Handir begrüßte Adriana strahlend. "Ah!,"rief er aus, "Darauf habe ich gewartet!" Sofort schenkte er sich von dem frischen Tee in einen kupfernen Becher ein und begann zu trinken.
"Ich wurde aufgehalten, sonst wäre ich vielleicht auch schon früher hier." erklärte sie lächelnd. Unsicher griff sie nach der hölzernen Stuhllehne der ihr am nahestehensten Sitzmögichkeit. Sie musste sich unbedingt um Arassuils Arbeitsauftrag herumdrücken ... Eigentlich war das wirklich nicht ihre Art, doch dies hier war eine Situation, in welcher sie sich noch nie zuvor befunden hatte. Natürlich hatte sie schon öfter Patienten gewaschen, das gehörte zu ihren ganz normalen Aufgaben als Auszubildene. Allerdings waren es bisher nur weibliche Personen gewesen, einen Mann hatte sie noch nie reinigen müssen. Und eigentlich war es Sitte, dass sich um jene männlichen Patienten auch männliche Heiler, (u.a. Auszubildene), kümmerten. Allein die Vorstellung sich dem männlichen Körper auf diese Weise annehmen zu müssen, trieb der jungen Frau nun wieder die Schamesröte ins Gesicht. Und das es sich dabei auch noch um Hador handelte verschlimmerte dieses zusätzlich um ein Vielfaches.
"Gibt es ncoh etwas?" fragte nun Handir, wobei er sie erwartungvoll ansah. Genussvoll nahm er einen weiteren, tiefen Schluck aus seinem Becher. "Ähm ... Ja ...," stammelte Adriana beschämt, "Ich ... Ich habe von Arassuil den Auftrag bekommen, einen der Soldaten zu waschen und gründlich zu reinigen. Aber das ... Das habe ich doch bisher nicht tun müssen! Könnt Ihr mir nicht eine andere Aufgabe zuteilen?" Hilflos und mit hochrotem Kopf wartete sie auf die Antwort des Kräutermeisters.
Handir musste über seine peinlich berührte Untergebene schmunzeln. "Nun eigentlich ...," antwortete er dann nach kurzem Überlegen, "Eigentlich ist das tatsächlich Aufgabe deiner männlichen Kollegen. Arassuil hat wohl vergessen, dass es sich bei dir um ein junges Mädchen handelt!" Handir grinste über den Rand des Bechers in seiner Hand hinweg.
"Bitte!," stammelte Adriana hilflos, "Ich ... Ich kann das wirklich nicht tun!" Flehend sah sie den Kräutermeister an, der sich offenbar über sie lustig machen wollte. Nun verändertes sich sein amüsierter Gesichtsausdruck jedoch. "Dann lauf` in den Aufenthaltsraum und sieh` nach, ob jemand von den Männern frei ist. Ich verstehe, wie du dich fühlst ..."
Gerade wollte er weiter fortfahren, als Adriana plötzlich einen zutiefst erstaunten Ausdruck auf seinem Gesicht fest machen konnte."Aber ... Aber was geht denn dort vor sich?!" rief er aus und die Heilerin tat es ihm gleich und wandte sich zum Fenster.
Aufgeschreckt durch den lauten Ausruf ihres Vorgesetzten wandte sich Adriana dem großen Fenster zu, welches auf den Vorplatz der Häuser der Heilung zeigte. Dort standen seltsamerweise mehrere Soldaten, die die junge Frau überhaupt nicht zuzuordnen vermochte. Ausserdem verwirrte sie die Sänfte, um die die Männer standen. War etwa ein neuer Patient angekommen?
Fragend sah sie zu Handir hinüber. Schon wollte sie nachhaken, als auf einmal ein dunkelhaariger Mann auf den Platz trat und sich umständlich in die Sänfte hineinhelfen ließ. Sekunden später setzte sich der seltsame Zug auch schon in Bewegung und war kurze Zeit später auch schon verschwunden. Handir starrte unterdessen nach draußen, wie als habe er soeben ein Gespenst gesehen.
Dann verfärbte sich sein Gesicht plötzlich in ein ungesundes dunkelrot und Adriana konnte förmlich seinen unterdrückten Zorn spüren, ohne jedoch zu wissen warum. Mühsam presste er schließlich hervor: "Warum verlässt Erchirion, Prinz von Dol Amroth, unser wichtigster Patient, unerlaubt das Gelände? Wer hat das veranlasst?"
"Ich ... Ich ..." stammelte Adriana wie von Donner gerührt. Das war Prinz Erchirion, den sie soeben noch in den Gärten aus der Ferne gesehen hatte? "Aber ich dachte Arassuil kümmert sich um ihn!" rief sie erstaunt aus. Sofort wandte sich Handir ihr ruckartig zu. "Wie bitte?" fragte er mit ungewohnt scharfer Stimmer nach. Die junge Heilerin nickte bestätigend."Ja, ich war gerade dabei, eure Kräuter zu pflücken, als ich ausversehen mit dem Bergmenschen Donar zusammenstieß. Wir tauschten kurz einige Höflichkeiten aus und dann trat Arassuil auf uns zu. Er übergab ihm einen Brief ... Er trug das Siegel des Truchsess. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube der Prinz, der ein wenig abseits stand, hielt auch einen solchen in der Hand. Aber ich kann mich auch irren ..."
"Nein, nein!," unterbrach der Kräutermeister sie hastig,"Das muss sofort geklärt werden! Lauf` schnell und hol` mir Arassuil herein! Sicher kann er diese mysteriöse Sache aufklären. Eile schnell!"