirrung, sondern auch ... sondern auch bei deinen Gefährten! ... Was denkst du dir eigentlich dabei? ... Begreif es endlich, du kannst nichts!" Erchirions Worte waren hart, welche er laut gegen Gwaenas warf. Trotz seines Zustandes schaffte er es die Sätze möglichst flüssig und ohne größere Pausen hervorzubringen.
"Ich an deiner Stelle würde mir große Gedanken machen, ob du hier her gehörst. ... Denn das bezweifle ich. ... Du bist kein Kind mehr und deshalb wird es auch nicht mehr besser werden ... Du bist eine Gefahr für alle! Ein Beruf in der Landwirtschaft oder in einer Schänke zum Tische abwischen, das ... das wäre genau das richtige für dich!" Man hätte meinen können die Adern über Erchirions Augen würden gleich platzen. Aber der Junge hatte ihn so einen Schrecken eingejagt, dass er sich mehr aufgeregt hatte, als eigentlich gut für ihn war.
Kraftlos ließ er sich auf einen Baumstumpf hinter ihm nieder und schnaufte durch. Das Schwert legte er aus der Hand, denn dieses würde er ja nun doch nicht brauchen.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Thorin wurde ebenso aufgeschreckt wie alle anderen im Lager, obwohl er etwas außerhalb lag. Doch er hatte einen leichten Schlaf und wurde schnell durch etwaige Rufe wie jenem des jungen Gwaenas aufgeweckt.
Auch er sprang behende auf seine Beine, zog einen Pfeil und legte ihn in seinen Bogen. Um seine eigene Achse drehend sicherte er die Umgebung seines Schlafplatzes, soweit dies in der noch andauernden Dunkelheit möglich war.
Als er sich sicher war, dass nichts bedrohliches in seiner unmittelbaren Umgebung auszumachen war, schlich er sich mit bespannten Bogen vor sich langsam Schritt für Schritt in Richtung Lager.
›Es kann sich hier nur um eine kleine Orkspähertruppe handeln. Die machen die Gegend hier immer wieder mal unsicher.‹
Thorins Laune hatte sich gegenüber gestern Abend etwas verbessert. Ja, um genau zu sein fühlte er sich sogar um einiges besser. Die Aussicht ein paar tote Orks am frühen Morgen zu sehen, bereitete ihm sogar Spaß. Er fühlte wie sich sein Körper anspannte und er jeden Vogel, jeden kackenden Ast und jede Stimme der Soldaten und Brüder wahrnahm... und ein leises Stöhnen.
Thorin blieb stehen. Ja, er hatte in der Tat gerade von hinter einem der Bäume vor sich ein leises Seuftzen gehört.
›Was war das?‹
Er spannte den Bogen bis zum Anschlag und lief geräuschlos weiter. Schritt für Schritt.
›DA!‹, Thorin hatte hinter einem der Bäume eine Schwertspitze aufblitzen sehen. Er schlich sich so leise, wie es auf dem belaubten Waldboden möglich war auf die Rückseite des Baumes.
Er atmete einmal tief durch völlig geräuschlos durch.
Plötzlich hörte er, wie harte, schwere Worte in Richtung des Lagers jenseits der anderen Baumseite in Richtung Lager geworfen wurden. Den Worten nach, musste es sich um einen seiner Brüder oder Heermeister Boromirs Soldaten handeln.
Als es wieder still wurde wirbelte Thorin um den Baum herum. Er hatte sicherheitshalber seinen Bogen gespannt, allerdings auf den Boden gerichtet.
Vor sich sah Thorin einen ziemlich lädierten Mann, welcher sich mit dem Rücken an den Baumstamm lehnte. Sein Oberkörper war abgesehen von einem breiten Verband um die Schultergegend völlig frei.
Nichts deutete eindeutig darauf hin, dass es sich um einer der Männer aus dem Lager handelte. Zumal er hier etwas isoliert vom Lager saß.
»Wer seid ihr?«, fragte Thorin im barschen Tonfall. Um seine schrafen Worte zu unterstreichen, ließ er den Bogen leicht ächtzen, in dem der den Bogen weiter spannte.
Gerade, als Faramir zu Boromir kam, wurde offenbar, dass Gwaenas einen Wachtposten für einen Angreifer gehalten hatte.
"Der nächste Soldat, der einen Kameraden nicht von einem Feind unterscheiden kann!" dachte Faramir und verdrehte die Augen. Als er Boromirs Bemerkung über Männer mit seltsamen Benehmen hörte, konnte er sich ein Lachen nur mühsam verkneifen.
"Du hast ja recht, Bruder!" sagte er. Nachdem Boromir den jungen Waldläufer zurecht gewiesen hatte, sagte Faramir in sanften Ton zu Gwaenas:
"So, mein Junge, genug davon! Gehe an deinem Platz, iss etwas und mache dich für den Aufbruch bereit!"
Seinem Gemüt entsprechend empfand Faramir eher Mitleid als Zorn für den jungen Mann, der ohnehin beschämt war. Dass Erchirion nun anfing, Gwaenas zu beschimpfen, missfiel dem Heermeister daher.
"Erchirion!" sagte er in strengem Ton. "Hör auf damit! Schone deine Stimme und sei ruhig! Das ist auch besser für deine Heilung!"
Nachdem Faramir seinen Vetter zurechtgewiesen hatte, wandte er sich an alle Männer und sagte:
"Ihr habt gehört, was der Heermeister des Weißen Turms befohlen hat! Seht zu, dass ihr noch etwas esst, bevor wir aufbrechen!"
Anschließend ging Faramir an seinen Platz zurück und frühstückte. Währenddessen kam Anborn zurück und meldete, dass bei allen Wachen natürlich alles in Ordnung sei.
"Natürlich!" sagte Faramir. "Noch etwas anderes, Anborn. Wir haben nicht genug Pferde für alle. Elf Mann aus deiner Gruppe werden laufen müssen. Du selbst aber nicht, denn dich will ich bei mir haben."
"Wie Ihr befehlt, Heermeister", seufzte Anborn. "Aber wenn es nach mir ginge, sollten zunächst die drei Männer laufen, die sich gestern und eben gerade blamiert haben."
"Drei?" fragte Faramir. "Ach ja, das waren ja nicht nur Gwaenas und Lenor. Wo ist nur Thorin, der sich bei mir melden wollte?"
Er wandte sich an einen seiner Leibwächter:
"Mablung, bitte hole Thorin!"
"Zu Befehl, Heermeister!" sagte Mablung und stand auf. Faramir bemerkte, dass Mablung dabei die Augen verdrehte und nicht sonderlich erpicht darauf war, mit Thorin zu sprechen. Der Späher hatte sich durch seine nächtliche Ruhestörung nicht gerade beliebt gemacht.
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Gwaenas konnte den Spott in Boromirs Worte heraus hören, doch war es nicht böse gemeint. Zögernd hob er den Kopf und schaute mit hochrotem Kopf in dessen Gesicht.
'Heermeister Faramir...was der wohl sagen wird? Ob er mich zur Strafe für drei Wochen zur Nachtwache einteilt?' Unsicher kaute er an seiner Unterlippe und blickte nun zu Faramir, der zu ihnen kam.
Doch da ertönte die zornige Stimme von Erchirion, der sich vor Wut kaum bezähmen konnte. Erschrocken starrte der junge Waldläufer zu ihm; Gwaenas wurde immer kleiner und blasser bei dessen Worte. Meine Güte! Hoffentlich werde ich nie wieder etwas mit diesem Mann zu tun haben! Er hasst mich, ja bestimmt! Was hab´ich ihm nur getan?'
Wie Balsam erschienen ihm deshalb die Worte Faramirs, der ihn anscheinend nicht bestrafte, sondern ihn an seinen Platz zurück schickte. Er machte eine linkische Verbeugung vor den Heermeistern und schlich zu Meowés zurück. Auf seinem Weg hörte er einige Männer Erchirions Meinung teilten und ihm böse Worte zuriefen. Doch die meisten Männer kamen dem Rat der Heermeister nach und bereiteten sich für den Aufbruch vor.
Endlich war Gwaenas bei seinem Freund angekommen und setzte sich zu ihm. "Oweh, da bin ich wohl tief ins Fettnäpfchen getreten! Was meinst du, ob Faramir noch eine Strafe aufbrummt?"
Thenar humpelte näher zu den Heermeistern und Gwaenas, um die Geschehnisse besser verfolgen zu können. Gwaenas kam noch gut davon, fand er, doch ärgerte er sich über Erchirions Worte. Deshalb humpelte er zu seinem Gefährten, der vor Wut schäumte und vor Entkräftung zitterte.
"Reg dich ab, Fürstensohn! Das bekommt dir gar nicht!" Thenar warf seinem verletzten Gefährten einen kurzen bösen Blick zu und wollte sich wegen seinem Knöchel an die Heiler wenden, die bei Erchiron standen. Da entdeckte er einen Mann, der anscheinend ein Waldläufer war, denn er trug die entsprechende Kleidung. Thenar kannte ihn nicht und musterte den großen Mann verstohlen. Dessen Gesicht war wettergegerbt und von einigen Kämpfen mit kleinen Narben gezeichnet.