Nach nur wenigen Stunden Schlaf, stand Arendor schon früh am Morgen auf. Seine Sorgen um seine Familie, besonders um Lundor, der scheinbar so nah bei ihnen war, hatten ihn wachgehalten. Die Wache sagte ihm, dass bisher nichts von den Räubern zu sehen und alles ruhig war.
Um sich etwas zu beruhigen, ging Arendor in den Stall und molk die Kühe. Sein Schwiegersohn Nirion und sein Sohn Lendil gesellten sich dazu und fütterten die Tiere. Gemeinsam mit ihnen beschloss Arendor, dass sie alle Tiere des Dorfes auf eine Weide in die Nähe der abseits gelegenen Mühle bringen würden. Dort wären sie sicherer als in den Ställen und auch leichter von den Bauern zu versorgen.
Vormittag bis Nachmittag
Da Arendor vermutete, dass die Räuber bevor sie nach Anthara kamen, erst Brunerui überfielen, holte er einige junge Männer aus dem Dorf zusammen und ließ sie die Tiere auf die Wiese treiben. Sie sollten auch versuchen die Weide zu befestigen, da die Tiere sonst in den Erui rennen könnten. Damit waren sie bis in die späten Nachmittagsstunden beschäftigt.
Gegen Mittag kamen auch Menschen aus Brunerui, die in Angst ihr Dorf verließen. Sie hatten nur das nötigste mit und kamen zumeist auch zu Fuß. Arendor musste daraufhin erst einmal Wagen organisieren, die die Kinder und Frauen ebenfalls nach Fandasaf fahren konnten.
Erst da fiel Arendor auf, dass nur wenige alte Menschen dabei waren. Die Bauern aus Brunerui sagten, dass einige Alte ihr Dorf nicht verlassen wollten. Sie wollten, wenn sie schon sterben müssten, in dem Haus sterben, in dem sie auch geboren wurden. Arendor war entsetzt, denn er hatte die Toten in Undaria gesehen.
Gemeinsam mit einigen Männern, die leidlich mit dem Schwert umgehen konnten, schlichen sie sich Richtung Undaria. Doch sie kamen zu spät. Aus der Ferne sahen sie, wie das Dorf gerade überfallen wurde und schließlich die Häuser angezündet wurden. Sie konnten nichts mehr ausrichten. Arendor wollte sich näher schleichen, um mehr über die Gegner zu erfahren, doch die anderen Männer waren zu furchtsam und wollten nach Anthara zurück, wo sie sich sicherer fühlten. Notgedrungen fügte sich Arendor. So sah er auch nicht, dass sein Sohn bei den Räubern war.
In Anthara wurde sofort Alarm geschlagen und die Wagen der Frauen und Kinder weggeschickt. Die Männer aus Brunerui verteilte Arendor auf die drei Höfe, auf denen sie sich verschanzt hatten. Leider hatten sie keine Schwerter, sondern würden nur mit Mistgabeln und anderen Geräten kämpfen können. Immerhin waren sie nun fast siebzig Männer, wenn davon auch nur acht Männer tatsächlich Kampferfahrung hatten. Hauptsächlich fehlte es an Waffen, denn sie konnten nur elf Schwerter aufbringen.
Abend
Gespannt warteten die Männer auf die Räuber, doch sie sahen nichts außer die dicken Rußwolken, die der Wind in der schülen Hitze nach Anthara trug. Das erhoffte und abkühlende Gewitter blieb aus.
Die Spannung zerrte an den Nerven der Männer und Arendor hatte alle Mühe, sie zusammenzuhalten. Einige wollten fliehen, doch Arendor überzeugte sie, dass sie nur zusammen etwas ausrichten konnten. Ohne weitere Vorkommnisse endete der Tag.
Anarya, 28. Nárië 3016 DZ
Morgen
Die erhitzten Gemüter und auch die erhitzte Luft, hatte sich über Nacht wieder abgekühlt. Man hatte sie noch nicht angegriffen und das machte ihnen Mut. Während Arendor wieder die besonders furchtsamen Männer zum Tiere hüten und versorgen auf die Weide schickte, überprüfte er die aufgestellten Fallen auf den Höfen.
Vormittag bis Nachmittag
Drei der Soldaten, die in Anthara bei ihren Verwandten zu Besuch waren, boten sich an, sich nach Brunerui zu pirschen und die Bande auszuspionieren. Nach einigem Abwägen, ließ Arendor das zu. Zwar würde er im schlimmsten Fall drei seiner fähigsten Männer verlieren, doch im besten Fall würde er erfahren, um was für einen Gegner es sich handelte. Doch leider kamen die drei Männer zu spät nach Brunerui, denn Minalcars Männer waren schon weitergezogen. Trotzdem brachten sie einen Hoffnungsschimmer für Anthara mit: Sie waren in Richtung Dunthara abgezogen.
Arendor hatte am Vormittag auch noch ein aufmunterndes Gespräch mit Lendil, der ziemlich große Angst davor hatte, was ihm bevor stand. Arendor sprach ihm Mut zu und dass es wichtig war, dass er seinen Gegner fürchtete. Nichts konnte leichter zur Niederlage führen, als Übermut. Nachdem die gute Nachricht gekommen war, dass die Räuber Anthara vorerst nicht anzugreifen schienen, übte er am Nachmittag ein paar Stunden mit Lendil mit dem Schwert zu kämpfen. Arendor sah, dass in Lendil sehr viel Potential steckte, doch er brauchte viel mehr Übung. Am Ende brachte ihm Arendor sein zweites Schwert, welches er noch niemandem gegeben hatte. Damit würde sein Sohn eine gute Chance haben – zumindest eine bessere als mit seinem alten, schartigen Schwert.
Abend
Den Abend verbrachte Arendor über die Landkarte der Gegend gebeugt und überlegte, welche Ziele diese Räuber haben mochten. Es gab in Duntharas Umgebung durchaus noch andere Dörfer, doch lagen sie alle hinter Wäldern. Anthara lag jedoch in zwölf Meilen Entfernung und war trotz kleiner Wälder aus der Ferne sichtbar. Sie hatten auch die Häuser Duntharas am Nachmittag brennen sehen … Es war nur allzu wahrscheinlich, dass Anthara nun das nächste Ziel war, bevor sie sich von da nach Lindaria begeben würden.
Doch von seinen Überlegungen teilte Arendor den Männern in dieser Nacht nichts mit. Sollten sie noch eine halbwegs ruhige Nacht haben, bevor sie am nächsten Tag um ihr Leben kämpfen mussten.
Es war eine kurze Nacht für Arendor gewesen. Er sorgte sich um seine drei Kinder. Während seine beiden Söhne hier bei ihm lagen, war seine Tochter bei Leyron, der sich als ein Südländer herausgestellt hatte. Insgeheim wunderte sich Arendor, dass er das nicht selbst bemerkt hatte. Schließlich hatte er einige Jahre gegen Corsaren gekämpft. Aber diese waren zumeist von dunklerer Hautfarbe gewesen. Ob der Umgang mit einem Südländer für Aeluin das richtige war, konnte er nicht einschätzen. Die Aussage Faramirs war recht überraschend gekommen und Arendor hatte Leyron nach seinem bisherigen Verhalten eingeschätzt. Aber ein Südländer war nun einmal ein Südländer - und meist ein Feind Gondors.
Allerdings ahnte Arendor, dass seine Tochter ihr Herz an den jungen Mann verloren hatte. Was ihn nicht hindern würde einzuschreiten, wenn es sich tatsächlich um einen Feind handelte. Doch scheinbar hatte Leyron Aeluins Leben gerettet und deshalb musste er Leyron auch dankbar sein. Nun war er geteilter Meinung, ob es gut war, dass Aeluin die Nacht an seiner Seite verbrachte. Er selbst hatte noch gar nicht mit ihr sprechen können, weil alles drunter und drüber ging. Er hätte sie gern in seiner Nähe gehabt, allerdings befürchtete er, dass er ihr nicht ausreichend Aufmerksamkeit zuteil werden lassen könnte.
Denn Areros verbrachte ebenfalls eine anstrengende Nacht. Einige Stunden wurde er von Fieberträumen gebeutelt und erst mit der Hilfe des Heilers Erod, wurde Areros mit der Zeit wieder ruhiger und fiel in einen tiefen Schlaf. Arendor war sehr besorgt um seinen ältesten Sohn, der laut seiner Frau Aelandra ihm am ähnlichsten war - bis auf die Tatsache, dass er im Gegensatz zu Arendor absolut schüchtern gegenüber Frauen war. Immer wieder bat er seinen Sohn durchzuhalten. Er hielt seine Hand und strich ihm über die Stirn. Er betete zu den Valar und hoffte, dass etwas von seiner Kraft auf seinen Sohn überging.
Auch Lundor wurde von Alpträumen geplagt, was Arendor besorgt machte. Oft bemerkte er es erst zu spät und konnte ihn nur durch heftiges Schütteln zum Aufwachen bringen. Dann klammerte sich der junge Mann wie ein erschrockenes Kind an ihn und wimmerte leise. Mit verkrampften Herzen dachte Arendor darüber nach, was seinem Sohn alles angetan wurde und hilflos dachte er daran, dass ihm der Heermeister Boromir versagt hatte, dass er mit Lundor nach Minas Tirith reisen durfte. Es war eine schwere Nacht für Arendor.
Kurz nach Sonnenaufgang kam Leben in das Lager. Ein Soldat brachte ihm zwei Schwerter und einen Dolch, welche seinen Kindern gehören sollten. Das eine war eine gute Schmiedearbeit und sehr leicht - wie für eine Frau gemacht. Das andere war Areros Schwert, welches sich Arendor in Anthara angesehen hatte. Der Dolch hatte Aeluin in der Hand gehabt, als sie auf die Soldaten gestoßen waren. Arendor verstaute die Waffen, ebenso wie seine Waffen und seine Rüstung auf dem Wagen, der zu ihm gefahren wurde. Auf ihm sollte Areros transportiert werden.
Nun kam wohl der schwerster Teil: Er musste von Lundor Abschied nehmen. Der Junge war völlig verzweifelt und klammerte sich an seinen Vater. Er ließ kein Wort gelten und wandte sich schließlich tiefverletzt ab. Es brach Arendor fast das Herz seinen Sohn so zurückzulassen. Diros kam und versprach sich um Lundor zu kümmern. Dann wurde Areros auf den Wagen gehoben und Arendor passte auf, dass ihm dabei nicht zu viele Schmerzen zugefügt wurden.
Schließlich fuhr Arendor mit Aeluin und Areros weg. Besorgt schielte er zu Aeluin, die unendlich traurig zu sein schien. Doch da sie hinten bei Areros saß, war es ihm unmöglich mit Aeluin zu sprechen. Stattdessen fuhr er so schnell es ging nach Anthara. Dort berichtete er seiner Frau Aelandra alles und war froh, sie wenigstens für kurze Zeit an seiner Seite zu wissen. Sie gab ihm Kraft und unterstütze seinen Wunsch nach Minas Tirith zu fahren, um Lundor zu retten. Sie würde sich um Areros kümmern, der ihre ganze Kraft und Liebe brauchte. Als Arendor sagte, dass es möglich wäre, dass Areros stürbe, nickte sie ernst. Sie meinte jedoch, dass ihr Sohn seinem Vater glich - und dieser sei ein Kämpfer.
Dann trennten sie sich, denn Arendor musste die Reise nach Minas Tirith vorbereiten. Er suchte die beiden besten Wagen aus dem Dorf aus und die zuverlässigsten Pferde. Alle Dorfbewohner - ob aus Anthara, Dunthara, Undaria oder Brunderui halfen Arendor so gut sie konnten. Sie suchten auch diejenigen aus, die als Zeugen vor dem Truchsess aussagen sollten. Und sie hatten Verständnis, dass Arendor seinen Sohn Lendil und seinen Schwiegersohn Nirion mitnahm. Sie wussten um die schweren Schicksalsschläge, die Arendor, ihr Freund und Helfer, ertragen musste. Sie würden sich auch mit um den Hof kümmern, denn schließlich viele von ihnen ihren eigenen Hof verloren und waren froh über eine Aufgabe.
Aeluin mitzunehmen, war keine schwere Entscheidung. Sie musste dorthin - schon allein, weil sie als Zeugin aussagen musste. Sie hatte Lundor schließlich in der Truppe gesehen.
Kaum eine Stunde nach ihrer Ankunft in Anthara brachen sie schon wieder auf. Arendor saß selbst auf dem Kutschbock und trieb die Pferde an. Gedanken rasten ihm durch den Kopf und er gab Lendil, der neben ihm saß nur spärlich Auskunft über das Geschehene. Schließlich nahm seine Müdigkeit zu und er musste sich am Nachmittag auf den Wagen legen, um wenigstens etwas Schlaf nachzuholen.
Arendors Hoffnung, dass sie die Soldaten erreichten, erfüllte sich nicht. Doch er war so in Gedanken und Sorgen versunken, dass er in Erui vergaß nachzufragen, ob die Soldaten die Furt schon passiert hätten. So kam es, dass er sich und den anderen eine lange und gehetzte Reise zumutete. Allein die Pferde hatten Glück, da sie jeweils nur ein Drittel des Weges zurücklegen mussten.
Sie fuhren bis in den Abend hinein und legten eine weite Strecke zurück. Während die anderen totmüde schliefen, wurde Arendor von Alpträumen geplagt, in denen er sowohl Areros, als auch Lundor verlor. Er erreicht sie erst wieder, als sie schon in der Erde lagen. An den Gräbern stand Aelandra mit vorwurfsvollem Blick und sagte nichts.
Menelya, 1. Enderi 3016 DZ
Der Traum ließ Arendor auch am nächsten Tag kaum Zeit zum Ausruhen. Bald waren sie wieder auf der Straße und legten Meile um Meile zurück. Er hatte Aeluin gebeten bei ihm zu sitzen und mit der Zeit rückte sie mit den Details heraus, die sie erlebt hatte. Es bedrückte Arendor, was sein kleines Mädchen alles durchgestanden hatte und er hörte ihre Angst in ihrer Stimme. Doch auf dem Kutschbock war es unmöglich, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten.
Sie sprachen offen darüber, welches Schicksal Lundor blühen könnte und Arendor sagte, dass Denethor ein guter, aber auch strenger Herrscher war. Wahrscheinlich würde Lundor nicht ohne eine Strafe davon kommen, obwohl seine Seele schon genug gestraft war.
Schließlich sprachen sie auch über Leyron, denn Arendor hatte wohl gemerkt, wieviel seiner Tochter an dem Südländer lag. Arendor machte Aeluin wenig Hoffnung, zum Einen weil es wenig Hoffnung gab, zum anderen, weil er es besser fand, dass sie ihr Herz nicht zu sehr an einen Südländer hing. Trotzdem tat er Aeluin den Gefallen und überlegte gemeinsam mit ihr, was Leyron aus dem Gefängnis befreien könnte. Doch etwas wirklich Überzeugendes fiel ihnen nicht ein.
Da sie die Pferde auch an diesem Tage wechseln konnten, erreichten sie gegen Mitternacht Minas Tirith. Die Straßen waren schon in der Nähe der Hauptstadt nicht mehr menschenleer gewesen und sie kamen deutlich langsamer voran. In der ganzen Stadt herrschte Jubel und Heiterkeit, doch keiner der Menschen auf den beiden Pferdewagen, fiel in das Lachen ein. Ihre Gedanken schwirrten um ihre müden Knochen und um die Menschen, die in Lebenin waren oder besser gesagt, nicht mehr waren. Nach und nach setzte die Trauer um den Verlust ihrer Liebsten ein und nach Feiern war niemandem zumute.
Arendor lenkte den Wagen zu Anérions Haus, seinem Vaterhaus, das sehr groß war. Zwar war Anérion ein Adliger durch und durch, aber er warf den armen Bauern auch nicht die Tür vor der Nase zu, sondern nahm sie auf. Arendor sprach noch einige Stunden mit seinem Bruder und erzählte ihm alles, bis die Müdigkeit ihn zwang ins Bett zu gehen.