Der große und dichte Laubwald „Fandasaf“ liegt ungefähr in der Mitte zwischen dem Erui und Pelagir. Seine westliche Grenze reicht fast bis an die Straße nach Pelagir. Er ist von einigen Dörfern umgeben, doch es führt nur eine mit Wagen befahrbare Straße durch den Wald, welcher sich nach Norden auf der großen Lichtung in der Mitte des Waldes gabelt.
Der Wald bietet vielen Tieren - auch gefährlichen - Lebensraum.
Die Nacht verlief ruhig. Leyron wechselte zwei Mal seine Position und schaute öfter als nötig nach Aeluin. Er genoss es sie zu beobachten, ihr beim Schlafen zuzusehen. Areros hingegen war nicht so interessant. Aber er schien fest zu schlafen, so dass Leyron beschloss ihn nicht bereits kurz nach Mitternacht zu wecken, sondern erst kurz vor Morgengrauen.
»Areros«, sprach Leyron ihn an, nachdem er sich vergewissert hatte, wo Areros Waffen lagen. Er kannte den jungen Mann noch nicht so gut, dass er einschätzen konnte, in wie weit dieser schreckhaft war und damit durchaus beim Aufwachen eine Bedrohung darstellte.
»Areros wach auf! Es ist an der Zeit, deine Wache anzutreten«, sprach er ihn erneut an und berührte ihn nun mit sanftem, aber bestimmten Druck an der Schulter.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Areros schlief tief und fest. Die Traumszenen, die ihm im Schlaf erschienen waren sehr undeutlich und er konnte sie nicht festhalten.
Glücklicherweise war Areros gerade in einer leichten Schlafphase, als Leyron ihn weckte. Sonst hätte Leyron länger gebraucht, um ihn zu wecken, denn Areros hatte einen gesunden und recht tiefen Schlaf.
»Was? Wo«, murmelte Areros und nach ein paar Momenten war ihm klar, worum es ging und er richtete sich gähnend auf. Sein Blick fiel auf seine Schwester Aeluin, die dicht bei ihm lag und welche friedlich schlief. »Sie ist schön nicht?«, grinste Areros, als er sah, dass auch Leyrons Blick auf Aeluin ruhte. »Weil du so nett bist – oder ich so nett bin, kannst du dich gern hier an diese Stelle legen. Sie ist zumindest trocken und auch etwas wärmer.«
Dann stand er auf, streckte sich, wickelte sich etwas bibbernd in seinen Mantel, nahm seine Waffen und ging dann zum Feuer, das noch nicht ausgegangen war.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)
Die Nacht verging recht schnell und die Morgendämmerung kroch durch den Wald. Areros war sehr froh, dass das Feuer noch nicht aus war und Aeluin soviel Holz gesammelt hatte, dass auch jetzt noch ein kleiner Vorrat da war. Denn die Zeit der Dämmerung war auch immer die kälteste. Der Tau benetzte dann den Boden und Nebel stieg langsam aus den Wiesen.
Nachdem er noch Holz nachgelegt hatte und sich seinen Mantel etwas enger um den Körper gewickelt hatte, blickte sich Areros forschend um. Der Wald erwachte langsam zum Leben. Die Vögel begannen zu singen. Zuerst fing der Gartenrotschwanz an, sein Morgenlied zu singen, doch Rotkehlchen und Amsel warteten auch nicht lange. Bald sangen auch Zaunkönig, Kohlmeise und Zilp-Zalp. Spatzen und Buchfinken stimmten schließlich auch in das Konzert ein.
Areros fand es im ersten Moment sehr schön, aber bald war es ihm zu laut und er wunderte sich, wie Aeluin und Leyron bei dem Lärm schlafen konnten.
Vorsichtig stand Areros auf und ging zu den beiden hinüber. Sie langen friedlich nebeneinander und hatten doch noch einen halben Meter Abstand. So fest eingewickelt wie in der Nacht war Aeluin nicht mehr. Sie lag auf der rechten Seite mit dem Gesicht zu Leyron.
Ihr linkes Bein hatte sie auf ihren Rucksack gelegt, was sich Areros nicht erklären konnte. Es schien nicht sehr bequem zu sein. Er wusste jedoch auch nichts von den Wunden, die seine Schwester an eben diesem Bein hatte und dass dies eine recht gute Position war, um nicht mit den Wunden in Berührung zu kommen.
Ihre linke Hand hatte sich unbewusst Leyron genähert, doch lag sie doch noch einen halben Fuß von Leyrons Brust entfernt.
Leyron hingegen lag fest einwickelt in seinem Mantel und zeigte nichts von seinem Körper, als seinen Kopf und seine Stiefel. Die Zöpfe lagen quer über seinem Gesicht, das nur leicht in Aeluins Richtung zeigte.
Areros grinste und dachte bei sich: ›Ein schönes Bild! Man müsste …‹ Er machte eine Bewegung zu seinem Rucksack, bis ihm einfiel, dass er ja gar keine Zeichenutensilien mitgenommen hatte. »Schade«, murmelte Areros und wollte wieder zu seinem Rucksack gehen. Doch dann entschied er sich, doch nachzusehen, ob er nicht etwas brauchbares dabei hatte. Und tatsächlich. Es befand sich noch eine alte Zeichnung von seinem Vater in seinem Rucksack. Zwar war das Bild schon etwas geknickt, aber die Rückseite war noch unbemalt.
Rasch holte sich Areros aus der Feuerstelle ein verbranntes Stück Holz, das er als Kohleersatz nehmen wollte. Es ging natürlich nicht ganz so gut, aber Areros war ein Künstler und ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht aufhalten.
Geschickt zeichnete er die beiden Schlafenden ab. Jedoch nahm er sich einige künstlerische Freiheiten heraus und bettete Aeluins Kopf auf Leyrons Brust. Plötzlich hatte Leyron auch einen Arm um Aeluin gelegt und drückte sie an sich. Aber die Zöpfe zeichnete Areros so, wie sie waren. Das sah einfach zu komisch aus.
Nach einigen Minuten war Areros fertig und besah sich sein Werk. »Nicht schlecht!«, sagte er sich und nahm das Bild mit zu sich ans Feuer. Eine Weile dachte er über Aeluin und Leyron nach und dann auch über seinen Vater und die Familie.
Die Zeit verging und die Sonne stieg immer höher. Leyron und Aeluin zeigten allerdings keinerlei Anzeichen von Aufwachen. Areros fand, dass es langsam Zeit wäre, um aufzustehen und zu frühstücken. Aber wecken wollte er die beiden auch nicht.
Also beschloss er sich am nahegelegenen Bach erst einmal zu waschen und die Zähne zu putzen. Das Wasser war sehr kalt, aber der Nebel, der hochstieg sah recht hübsch aus.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)
Mittlerweile war das Frühstück in Anthara wohl schon lange vorbei und Areros fand, dass er nun nicht mehr wachen musste. Wieder überlegte er, ob er die beiden wecken sollte, aber Aeluin schlief auf jeden Fall noch tief und fest. Bei Leyron war sich Areros nicht so sicher, aber die Augen machte er nicht auf.
›Dann gehe ich eben jagen‹, dachte Areros und nahm seinen Bogen und den Köcher zur Hand. ›Sollen sie ruhig weiterschlafen.‹ Aus dem Rucksack fischte er sich noch den kleinen Kanten Brot, der von gestern übrig war und ging los.
Allein im Wald etwa zwei bis drei Meilen vom Rastplatz entfernt
Er ging nach Nordosten und kam bald zu einer Wiese. Dort grasten noch ein paar Rehe und Areros legte schon den Pfeil an. Dann überlegte er es sich jedoch anders: »Was sollen wir drei mit einem toten Reh anfangen. Das können wir ja gar nicht verspeisen … Was für eine dumme Idee auf die Jagd zu gehen.«
Doch zurück gehen wollte der junge Mann auch nicht. Also ging er weiter und nach einer oder zwei Meilen hörte er plötzlich jemand rufen. Zumindest dachte er, dass da jemand rief. Es klang sehr weit weg und recht kläglich. Vorsichtig ging Areros weiter. Den Bogen hatte er wieder gespannt und einen Pfeil hatte er in der Hand. Der Wald war nicht ungefährlich …
Langsam kam Areros den Lauten näher. Es hörte sich an, als ob jemand weinte. Ja, es jammerte und klagte jemand, doch schien es alles so dumpf zu sein.
Suchend blickte sich der junge Bauernssohn um, doch er konnte nichts erkennen, obwohl hier nur wenige Sträucher die Sicht verdeckten.
Den Pfeil auf die Sehne gelegt, rief er: »Hallo? Ist hier jemand?«
Lange brauchte sich Areros nicht umsehen, denn die Stimme rief laut: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Oh bitte helft mir doch!«
Areros ging vorsichtig näher. Die Stimme schien seltsamerweise von unten aus dem Boden zu kommen. Der junge Mann versuchte die Schaudergeschichten zu vergessen, die früher am Lagerfeuer erzählt wurden und die von Geistern in der Erde handelten.
Schließlich war die Stimme ganz laut und Areros entdeckte, dass jemand in eine Falle gegangen war, doch war nicht der Bär gefangen, sondern eine junge Frau. Sie sah recht verweint aus, aber keineswegs wie ein Geist.
Areros legte sich auf die Erde, streckte ihr die Hände entgegen und zog sie dann hinauf. »Was ist das denn für ein Schreck in der Morgenstunde. Geht es dir gut?«, fragte er die junge Frau.
»Ja«, antwortete sie schüchtern. »Danke, vielen Dank!«
»Keine Ursache«, sagte Areros. »Kann ich dich irgendwo hinbringen?«
Sie nickte und bald waren die beiden auf dem Weg zu einer kleinen Köhlerhütte. Dort lebte der Vater der jungen Frau und arbeitete dort. Sie besuchte ihn manchmal und heute war sie in diese Bärenfalle geraten. Bald waren sie angekommen und der Vater überschüttete Areros mit Dank und wollte ihm allerlei gutes tun. Sogar die Hand seiner Tochter wollte er ihm geben.
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Und er tötete ihn und wurde zum Verlierer. (Koran)
Leyron überlegte nicht lange und ließ sich auf dem von Areros bereits angewärmten Schlafplatz nieder. Seinen Waffengurt hatte er gelöst und in greifbare Nähe neben sich gelegt, ein Messer steckte in seinem Stiefel, ein weiteres trug er so am Körper, dass er es augenblicklich ziehen konnte, wenn es nötig werden würde. Ehe er sich ganz in den Umhang einwickelte streichelte er Aeluin noch einmal über die zarte Wange und beobachtete sie einige Moment, dann aber schlief er zügig ein.
Sein Schlaf war traumlos und erholsam. Leyron schlug das erste Mal seine Augen auf, als die ersten Strahlen der Sonne, die durch das Blätterdach fielen, ihn an der Nase kitzelten. Nur flüchtig warf er einen Blick zu Areros, der noch immer am Feuer saß. Alles schien friedlich und da Aeluin noch schlief, schloss auch er wieder seine Augen und schlief erneut ein. Die letzten Nächte waren sie nicht zum Schlafen gekommen, warum also den Morgen jetzt nicht noch auskosten?
Das zweite Mal, dass er erwachte, war als Areros sich anschickte, das Lager zu verlassen. Obwohl sich der junge Mann durchaus leise und bedacht verhielt, war auf Leyrons Sinne Verlass. Er wartete bis Areros hinter der Bäumen verschwunden war und erhob sich dann langsam. Aeluin schlief noch tief und fest.
Allein mit Aeluin
Leyron entdeckte, dass Areros Bogen und Köcher mit sich genommen hatte und ging davon aus, dass der jüngere Mann sich auf die Jagd begeben hatte. Leyron nichte zufrieden. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, frisches Fleisch zu braten und als Wegzehrung mit zunehmen, wenn sie Aeluin zurück zu ihrer Familie brachten.
Obwohl er sich eigentlich sicher war, dass Areros die Umgebung kontrolliert hatte, bevor er gegangen war, überprüfte Leyron sie dennoch selbst noch einmal.
Wieder zurück am Feuer genehmigte er sich einen großen Schluck Wasser, um faden Morgengeschmack loszuwerden und einen weiteren um seinen Durst zu stillen. Flink entledigte er sich daraufhin seines Hemdes und griff nach seinem Schwert. Noch einmal schaute er nach Aeluin, dann suchte er sich einen Platz zum Trainieren.
Nachdem er sich aufgewärmt hatte, begann er mit gezielten Paraden und Hieben, ließ aber auch die spielerische Seite nicht aus. Er hatte Spaß am kämpfen, daran sein Schwert zu führen und seinen Körper zu trainieren.
Die Sonne hatte inzwischen ihren Stand erneut verändert und Areros war noch nicht zurück. Leyron schmunzelte bei den Gedanken, die ihm dazu in den Sinn kamen. Durch das Training nun verschwitzt, beschloss er sich an dem nahe gelegenen Bach zu erfrischen und dafür zu sorgen, dass Aeluin sich nicht gleich wieder von ihm zurückzog, wenn er seinen Kuss einfordern würde.
Leyron kramte aus seiner Tasche ein Stück Seife hervor und griff dann nach dem Schwertgehänge. Er verzichtete darauf sich den Gürtel umzuschnallen und ging nun so beladen an den Bach.
Ohne Eile wusch er sich den Schweiß vom Körper und nahm sich ebenfalls Zeit seine Zöpfe zu lösen, wenigstens jene, die noch nicht verfilzt waren. Nachdem er sich die Haare gewaschen hatte und sich dank seines Messers von jenen beiden verfilzten Zöpfen getrennt hatte, kämmte er es mit seinen Fingern durch und flocht sich eine Handvoll neue Zöpfe zwischen das gewellte Haare.
Frisch gewaschen kehrte Leyron mit nacktem Oberkörper in das Lager zurück. Areros war noch immer nicht zurück. Kaum, dass er abgelegt hatte und nach Aeluin sehen wollte, glaubte er, dass sie sich bewegt hatte. Doch als er näher an die junge Frau herantrat, schien sie immer noch zu schlafen. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig, ihre Lider jedoch flatterten leicht. Gerade im rechten Augenblick war er erschienen, um sie gänzlich aufzuwecken ohne sie in ihrem Schlafbedürfnis zu stören.
Leyron kniete nieder, beugte sich langsam über ihr schlafendes Gesicht und küsste sanft ihre Stirn.
»Willst du schlafen, bis es wieder dunkel wird süße Luin?«
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin schlief erstaunlich gut. Ihr Körper holte sich scheinbar nach der ganzen Aufregung am Tage die verlorene Kraft wieder. Irgendwann in den frühen Morgenstunden war Aeluin abrupt aus dem Schlaf erwacht, weil der Luchs sich in ihre Träume geschlichen hatte. Sie wollte schon aufstehen, als ihr Blick auf Leyron fiel, der ganz in ihrer Nähe lag.
Er schlief tief und friedlich. Seine Zöpfe lagen quer über seinem Gesicht, aber das schien ihn nicht zu stören. Aeluin streckte schon vorsichtig die Hand aus, um sie wegzuschieben, doch dann erinnerte sie sich an die Worte eines Soldaten. Dieser hatte gesagt, dass ein guter Soldat immer wachsam war, selbst im tiefsten Schlaf. Wenn er auch nur die leiseste Wahrnehmung machte, würde er mit einem Dolch zustechen.
Auch wenn Aeluin diesen Soldaten nicht für einen guten Soldaten gehalten hatte, sondern für einen Aufschneider, glaubte sie, dass Leyron ein guter war. Und auch wenn sie sich durchaus vorstellen konnte, dass es schön wäre, Leyron als das Letzte zu sehen, bevor sie starb, wünschte sie doch, dass das noch ein paar Jahre dauern sollte, bis sie starb.
So legte sie ihren Arm nur so nah, wie sie es sich getraute, neben Leyron, schloss die Augen und stellte sich vor, dass sich ihre Hand in der seinen befand und sie sich verschränkten. Mit einem glücklichen Lächeln schlief sie wieder ein.
Als Aeluin das nächste Mal aufwachte, sah sie wie Leyron gerade Schwertübungen machte. Das Zerknacken kleiner Äste hatte sie aufgeweckt. Auch wenn es durchaus ästhetisch aussah, was Leyron tat, fand Aeluin Schwerter und was man damit machen konnte, noch immer nicht besser. So schloss sie wieder die Augen, nahm aber den nackten Oberkörper Leyrons mit in ihren Traum.
Sie musste wohl noch eine ganze Stunde tief und fest geschlafen haben, als sie langsam das Traumland verließ und sich klar machte, dass sie nun aufstehen musste. Sie genoss es lange zu schlafen, denn oft war ihr dieser Luxus nicht vergönnt. Nur an den wenigen Tagen, wenn sie in Minas Tirith verweilte, konnte sie länger im Bett liegen. Aber selbst dann wurde ihr vorgehalten, dass sie den ganzen Tag verschlief.
Aeluin wusste nicht mehr, was sie geträumt hatte, aber sie holte sich Leyron vor Augen und stellte sich vor, wie der Abend gestern verlaufen wäre, wenn sie nicht schlafen gegangen wäre. Doch das war gar nicht so einfach, denn ihr Körper verlangte endlich aufzustehen und die Sonne versuchte durch ihre Lider in ihre schönen grünen Augen zu strahlen.
Aeluin vernahm Schritte, doch glaubte sie, dass sie noch immer träumte.Etwas feuchtes fiel auf ihr Gesicht und streifte ihre Wangen und warme Lippen berührten ihre Stirn. Erst als sie Leyrons Worte vernahm, wusste sie, dass sie nun doch schon wach war und dies nicht bloß ein unerfüllter Traum war, sondern im Gegenteil: ein wahrgewordener.
Ihr Mund verzog sich zu einem breiten, glücklichen Lächeln, während Aeluin die Augen noch einen Moment geschlossen hielt. Dann öffnete sie langsam die Augen halb und sah in Leyrons blaue Augen, die sie freundlich anlächelten.
Es war nicht sein Duft, der ihr in die Nase stieg, sondern der Geruch von Seife. Aeluin bemerkte den nackten Oberkörper und kicherte innerlich darüber. Sie betrachtete einen Moment wie schön sich die starken Muskeln eines Mannes zusammenpressten und gegen den Hals drängten, wenn das Körpergewicht auf einen Arm verlagert war.
Aeluin hob zuerst die linke Hand und ließ sie dann genau über diese faszinierende Stelle zu Leyrons Nacken wandern. Während sie ihre Augen wieder schloss und nun auch ihre rechten Hand zu Leyrons Nacken schob, sagte sie sehr zufrieden: »Ja das will ich. Jetzt wo ich endlich meinen Ersatz für mein Kuscheltier bekomme, kann ich mir nichts schöneres vorstellen, als mit ihm zu kuscheln und weiter zu schlafen.«
Sie zog leicht Leyrons Kopf zu sich und hoffte, dass er sie tatsächlich noch ein wenig mit Liebkosungen verwöhnte.
»Kannst du mich in Anthara auch noch einmal so wecken?«, fragte sie, während ihre Finger mit Leyrons nassen Haaren spielten und sich einen Weg zu seinem Nacken bahnten. »Dann kannst du Damrod und Arendir, aber vor allen Dingen Nenia zeigen, wie man einen Menschen lieb weckt. Die Bettdecke wegziehen ist nicht halb so schön.«
Aeluin öffnete noch einmal die Augen und fügte hinzu: »Aber ein echter Prinz küsst nicht auf die Stirn, sondern auf die Lippen! Das solltest du das nächste Mal beachten!«
Leyron lachte leise, ehe er ohne weitere Worte ihren Mund mit dem seinen bedeckte und den versprochenen Kuss einforderte. Leidenschaftlich erforschte seine Zunge ihren Mund, während er das Gewicht seines Körpers verlagerte und sein Oberkörper nun gänzlich über sie gebeugt war. So hatte er zumindest eine Hand vernünftig frei, um sie auf Erkundungstour gehen zu lassen.
Erst als ihr Atem rastloser wurde und er ihr Herz unter seiner Hand schneller schlagen spürte, löste er seine Lippen von den ihren.
»Wenn das eine Einladung war, Aeluin, dann habe ich sie gerade angenommen«, antwortete Leyron und küsste sanft Aeluins Lider, dann ihre Nase.
Sein Blick fixierte einen Wimpernschlag lang ihre geröteten Lippen, ehe er sie erneut mit den seinen verschloss. Er wusste, dass er dieses Spiel nicht mehr lange würde spielen können, ohne die bisherigen Grenzen zu überschreiten. Dafür waren ihre Reize einfach zu verlockend und ihr Spiel mit dem Feuer nicht so unbedarft, wie er bisher gedacht hatte.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin war auf Leyrons Kuss gar nicht gefasst. Ihr romantisches Gemüt hatte sich auf ein sanftes Liebkosen Leyrons eingestellt, doch nun wurde sie von seiner Leidenschaft überrumpelt und erregt.
Zuerst war ihr sein Kuss unangenehm. Schließlich war sie gerade erst aufgewacht und hatte diesen unangenehmen Geschmack im Mund. Doch Leyron schien das nicht im geringsten zu stören und letztendlich hatte sein Speicheln ihren schlechten Geschmack auch beseitigt und sie ließ sich auf den Kuss ein.
Ihre Hände spielten mit seinem Nacken, seinen Haaren und wanderten zu seinen unrasierten Wangen. Sie spürte seine Hand, wie sie über ihren Körper strich und ihren Mantel und die Decke zur Seite schob, um näher an sie heran zu kommen.
Schneller schlug ihr Herz und ihre linke Hand strich über seinen Hals seine Brust hinab, um unter seinem Arm über Leyrons Rücken zu streichen.
Von seinen Worten kamen nur wenige bei ihr an. Nur »Einladung angenommen«. Wahrscheinlich hätte Aeluin ihnen nun nichts mehr entgegenzusetzen gehabt und wäre ganz ihrer Leidenschaft zum Opfer gefallen, doch ihre Lippen brannten nun unangenehm.
Ihre rechte Hand schob Leyron recht bestimmt von sich und auch ihr Mund erwiderte seinen Kuss nicht mehr.
»Du kratzt«, sagte sie und strich sich mit der Zungenspitze über ihre Lippen.
Sie sah die Enttäuschung in Leyrons Augen. Deshalb legte sie ihre Hand auf Leyrons linke unrasierte Wange. »Du solltest dich rasieren!«, lächelte sie. Dann verbesserte sie sich: »Ich sollte dich rasieren ... wenn du magst ...«
Ihre Fingerspitzen streichelten Leyrons Wangenknochen, die sie so umwerfend fand und die nicht von Bartstopeln übersät waren.
»Was meinst du?«, fragte Aeluin und blickte in Leyrons blaue Augen. Ihre linke Hand wanderte nun auf Leyrons Brust. »Deine Wangen könnten so schon glatt sein, wie deine Brust.«
Da es ihre Stellung zuließ, hauchte sie einen sanften Kuss auf seine Brust und blickte Leyron dann sofort wieder in die Augen.
Leyron hielt inne und blickte Aeluin ungläubig, ehe er seinen Oberkörper aufrichtete. Sie wollte ihn rasieren? Er schwankte in seinen Gedanken zwischen sie gewähren zu lassen oder sie abzuweisen. Der dominantere Teil in ihm versuchte die Oberhand zu behalten, hielt sein Gesicht ernst bis Leyron sie mit seinem Grinsen erlöste.
Der Körper einer enthaarten Frau hatte einen sehr erotischen Reiz und der Gedanken an das Spiel mit dem Wachs hatte zu diesem Grinsen geführt.
»Wenn ich zu gegebener Zeit ebenso dein Vertrauen prüfen darf, werde ich mich sehr gerne von dir rasieren lassen Aeluin.«
Der Gedanke, der ihm gekommen war, konnte durchaus in Erinnerung behalten werden. Er würde sich von ihr rasieren lassen … Aber jetzt interessierte ihn ihre Reaktion.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin war erstaunt, dass Leyron sie so ernst anschaute. Hatte sie ihn in seinem Stolz gekränkt? Dieser Bart war ihm doch hoffentlich nicht so wichtig? Doch dann grinste er sie an.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, Krieger?«, fragte sie ruhig und lächelte Leyron an. ›Krieger‹ wurde langsam so etwas wie ein Kosename für sie.
Auch sie setzte sich auf, damit sie ihm wieder etwas näher war. Sie ließ sich das leichte Ziehen in ihrem Bein nicht anmerken, welches unweigerlich beim Aufrichten gekommen war.
Aeluin blickte in Leyrons Augen, die ihn ebenso, wie sein Mund angrinsten und alle Schmerzen waren vergessen oder nebensächlich. Mit einer Hand streichelte sie die behaarte Wange und ließ während ihrer Worte, ihre Finger zu seiner Kehle gleiten.
»Ich habe noch nie einen Menschen getötet«, sagte sie und blickte Leyron nun ernst an. ›… Im Gegensatz zu dir …‹, fügte sie in Gedanken hinzu, doch sie sagte es nicht laut, da sie nicht wusste, wie er mit diesem impliziten Vorwurf umgehen würde.
»… und ich habe auch nicht vor, es irgendwann zu tun!«, schloss sie ihren Satz. Es gab wenig, was ihr größere Angst bereitete, als für das Auslöschen eines Menschen verantwortlich zu sein. Die Furcht, dass es doch einmal so kommen könnte, wuchs beständig. Denn die Tage wurden dunkler und auch wenn es ihr gelänge, sich nicht selbst gegen die Söldner des Namenlosen zu verteidigen, so würde sie gewiss ihre Familie um jeden Preis retten wollen.
Für ein paar kurze Momente verloren sich Aeluins Blicke und sie fixierte einen kleinen Leberfleck auf Leyrons Gesicht. Dann holte sie sich mit einem Ruck aus ihren Gedanken und lächelte Leyron an.
»Wenn du also immer lieb und freundlich zu mir bist …«, zwinkerte sie ihn an. »… im Moment sehe ich gar keine Veranlassung dir eine weitere Narbe zuzufügen!« Ihr Kopf kam näher und sie hauchte mit verführerischer Stimme in sein Ohr: »Eher im Gegenteil!«
Sie ließ ihm jedoch diesmal keine Möglichkeit sie erneut mit seinen unwiderstehlichen Küssen festzuhalten, denn nun stand sie auf, während sie die Zähne aufeinander biss, da die Striemen auf ihrem Bein beim Aufstehen schmerzten.
Sie schaute sich um, doch Areros war nicht zu sehen. Aeluin zuckte mit den Schultern und ging zielstrebig zu Areros Rucksack. Dort zog sie ein echtes Rasiermesser hervor, das ihrem Bruder gehörte.
»Sieh mal«, sagte Aeluin und ging mit dem Messer zu Leyron, der inzwischen aufgestanden war. »Das ist ein Messer von einem Barbier aus Minas Tirith. Areros hat es geschenkt bekommen, weil er ihm aus einer Patsche geholfen hat. Mein kleiner Bruder rettet ständig jemanden aus großer Not und erhält dafür allerlei nützliche Dinge. Willst du es noch einmal an deinem Gürtel schärfen? Dann werde ich in der Zwischenzeit meine Zähne putzen …«
Leyron nahm das Rasiermesser von Aeluin entgegen und schaute es sich von beiden Seiten an. Es war größer als das Messer, welches er sonst zum rasieren benutzte, aber wirklich nicht mehr besonders scharf. Auf ihre Aussage hin, dass sie sich nun die Zähneputzen gehen würde, zog er flüchtig die Augenbrauen in die Höhe.
Aeluin war wirklich anders als die meisten jungen Frauen vom Land, die er kennengelernt hatte. Sicherlich reinigte auch er sich seine Zähne in regelmäßigen Abständen mit einem Kauholz und genoss Minze und Fenchel, wenn er es günstig auf einem Markt erstehen konnte, aber so penibel, wie Aeluin hatte er noch niemanden erlebt. Sie hatte an diesem Morgen ja noch nicht einmal etwas gegessen, das Reste an ihren Zähnen zurück geblieben sein konnten. »Eine hübsche Klinge, allerdings wahrlich nicht mehr scharf genug, um mir gefährlich zu werden. Auch nicht, um sauber zu rasieren.«
Leyron erhob sich, um aus seiner Tasche den kleinen Schleifstein zu holen. Bevor er sich jedoch von Aeluin abwandte, lächelte er sie noch einmal verführerisch an.
»Ich habe keine Angst vor dir … Nein … Das wirklich nicht. Aber ich wollte wissen, ob du bereit bist mir zu vertrauen und mit deiner Vorlage gabst du mir die Möglichkeit diese Frage zu stellen, die du mir wohlgemerkt noch nicht beantwortet hast.«
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin beugte sich wissbegierig über die Klinge. »Warum ist sie denn nicht scharf?«, wunderte sie sich. »Areros rasiert sich doch jeden Tag mit dem Messer! Und zerschnitten sieht er nicht aus!«, grinste sie.
Aber im Grunde genommen kümmerte sie sich nicht um das Messer und wusste daher nicht, wie scharf es sein musste. Areros rasierte sich schließlich selbst. Jedoch hatte sie ihn eine zeitlang von seinen Bartstoppeln befreit, als er sich tief in die Hand geschnitten hatte und es nicht selbst machen konnte. In dieser Hinsicht hatte sie also Erfahrung und Leyron musste sich nicht sorgen.
»Schleif das Messer ruhig. Solange du es nicht kaputt machst, wird dir Areros bestimmt nicht böse sein!«, meinte sie und ging dann zu ihrem Rucksack, um die Zahnbürste herauszuholen, die ihr Großvater Lugerod gemacht hatte.
Einen Augenblick spielte sie mit der Seife in ihrer Hand. Sie würde sich ja gern waschen, aber sie wollte nicht, dass Leyron ihr dabei zusah.
»Wo ist eigentlich Areros?«, fragte sie deshalb und blickte sich um. Leyrons Antwort befriedigte sie keineswegs. Denn nun hatte sie keine Ablenkung und Aufpasser für Leyron. Trotzdem nahm sie die Seife mit, denn sie wollte später mit der Seifenlauge Leyrons Bart etwas einweichen und das rasieren angenehmer machen.
Aeluin ging noch einmal zu Leyron, der mittlerweile das Messer schärfte und stellte sich leicht hinter ihn.
»Um auf deine Frage zurückzukommen …«, sagte sie leise und kam nah zu seinem Ohr. »Ist dir noch nicht aufgefallen, dass ich dir schon vertraue? Schließlich ist es für ein tugendhaftes Mädchen wahrlich nicht ungefährlich sich in deiner Nähe aufzuhalten, wenn sie nicht ihre Unschuld verlieren will!«
Aeluin musste kichern, dann hauchte sie einen Kuss auf Leyrons Ohr. Schließlich lief sie die wenigen Schritte bis zum Bachbett, in dem es lustig plätscherte.
»Außerdem …«, rief sie Leyron von da zu, während sie ihre Zahnbürste ins Wasser steckte, »bin ich mir bewusst, dass du mich mit deinen vielen Waffen ohne weiteres töten ›könntest‹. Trotzdem befürchte ich nichts und vertraue dir! Was willst du noch mehr?«
Sie lächelte Leyron noch einmal an und begann dann mit ihrer Bürste die Zähne zu putzen.
Leyron beobachtete Aeluin einen längeren Augenblick. Das Sonnenlicht spielte mit ihrem dunklen Haar und hielt seinen Blick gefangen. Ihre Antwort hatte ihn zum Schmunzeln gebracht. Ja das, was sich zwischen ihnen entwickelte, entwickelte sich gut.
»Wer das Feuer schürt …«, lachte Leyron »… muss zusehen, dass er es beherrscht …«
Areros war noch nicht zurückgekehrt und Leyron fragte sich, was Areros jagen wollte, wenn sie schon bald wieder auf dem Weg nach Anthara sein wollten. Nur kurz überlegte er, dass Areros vielleicht alleine losgezogen, war um seinen Bruder zu suchen, aber er hatte seinen Rucksack zurück gelassen, so das Leyron diesen Gedanken sofort wieder verwarf.
»Areros wird jagen sein. Ihn hat wohl der Hunger geweckt«, antwortete er auf die Frage nach ihrem Bruder und wandte sein Augenmerk zurück auf das Messer in seiner Hand Mit geübten Bewegungen schleifte er die Klinge, bis sie seinen Ansprüchen entsprach.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin brauchte nicht lange, bis ihre kleine Bürste ihre Zähne nach ihrem Geschmack sauber genug geputzt hatte. Sie legte die Bürste auf einen Stein und suchte dann nach einem passenden Sitz für Leyron, der am Ufer des Baches sein musste.
Sie überlegte, ob sie wie sonst ihr Kleid ausziehen sollte, denn die langen Ärmel ließen sich nur umständlich hochkrempeln und hatten die unangenehme Angewohnheit immer wieder herunter zu rutschen. Deshalb zog Aeluin im Sommer oft ihr Kleid aus, wenn sie irgendetwas mit Wasser zu tun hatte. Das taten im Dorf alle Frauen und sie schämten sich deswegen nicht.
›Aber was, wenn Leyron das wieder falsch versteht?‹, grübelte Aeluin. So gern sie Leyron hatte, so wenig legte sie es darauf an schnell von ihm verführt zu werden. ›Andererseits, ist da ja nichts dabei …‹
Aeluin war hin und her gerissen. Doch der Tag war heiß und selbst unter den Bäumen wurde Aeluin warm. Sie atmete noch einmal tief durch und öffnete dann die Schnürungen, welche ihr Kleid vorn zusammenbanden und ihre Figur so betonten. Sie drehte sich halb unbewusst mit dem Rücken zu Leyron und zog dann ihr Kleid über den Kopf aus.
Ihr weißes Unterkleid hatte keine Ärmel und einen größeren Ausschnitt, damit es nicht unter dem Kleid vorlugte. Es war ebenfalls vor der Brust geschnürt. Der Rock dazu fiel bis zu ihren Knien und entblößte ihre braungebrannten Beine.
Aeluin legte ihr braunes Kleid grob zusammen und fand dann ein paar Schritte vom Wasser ein geeigneten Platz, wo es nicht nass werden würde.
Dann wandte Aeluin den Blick zu Leyron und bemerkte, dass er gar nicht mehr mit dem Messer beschäftigt war, sondern sie aufmerksam beobachtete. Sofort erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht, als ihre Blicke sich kreuzten.
Die junge Frau bemühte sich, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen und rief Leyron zu: »Wenn du so weit bist, dann können wir anfangen!«
Sie zeigte auf einen größeren Stein, der sich gut eignete, damit Aeluin gut an Leyrons Gesicht heran kam.
Auf seine typische Art kam Leyron zum Bach und war sich anscheinend sehr bewusst, welche Wirkung er auf das weibliche Geschlecht hatte.
Aeluin ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie sich wünschte, dass Leyron jetzt gleich mit einem anderen Mann um sie kämpfen würde und natürlich als Sieger hervorging und sie damit eroberte.
›Reiß dich zusammen, Luin. Benimm dich nicht so vollkommen albern. Keine vernünftige Frau will, dass ein Mann um sie mit einem anderen Mann kämpft … Und außerdem müsstest du dann doch den Verlierer nehmen …‹, schalt sich die junge Frau. Doch sie vermochte es nicht, ihr Begehren von Leyron erobert zu werden, mit vernünftigen Gründen aus der Welt zu schaffen. Es erschien ihr einfach zu reizvoll. Noch reizvoller machte es die Sache, dass Leyron genau die Art Mann war, zu der es passen würde, wenn er im Kampf eine Frau errang.
Um von ihren absurden Gedanken abzukommen, sagte sie sich: ›Er ist ein Krieger! Ein Krieger!‹ Tatsächlich ließ sie dies wieder aus ihren Wunschträumen auftauchen und nun machte sich einen Spaß daraus, ihn bewusst gleichgültig anzusehen, während es ihn ihrem Bauch kribbelte wie in einem Bienenstock.
Als Leyron da war, gab er ihr nicht sofort das Messer, sondern bedachte sie mit schmeichelnden Worten und während Aeluins Wesen weiterhin distanziert blieb, zuckte ihr Mund entzückt über Leyrons Worte.
Während sich Leyron setzte, tauchte Aeluin beide Hände in das Wasser und drehte ein paar Mal die Seife in ihren Händen. Dann stellte sie sich hinter Leyron und wollte seine Wangen einseifen. Doch während das bei Areros immer kurz und schmerzlos von statten ging, legte Leyron seinen Kopf nach hinten, so dass er nun auf ihrer Brust lag und schaute sie von unten verführerisch an.
›Er macht es mir so verdammt schwer‹, dachte Aeluin, ›tugendhaft zu bleiben. Kann er nicht einfach geradeaus schauen?‹
Doch den Gefallen tat ihr Leyron nicht. Stattdessen begann er zu sprechen, als sie mit sanften Kreisen seine Barthaare einseifte.
„Hast Du nur ein Problem mit meinem Bartwuchs oder rasierst Du öfters Männer die deinem Vater auf dem Feld zur Hand gehen?“ fragte er schelmisch und genoss die Nähe zu ihr, die seine jetzige Position ihm bot. Er prägte sich jeden noch so kleinen Fleck Haut ein und selbst die Form des winzigen Muttermals in ihrer Halsbeuge hätte er noch Stunden später nachzeichnen können.
Ehe er sich wieder aufrichten musste bedachte er Aeluin mit schmeichelnderen Worten als jenen zuvor.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin musste lachen, als sie Leyrons Frage hörte. Sie lachte sehr gern, deshalb freute sie es auch, dass Leyron es immer wieder verstand sie zum Lachen zu bringen und keineswegs nur ernst war oder nur dumme Witze machte, über die kein vernünftiger Mensch lachen konnte.
Leyron gab freche Vorlagen, deshalb konnte er auch Aeluins Meinung nach spitze Antworten vertragen. Deshalb sagte sie: »Ich rasiere nur die Männer, die vollkommen verloddert aussehen und für die man sich schämen muss, wenn man mit ihnen gesehen wird!«
Aeluin lachte Leyron von oben herab an, der gar nicht über ihre Antwort böse war und beugte sich dann herab, um ihm einen Kuss auf die Nasenspitze zu geben.
Leyron ließ es sich daraufhin nicht nehmen sie mit weiteren lieben Worten zu umschmeicheln, so dass Aeluin versucht war, einfach weiter seiner Wangen einzuseifen, anstatt mit der Rasur zu beginnen. Doch als im Gebüsch ein Ast knackte, schaute Aeluin unwillkürlich in diese Richtung und wurde so von Leyrons hypnotisierenden Blick abgelenkt.
Rasch wusch sie sich im Bach die Hände sauber und nahm dann Areros Messer zur Hand. Sie nahm Leyrons Kopf, dessen Haare noch feucht waren, in beide Hände und richtete ihn so, dass sie die linke Seite seiner Wange gefahrlos und bequem rasieren konnte.
»So Krieger«, sagte Aeluin und begann damit das Messer, welches sie leicht schräg gestellt hatte, über Leyrons Hals nach oben zu ziehen. Das ergab ein kratziges Geräusch, während die Klinge die kurzen Barthaare abschnitt.
»Wie wäre es, wenn du endlich die Geheimniskrämerei aufgibst und mir etwas von dir erzählst? Am Tanzabend hast du es ja geschickt verstanden, nichts von deinem Leben preis zu geben, als dich anderen gefragt haben. Ich würde jedoch gern mehr wissen, von dem Mann, den ich dermaßen verwöhne … Nicht, dass mich plötzlich eine wütende Ehefrau fragt, was ich mit dem Vater ihrer Kinder treibe!«
Gerade weil Aeluin diese Frage wohl mit am meisten interessierte, konzentrierte sie sich ganz auf das Messer in ihrer Hand und darauf, dass sie die Barthaare ordentlich entfernte. Sie wollte Leyron nicht zeigen, dass sie einfach wissen musste, ob es schon eine andere Frau in seinem Leben gab und sie im schlimmsten Fall sofort alle Hoffnung auf Leyron für immer begraben musste.
Ihr Herz schlug schneller und das fröhliche Kribbeln in ihrem Bauch hatte sich in ein unangenehmes, hibbeliges Gefühl verwandelt.
Leyron konnte nichts anderes als lachen. Bei dem bloßen Gedanken an eine Ehefrau musste er sich den Bauch halten: »Vor einer wütenden Gemahlin brauchst du keine Angst zu haben.« Beinahe hätte er das Wort Gemahlin stärker betont, als nötig war. Es gab sicherlich den ein und anderen Ort, durch den er besser ungesehen ging, wenn sein Weg ihn noch einmal dorthin führen sollte, aber den Bund eingegangen, war er noch nie.
Einen Augenblick lang versuchte Leyron sich zu erinnern, ob ihn schon einmal eine seiner Gespielinnen auf eine mögliche Vaterschaft angesprochen hatte. »Was meine Kinder angeht, so kann ich dir leider auch nicht wirklich weiterhelfen. Sollte ich welche habe, so habe ich sie noch nicht kennen gelernt.
Was möchtest du denn gerne wissen? Das ich kein Soldat bin, wird dir inzwischen aufgefallen sein. Ich verdiene mir das, was ich zum Leben brauche gerade so, wie es kommt. Mal auf dem Feld, mal als Jäger und wenn es erforderlich ist auch als Söldner. So ziehe ich durch die Lande, höre mich hier ein wenig um und bleibe dort eine Weile, wo es mir gerade gefällt. Ich habe vor langer Zeit aufgegeben sesshaft zu sein.«
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin zuckte ein wenig zusammen, als Leyron plötzlich begann zu lachen. Darauf war sie nicht gefasst gewesen und sie hielt sofort das Messer ein gutes Stück von Leyron weg, um ihn nicht aus Versehen zu verletzen.
»Du solltest besser vorsichtiger sein, wenn jemand ein Messer an deinem Hals hat!«, rief sie aus. Doch Leyron beantwortete schon ihre Frage und damit war die kurzzeitige Gefahr schon wieder aus Aeluins Kopf verschwunden.
›Er ist nicht verheiratet‹, dachte Aeluin erleichtert und atmete innerlich auf. Doch die Antwort in Bezug auf mögliche Kinder, stimmte sie schon wieder etwas verdrießlicher. Es erinnerte sie wieder daran, dass Leyron kein Mann war, der sich auf eine Frau festlegte, sondern der Frauen bezierzte und verführte, sollte sich eine Gelegenheit bieten.
›Du hast doch gewusst, dass er ein Frauenheld ist‹, sagte Aeluin sich und versuchte damit das ungute Gefühl abzuschwächen. ›Er wird dir sowieso nie ganz gehören. Das solltest du nicht vergessen!‹
Doch es war leicht, sich Dinge vorzunehmen und sich zur Vernunft zu rufen. Die Umsetzung war dagegen bedeutend schwerer, gerade wenn Gefühle die Vernunft einfach so abschalten konnten …
»Ich will alles wissen«, erwiderte Aeluin und ging bewusst nicht auf die Sache mit Frau und Kindern ein. Zum einen war dazu auch wenig zu sagen und zum anderen wollte sie auf das Thema nicht allzuviel Aufmerksamkeit lenken.
»Wieso bist du denn nicht sesshaft? Ist es dein Wunsch, die Welt kennenzulernen oder mag dich niemand bei sich haben?« Luin grinste, denn sie glaubte nicht einen Moment daran, dass man Leyron wegschicken könnte. Zumindest nicht, wenn es irgendeine Frau an diesem Ort gäbe. »Bist du denn nie in deiner Heimat und bei deiner Familie? Wo kommst du eigentlich her?«
Leyron lachte wieder, was diesmal ungefährlicher war, denn Aeluin hatte noch nicht wieder begonnen ihn zu rasieren.
»Kannst du dir mich an einen Ort gebunden vorstellen? Es gibt viel in Mittelerde zu entdecken und zu erleben und viele Gegenden, die ich noch nicht kenne. Und es gibt viel Arbeit, gerade in Zeiten, wie diesen. Ich bin mein eigener Herr, es gibt für nichts Unerträglicheres, als mich einem Fürsten oder Adeligen unterwerfen zu müssen. Mich in dessen Dienst stellen muss, in welcher Form auch immer, wenn ich sesshaft werde«, antwortete Leyron auf ihr weiteres Nachfragen.
Die Stille die daraufhin entstand, ließ Leyron nicht nachdenklicher wirken. Er war Krieger genug, um sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch zeichnete sein Gesicht ein stückweit die Selbstbesinnung wieder, in der er sich gerade befand.
»Ich habe keine Familie mehr und keinen Ort, an den es mich ziehen würde, außer wenn ich alte Freunde wieder sehen möchte. Ein Leben so wie du es führst, habe ich bis vor ein paar Jahren nicht gekannt. Mein Weg folgt dem Wind, ich gehe dorthin wohin er mich ruft.«
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin wunderte sich über Leyrons erste Frage. Warum sollte sie sich ihn nicht an einen Ort gebunden vorstellen können? Was zeichnete denn Leyron aus, als einen Menschen, der durch die Lande zog? Sein wildes Aussehen oder seine Waffen? Nein. Auch wenn Aeluin selbst gern mehr von Mittelerde gesehen hätte, so liebte sie auch ihr Dorf, ihr Vaterhaus und die Heimat, die sie damit hatte. Es bedeutete ihr viel und deshalb konnte sie sich nicht recht vorstellen, wie ein Mensch darauf verzichten konnte – ja so etwas gar nicht erst anstrebte und sei es tief in seinem Herzen.
Doch Leyron schien es scheinbar deshalb so schwer zu fallen, weil er sich dann jemanden unterwerfen müsste. Aeluin verstand das nicht recht. Sie wusste jedoch auch gar nicht recht, wie das mit der Politik in Gondor aussah. Sie wusste nur vom Truchsess, der über das Land herrschte und es bisher vermochte, den dunklen Herrscher von Gondor fern zu halten. Sie wusste auch von den Soldaten, die in Denethors Diensten standen und das diese immer versuchten, neue junge Männer zu rekrutieren.
Von Steuern und Abgaben der Bauern wusste sie nichts, denn darüber sprach Arendor nie. So war es wohl kaum verwunderlich, dass sie so antwortete: »Nun … Es gibt ja nicht nur Arbeit, die man für einen Fürsten machen muss. Es gibt so viele Handwerker, die nur für sich und ihre Familie sorgen und niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Oder kannst du nur gut mit deinen Waffen umgehen und bist ansonsten völlig unbrauchbar?«
Aeluin lachte und begann dann wieder zu rasieren, während Leyron ihr antwortete.
»Ich habe sicherlich auch noch andere Begabungen oder Fähigkeiten, als gekonnt mit einem Schwert umzugehen. Ich kann auch noch Felder umpflügen und lass mich nachdenken … junge Frauen umwerben, um mich rasieren zu lassen.« Auch wenn seinen Wortwahl belustigter erschien, so änderte er dabei nicht seine ernste Stimmlage.
»Selbst als Handwerker wirst du dich im Falle eines Falles immer für eine Seite entscheiden müssen und nicht immer respektieren jene, die über das Land gebieten diese Entscheidungen. Auch wenn das Land, auf dem ihr lebt euch gehört, so gehört jedoch das Dorf zu einer Grafschaft und diese wiederum untersteht erneut jemand anderem, bis an letzter Stelle jener kommt, der sich die Taschen vollmacht. Politik ist etwas Luin, das nicht zwischen den kleinen Landbauern ausgetauscht wird. Es geht um vieles mehr wenn …«
Leyron atmete tief durch und besann sich seiner Worte. Dieses Gespräch entwickelte sich gerade eindeutig in eine falsche Richtung.
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin runzelte die Stirn, als sie Leyrons Worte vernahm. ›Eine Grafschaft?‹, fragte sie sich. ›Was soll das sein?‹ Aeluin wusste nur, dass Anthara in Lebennin war und dafür ein Fürst verantwortlich war, dessen Namen sie vergessen hatte. Doch dass sich der Truchsess die Taschen vollschlug, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Sie mochte den Truchsess, denn er war der Freund ihres Großvaters gewesen und ihre Großmutter Aneria hatte bisher nie ein böses oder schlechtes Wort über Denethor II. fallen lassen. Außerdem würde ihr Großvater nie mit einem Mann befreundet gewesen sein, der das Volk ausnutzte und sich an ihm bereicherte. Nein, das war nicht möglich.
Aeluin bemerkte die Stille, die unangenehm war und deshalb kam sie auf einen anderen Punkt zurück, den Leyron angesprochen hatte, um nicht über den Truchsess in Streit mit Leyron zu geraten.
»Es tut mir leid, dass du keine Familie mehr hast«, sagte sie und fragte sich innerlich, ob seine Familie tot war oder sie nur verstritten waren. Für sie selbst bedeutete ihre Familie sehr viel, wenn nicht alles. Und sie wünschte sich, dass sie auch einen Teil zur Erweiterung der Familie beitragen konnte. Doch das stand noch in weiter Ferne.
»Eine Familie besteht aber nicht nur aus Eltern und Geschwistern … Du kannst auch Freunde als Familie haben oder andere Menschen, die dir wichtig sind und die du gern um dich hast … Bestimmt sehnen sich deine Freunde nach dir und du solltest und könntest öfter zu ihnen zurückkehren, als du es tust!«
Wieder wurde Leyrons Blick ernst und erneut überzog Nachdenklichkeit seine Gesichtzüge. Er wirkte nun schon länger nicht mehr so schelmisch wie zuvor.
»Woher weißt du, wie oft ich meine Freunde sehe, Luin?«, fragte Leyron mit festerem Ton, lockerte dann jedoch die aufgekommen Härte seiner Stimme schnell wieder. »Es gibt nicht viele, die ich wirklich Freunde nenne, aber jene, die es bis dahin geschafft haben wissen, wie sie mich finden können. Denn nicht immer kann man gefahrlos das machen, wonach man sich sehnt und nicht jeder Weg steht einem immer dann offen, wenn man es sich wünscht.«
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Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.
Aeluin war eine gute Zuhörerin und sie bemerkte deshalb, dass auch dieses Thema scheinbar nicht das richtige war und einen wunden Punkt in Leyrons Vergangenheit berührt hatte. Anders konnte sie sich seine fast abweisende Frage nicht erklären. Doch gerade, weil sie sich gut auf Menschen verstand, wusste sie, dass sie nicht nachhaken sollte. Wenn Menschen etwas für sie schmerzhaftes erzählen wollten, so durfte man sie nicht drängen, sonst verschlossen sie sich wieder.
Deshalb erwiderte Aeluin zunächst nichts und rasierte die Wange fertig, während Leyron tatsächlich weitersprach. Doch seine Worte rissen nur Dinge an und ließen nur ein sehr schemenhaftes Bild von Leyrons Freundschaften zurück. Nichts, womit Aeluin viel anfangen konnte.
Aeluin wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Deshalb versuchte sie Zeit zu schinden und ließ von Leyron ab. Sie ging um ihn herum und begutachtete die linke Seite seines Gesichtes, die nun von jeglichen Barthaaren befreit war. Dabei entging ihr nicht, dass Leyron nun kein Grinsen auf dem Gesicht hat, sondern ernst schaut.
Aeluin schaute ihn freundlich, ja fast liebevoll an und legte ihre Hand auf seine Schulter.
»Ich wollte dir nicht zu nahe treten …«, begann sie. »Ich wollte nur sagen: Wenn du jetzt hier bist und nicht bei deinen Freunden, dann kann ich doch sicher sein, dass du nicht oft genug bei ihnen bist! Wenn ich dich selbst nach dieser kurzen Zeit, in der wir uns kennen vermissen würde …«
Da war es wieder! Aeluin ärgerte sich, dass es ihr einmal mehr misslungen war, ihre Gefühle für Leyron zu verstecken. ›Du machst noch alles damit kaputt‹, schimpfte sie mit sich selbst und verstand selbst nicht, warum sie Leyron immer wieder auf so viele Arten zeigen und sagen musste, dass sie ihn gern mochte. Denn eigentlich war Aeluin ein verschlossener Mensch, was die Gefühle gegenüber Männern betraf. Sonst wäre es ihr wohl kaum möglich gewesen ihre Liebesbeziehung mit Diros bis zum heutigen Tage geheim zu halten.
Bei Leyron war es jedoch anders. Bei ihr rutschte es ihr regelrecht immer aus dem Mund, ohne dass sie vorher auch nur einen Moment darüber nachgedacht hätte. Es war für sie fast selbstverständlich ihn zu lieben und ihm auch zu versichern, dass sie ihn liebte. Da war endlich ein Mann, der Mann gekommen, den sie lieben wollte und konnte und nun sehnte sich ihre Liebe danach, sich zeigen und verschenken zu können. Auch wenn Aeluin vermutete, dass dies genau der falsche Weg war und sie damit Leyron nur noch schneller vergraulen könnte, als so schon.
Ungeschickt versuchte sie deshalb ihre Worte abzuschwächen und fuhr dann fort: »… also nur ein kleines bisschen … dann müssen dich doch deine Freunde, die dich bestimmt über Jahre kennen, auf jeden Fall vermissen!«
›Hoffentlich denkt er nun, dass ich nur eine gute Freundin sein will … bin … Nichts anderes … Oh je. Ich mache alles falsch …‹ Aeluin wand sich innerlich und wünschte sich, dass ihr irgendein vernünftiger Gedanke kam, der sie aus dem ganzen Schlamassel herausholte.
Doch nun hob Leyron seine Hand und streichelte ihre Wange, was Aeluin nicht gerade von dem Gedanken abbringen konnte, Leyron weiter zu lieben. Wie gebannt, genoss sie diese zarte Berührung und hörte Leyrons Worte an.