Am folgenden Morgen erwachte Thenar gut ausgeruht und bemerkte zufrieden, wie gelenkig sein Fuß schon wieder war. Frindol war ebenfalls mit dem Heilungsverlauf zufrieden.
Die Nachtwachen hat nichts bemerkenswertes zu berichten und so brachen die Soldaten und Waldläufer auch gleich nach einem kurzen Frühstück auf. Das drückende Wetter am Morgen ließ aufziehende Gewitter erahnen. Trotz der Schwüle, die im Laufe des Tages immer mehr zunahm, gaben die Heermeister gleich ein schnelles Tempo an .
Zur Mittagszeit erreichten sie Erui, wo die Männer und Pferde ausgiebig rasteten. Thenar hatte Möglichkeit, seinen Knöchel zu kühlen. Bei einem Gespräch mit Curon wollte er dessen Meinung zu Erchirions Verletzung wissen.
Die Heermeister unterrichteten sie vor ihrem Aufbruch über die neuesten Informationen; dann ging es zügig weiter. Bei der Furt des Erui überquerten sie den Fluss und Thenar beobachtete mit wachsendem Interesse und Unruhe die ihm fremde Umgebung. Er bereitete sich innerlich auf die bevorstehende Konfrontation vor.
Es ergaben sich einige kurze Wortwechsel mit Ardamir und Arcuen am Nachmittag, der sehr warm und drückend war. Die Soldaten in ihren Rüstungen schwitzten besonders. Thenar war nicht der Einzige, der vermehrt nach dem Wasserschlauch griff. Um sich abzulenken unterhielt sich der Waldläufer mit Curon über die jungen Soldaten in ihren Reihen.
Am frühen Abend zog dann endlich ein heftiges Gewitter auf und brachte ein wenig Abkühlung. Doch sie ritten an diesem Abend nicht weiter, sondern schlugen ihr Nachtlager bei einigen hochgewachsenen Büschen auf.
Nachdem Thenar sich umgezogen und seinen Knöchel versorgt hatte, saß er mit einigen Kameraden zusammen an dem kleinen Feuer, da er in dieser Nacht keine Wache zu schieben brauchte. Unter den Kameraden waren einige, die die Dörfer und einige Bewohner in dieser Gegend kannten. Sie alle waren sehr bedrückt und voller Unruhe. Thenar beteiligte sich nicht an den leise geführten Gesprächen; er versuchte, seiner inneren Anspannung Herr zu werden. Einige Kameraden schliefen schon, als der Waldläufer sich etwas abseits der Schläfer setzte und auf seiner Flöte zu spielen begann. Die ihm bekannte und eigenartig anmutende Melodie beruhigte den Waldläufer etwas und so konnte er sich auch zur Ruhe begeben.
Bei einem strahlend schönen Morgen machten sie sich so früh wie möglich in Richtung Süden auf den Weg zu dem Dorf, dass erst kürzlich überfallen worden war. Die Gegend war besiedelter als in Lossarnach und so warnten die Heermeister die Bevölkerung der kleinen Dörfer vor den Abtrünnigen. Schließlich begegneten sie einer Gruppe von Flüchtlingen, die sehr verängstigt und durcheinander wirkte. An ihrer Kleidung und den wenigen Habseligkeiten, die sie bei sich trugen, konnte man erkennen, dass sie querfeldein gelaufen und nur das Allernötigste hatten mitnehmen können. Thenar sprach einem etwa neunjährigen Jungen Mut zu, der ihn ängstlich gemustert hatte. Frindol versorgte die leichten Verletzungen der Flüchtlinge, während sie weitere Informationen von den Flüchtlingen erhielten. Thenar ging es wie vielen seiner Kameraden, die den Abtrünnigen nun schnellstmöglich ihr Handwerk legen wollten, doch mussten sie der Pferde wegen auch Pausen einlegen.
Als sie das am Vorabend überfallene Dorf erreichten, waren sie entsetzt über die Brutalität der Schurken. Ganze Familien waren ausgerottet und verbrannt worden, ohne irgendwelche Rücksicht. Einige wenige grausam entstellte Leichen verströmten einen ekligen süßlich riechenden Duft; die Körper begannen zu verwesen. Thenar half dabei, die Leichen auf einen Haufen zusammenzutragen, wo sie dann verbrannt wurden. Bei zwei Toten hielt er jedoch inne, denn es war ein Mann, der ein junges Mädchen in seinen Armen hielt., wahrscheinlich seine Tochter. Der Waldläufer dachte an seinen Sohn den er genauso liebevoll in den Armen gehalten hatte. Doch ihm war es nicht vergönnt gewesen, mit seinem Sohn zu sterben. Er drückte den Toten die Augen zu und trug ihre Körper zu den Anderen. Dabei verhärtete sich sein Innerstes und er nahm sich vor, genauso wenig Rücksicht bei den Schurken walten zu lassen.
Nachdem Heermeister Faramir einige Worte des Gedenkens hielt, bereiteten sie fast schweigend ihr Nachtlager. Kameraden hatten in der Nähe des Dorfes am Waldrand Spuren eines Lagers gefunden, wo die Abtrünnigen genächtigt hatten.
Schließlich begaben sich die Waldläufer und Soldaten bedrückt zur Ruhe, denn am nächsten Tag sollte die Jagd nach den Schurken so früh wie möglich beginnen. Es dauerte einige Zeit, bis Thenar den Anblick der beiden Toten aus seinem Gedächtnis bekam und endlich einschlief.
Thenar schlief einige Stunden tief und fest, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel. Kurze Szenen huschten in seinen Träumen vorbei und ließen ihn unruhig bewegen. Doch blieb nichts davon in seiner Erinnerung, bis die kälteste Stunde der Nacht vor dem Morgengrauen kam.
Klar und deutlich sah er in seinem Traum das dunkelhäutige Paar, was er schon aus seinen letzten Träumen kannte. ER ahnte, dass diese Beiden mit ihm zu tun hatten. Wieder ritten sie so geschwind wie der Wind auf einem schwarzen Pferd , das alles zu geben schien. Wieder hielt die Frau ein Bündel im Arm und schaute sich immer wieder ängstlich nach Verfolgern um.
Thenar wußte schon, dass es sich bei dem Bündel im Arm der Frau um ein Baby handelte. So überraschte es ihn nicht, als die Szene wechselte und die Frau das Baby unter Tränen und Küssen unter einen Strauch legte. Auch dem Mann standen Tränen in den Augen und er legte den Dolch und das Armband zu dem Kind, bevor er die Frau umarmte und zum Pferd drängte. Bei ihren Bewegungen entdeckte der Waldläufer aber etwas Neues: Beide Personen hatten auf der Innenseite ihres Handgelenks eine weiße Schlange als Zeichen.
Schon wieder wechselte die Szene: das Pferd mit dem Paar auf dem Rücken hetzte an einem Ufer entlang und wurde zunehmend von einer Gruppe Haradrim in Landestracht eingeholt. Bald gab es keinen Vorsprung und das Paar wurde eingekesselt. Unter Johlen wurde der Frau ein Krummschwert in die Brust gestoßen und dem Mann der Kopf abgeschlagen. Im gleichen Augenblick rief die entsetzte Stimme seines Sohnes Calmacil: „Vater!“
Der Waldläufer schreckte schweißgebadet auf, packte seinen Dolch und sprang auf die Füße. Verwirrt schaute er sich um und fand erst langsam in die Gegenwart zurück, wo die meisten Männer schliefen. Eine Wache kam zu ihm und fragte, was los sei, doch auf Thenars Erklärung, nur geträumt zu haben, verließ ihn die Wache bald wieder.
An Schlaf war nicht weiter zu denken und so grübelte Thenar bis die Männer aufwachten und sich zum Aufbruch rüsteten. Erfreut sein Pferd Centur wieder zu sehen, stieg er auf und reihte sich neben Beorn hinter den Heermeistern ein. Es kam nur zu einem kurzen Wortwechsel, Thenar war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Er war sich sicher, dass dieser Traum eine Bedeutung hatte, der er endlich auf den Grund gehen musste. Die weiße Schlange musste eine Bedeutung haben! Nach der Mittagsrast wurde Thenar die Bewachung der laufenden Gefangenen übertragen und seine Gedanken waren etwas abgelenkt. Curon tat ein übriges dazu bei, denn er unterhielt sich leise mit dem Waldläufer. Wie Thenar feststellte, wurde er argwöhnisch von einigen Gefangenen gemustert; es gab auch einige abfällige Bemerkungen , die der Waldläufer aber sofort unterband.
Gegen Abend erreichten sie die Stadt Erui und konnten sich entspannen. Die dort stationierten Soldaten übernahmen die Bewachung der Gefangenen. Thenar nutzte die Zeit, um sich – wie viele andere Kameraden auch – im Fluß zu reinigen und zu rasieren. Es war ein warmer , trockener Tag gewesen und so hatten die Männer ordentlich geschwitzt. Nach dem Bad stellte er zufrieden fest, dass die Schmerzen im Rücken erträglicher wurden und seinem Fuß der Ritt nur gut getan hatte.
Die Heiler legten auch bei ihm einen neuen Verband an und kümmerten sich um die Verletzten. Nach einem guten Abendmahl gesellten sich einige Soldaten aus Erui zu ihnen und Thenar blieb keine Möglichkeit, sich zurück zu ziehen. So saßen sie noch ein wenig zusammen, bis es Zeit zur Ruhe wurde. Fast fürchtete Thenar, den Traum abermals zu träumen, doch hatte er einen ruhigen und entspannten Schlaf.
Viele Leute waren auf der Straße unterwegs, denn der Mittjahrestag wurde gefeiert – nicht nur in der weißen Stadt, sondern überall im Land. Die Soldaten hatten ein besonderes Augenmerk auf die Gefangenen, damit sie die Unruhe nicht zu einer Flucht nutzen würden.
Thenar ritt diesmal bei den Wagen, die die Verletzten transportierten. Es ergab sich mit Arcuen ein Gespräch, dem es immer besser ging. Sie kamen auf Erchirion zu sprechen und überlegten, ob der Prinz bei den Feiern dabei sein würde. Der Nachmittag verging schleppend, wie Thenar fand. Durch die laufenden Gefangenen mussten sie sich an deren Tempo halten. Nicht wenige murrten wegen der Strapazen. Doch den Waldläufer bewegten immer noch die Gedanken an seinen Traum und die Bedeutung des Zeichens. Er überlegte, wie er an Besten seine Nachforschungen beginnen könnte.
Sie waren gegen Abend der weißen Stadt schon ziemlich nahe gekommen, doch mussten sie abermals ihr Lager aufschlagen, da die marschierenden Gefangenen zu erschöpft waren. Der Waldläufer übernahm die erste Nachtwache und genoss es , in der Kühle der Nacht die Sterne zu beobachten, während es im und um das Lager ruhig blieb. Nach seiner Ablösung schlief er noch einige Stunden bis zum Morgen und erwachte mit dem zufriedenen Gefühl, dass ihr Auftrag mit der Ankunft in Minas Tirith heute sein Ende fand.