Der Truchsess trat mit langen Schritten in den Thronsaal ein und begrüßte einige der Ratsherren, die schon anwesend waren. Die Diener stellten Stühle für die Berater und den Bergmenschen bereit. Der Truchsess gab den Auftrag, einen besonders bequemen Stuhl zu holen. Dann sagte er zu den anderen, dass er seinen Neffen, den Prinzen von Dol Amroth hinzugebeten hatte. Nicht, weil er sehr viel Wert auf dessen Meinung legte, sondern mehr um ihn zu zeigen, wie der Truchsess Gondors regierte. Die Männer schmunzelten. Immer mehr trafen ein und bald fehlten nun noch die Gäste.
Ein Diener kam und sagte, dass Herr Elfhelm von Rohan um Einlass bat. Denethor nickte ihm zu und sagte, man sollte den Mann aus Rohan einlassen.
»Ich habe den Bergmenschen Donar um die dritte Stunde herbestellt«, sagte Denethor zu seinen Männern. »Falls noch Fragen sind oder noch etwas ohne dessen Anwesenheit geklärt werden sollte, so sprecht jetzt!«
Damit setzte er sich auf seinen steinernen Stuhl und blickte aufmerksam in die Runde.
Nun kam Elfhelm heran und Denethor sagte: »Willkommen Elfhelm.«
Es dauerte gar nicht lange, da hatte die Sänfte den Platz vor der Zitadelle erreicht. Der Weg von den Häusern der Heilung bis zu jenem Ort war auch nicht wirklich weit und schon half einer der Träger Erchirion herunter. Der junge Mann bedankte sich mit einem kurzen Nicken, bevor er langsam die wenigen Stufen in Richtung Thronsaal erklomm.
Die Wache an der Tür schien über sein Kommen informiert und sie machten keine Anstalten ihm den Weg zu versperren, sondern öffneten schweigend die große Tür, so dass der Prinz eintreten konnte.
Der Thronsaal erstreckte sich groß vor Erchirion. Er war lange nicht mehr hier gewesen und immer wieder erstaunte ihn dieses Bauwerk aufs Neue. Gerne hätte er sich wieder ein wenig Zeit genommen, um die Skulpturen und den Thron genauer zu betrachten. Doch die hohen Herren auf den Stühlen in der Mitte schienen bereits mit der Versammlung beginnen zu wollen.
Langsam trat Erchirion an den halben Stuhlkreis heran und deutete Denethor gegenüber eine leichte Verbeugung an. „Truchsess, vielen Dank für die Einladung. Nichts konnte mich an der Teilnahme hindern, denn es ist eine Ehre“, meinte der junge Mann, bevor er von einem Diener zu seinem Platz gewiesen wurde.
Dort ließ sich der Prinz nieder und erkannte sogleich, dass er einen anderen, weit bequemeren Stuhl hatte als die anderen Männern um ihn herum. Denethor hatte mit gedacht und Erchirion brauchte er sich darum schon einmal nicht mehr bemühen. Dem Diener gab er noch schnell den Brief, welchen Arassuil ihm mitgegeben hatte und welcher für Dagnir, Denethors Leibarzt, bestimmt war. Erchirion hatte aber keinen Schimmer, was in diesem geschrieben stand.
Nun ließ er den Blick schweifen. Einige der Männer kannte er vom Sehen, so zum Beispiel Cormen. Neben dem Prinzen saß ein Mann, welcher aus Rohan zu stammen schien. Dies musste Elfhelm sein, von welchem Denethor bereits gesprochen hat. Erchirion nickte dem älteren Mann kurz zu und sah sich schließlich noch die anderen Gesichter genauer an. Cormen, der Berater Denethors saß an des Truchsess Rechten. Wen Erchirion allerdings nicht ausmachen konnte war Dergolad. War er nicht geladen worden? Wahrscheinlich hatte der Waffenmeister von Dol Amroth noch so einiges in der Stadt zu erledigen und sein Erscheinen hier war nicht von Belang. Erchirion wusste es nicht, doch machte es ihn ein wenig traurig seinen alten Lehrmeister hier nicht an zu treffen. Des weiteren fiel ihm auf, dass er bei weitem der jüngste in der Runde war.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Donar war schnell zu seinem Zimmer geeilt, wo er die Soldaten, welche ihm ein weiteres mal sagten, dass er in den Thronsaal kommen sollte vorfand. Die Soldaten geleiteten ihn unverzüglich zu der Zitadelle, wobei Donar sich etwas beobachtet fühlte ... Fast wie ein Gefangener. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er hier anscheinend eher als Bedrohung als als Gast angesehen wurde. Aber er hatte ohnehin nicht (mehr) vor lange zu bleiben.
Schließlich waren sie bei dem Thronsaal angekommen und die Soldaten baten um Einlass. Die große Tür öffnete sich und vor dem Bergmensch tat sich jener große Saal auf, welchen er vor wenigen Tagen bereits gesehen hatte. Dies schmälerte aber nicht das erstaunen und bewundern Donars für die Baukunst der Gondorianer. Doch er bevorzugte lieber kleine Hütten aus Holz ...
Unsicher schritt er nun auf die versammelte Gruppe zu, welche sich um den Truchsess versammelt hatte.
Elfhelm betrat die Große Halle, nachdem er eingelassen worden war. Der Truchsess hieß ihn willkommen und Elfhelm erwiderte den Gruß:
"Guten Morgen, Herr!"
Er setzte sich zu den Beratern. Kurz nach ihm betrat ein jüngerer Mann die Halle. Er trat langsam heran und Elfhelm erkannte, dass der Mann unter seiner Kleidung an der Schulter einen Verband trug. Der Marschall vermutete, dass es sich um Erchirion, den Sohn des Fürsten von Dol Amroth handelte, der im Kampf von Orks verletzt worden war.
Erchirion setzte sich neben Elfhelm auf einen besonders gepolsterten Stuhl und nickte dem Marschall kurz zu. Unter den anderen Männern fiel er dadurch auf, dass er weitaus jünger war als alle anderen. Elfhelm schätzte ihn etwa so jung ein wie Éomer.
"Nicht zufällig wird diese Versammlung der 'Rat der Alten' genannt", dachte der Marschall.
Die Eingangstür öffnete sich und ein weiterer Teilnehmer betrat die Halle. Elfhelm sah aus seinen Augenwinkeln, dass es sich um einen der Bergmenschen handelte.
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"Elfhelm, führe deine Schar nach rechts, wenn wir an der Mauer vorbei sind."
Denethor nickte Erchirion nur freundlich zu und blickte dann in die Runde. Gerade wollte er das Wort ergreifen, als der Bergmensch schon eintrat, obwohl er erst eine Stunde später bestellt war. Der Truchsess wunderte sich, warum man in den letzten Tagen immer wieder seine Befehle missachtete. Aber im Moment ließ er es bei sich bewenden. Wer weiß, ob noch jemand hätte etwas sagen wollen. Aber Erchirion hätte er gern noch in die Details eingeweiht.
»Willkommen, Donar, Mensch aus dem Norden«, begrüßte ihn Denethor. Einer der Diener brachte unauffällig einen Stuhl, den er in die Mitte des Halbkreises stellte, den die Ratsmitglieder bildeten. »Setzt Euch! Wir sind hier versammelt, um Euer Anliegen zu besprechen. Wie ich sehe, seid Ihr verletzt. Wie kam es dazu?«
Zwar hatte der Truchsess schon eine Version der Geschichte gehört, aber er war sich nicht sicher, ob das auch stimmte. Der Truchsess würde auch auf den Ausflug der Männer Richtung Lebennin eingehen. Doch alles zu seiner Zeit.
Erchirion ging noch immer die Gesichter der Anwesenden durch, welche im Halbkreis saßen, als die Tür zum Thronsaal erneut aufging. Kurz machte sich Gemurmel unter den Anwesenden breit, doch dieser verebbte, als der Truchsess seine Stimme erhob und den Neuankömmling willkommen hieß.
Das muss diese Donar sein ..., dachte sich Erchirion. Ich habe ihn vorhin im Garten der Häuser der Heilung gesehen. Er kam mir schon dort fremd vor. Diese Gedanken gingen dem Prinzen durch den Kopf, während Donar in der Mitte des Kreises Platz nahm.
Zu gerne hätte Erchirion im Vorfeld mehr über die Bergmenschen erfahren, doch nun musste Donar erst einmal Denethors Frage beantworten. Der Prinz war sehr gespannt, was ihm bei dieser Besprechung noch erwartete und hoffte sehr, dass es irgendwann nicht langweilig wurde. Auch wollte er testen wie lange sein Körper dies hier schon durch hielt.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Wiederwillig setzte sich Donar auf den Stuhl in der Mitte. Das hier waren keine diplomatischen Verhandlungen sondern ein Verhör ... So kam es ihm zumindest vor. Alle starrten den Stammesführer an, einige Gesichter verrieten Misstrauen und Abneigungen. Sofort stellte der Truchsess, nachdem er ein zwei Worte der Begrüßung gesagt hatte eine Frage und Donar hatte schon eine Vorahnung, das es nur eine von vielen Heute sein würde.
›So sehen also Besprechungen in diesem Lande aus ... Einer gegen alle oder so! Als einziger muss ich in der Mitte sitzen, alle andern um mich herum um mich mit Fragen zu löchern. Aber da spiele ich nicht mit! Erst wird meinen Männern eine Ausgangssperre auferlegt und dann das hier ... So langsam reicht es hier! In meiner Heimat wäre man mit fremden Diplomaten ganz anders umgegangen; hier werden wir behandelt wie Gefangene!‹
Langsam begann er dann auf die Frage des Truchsesses zu antworten:
»Seid gegrüßt! Es erstaunt mich zu hören, dass Ihr noch nicht über meine Verletzung unterrichtet seid! Meine Wunde entstand durch einen Gewaltanwendung eine Betrunkenen Stadtbewohners! Er verletzte mich mit seinem Messer und randalierte in einer Schänke.«
Der Truchsess bemerkte wohl, dass dem Bergmenschen seine Behandlung mehr als misshagte, aber er gedachte nichts daran zu ändern. Zu viel hatten sich die Fremden in seinem Land herausgenommen und den Unmut des Herrschers geweckt.
Doch er war durchaus nicht gewillt, das dem Bergmenschen zu zeigen. Sein Blick war undurchdringlich wie immer und seine dunklen Augen blickten emotionslos zu Donar. »Das ist bedauerlich«, meinte der Truchsess und sagte nichts weiter zu dem Thema. Er hatte nicht vergessen, dass ein paar Soldaten einen der Bergmenschen gleich am ersten Tag verfolgt hatten, als dieser in ein fremdes Haus einbrach … Leider hatten die Soldaten es versäumt den Mann zu ergreifen.
»Vor einigen Tagen kamt Ihr mit einem Anliegen zu mir, Denethor, Ecthelions Sohn, Herr und Truchsess von Gondor. Ihr wünschtet, Handelsbeziehungen zu uns aufzubauen.
Erklärt mir bitte, wie Ihr Euch das vorstellt! Welche sicheren Wege gibt es zwischen unseren Ländern, die wir befahren können, um Güter auszutauschen? Durch welche Länder führen sie? Habt Ihr schon Freundschaft mit diesen Ländern geschlossen? Was wollt Ihr gegen die Menschen oder Herrscher unternehmen, die nicht gewillt sind uns durch ihre Länder ziehen zu lassen? Habt Ihr Zölle ausgehandelt?«
Der Truchsess stellte seine vielen Fragen ruhig, aber bestimmt. Er war sich recht sicher, dass der Bergmensch hier vor sich, sich mit keinem einzigen dieser Gedanken näher auseinander gesetzt hatte und sich der Schwierigkeiten einer solchen Handelsbeziehung bewusst war. Es wäre für ihn bedeutend einfacher gewesen, mit den Menschen in Anor Bünde einzugehen oder gar mit den Elben in Imladris, die ja noch dort lebten, wie der Elb Earendil gesagt hatte.
Gerne hätte der Truchsess nun den Elben hier gehabt, doch letztendlich würde er auch allein mit dem Bergmenschen und seinen illusorischen Wünschen fertig.
Elfhelm blickte abschätzend auf Donar, den Anführer der Bergmenschen. Als der Marschall vernahm, dass Donar bei einer Schlägerei verletzt wurde, dachte er:
"Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Wilde selbst daran schuld war, dass ihn ein Bewohner von Mundburg verletzt hat. Wer weiß, ob diese Fremden nicht auch selbst schuld waren, als sie Ärger mit den Dunländern hatten. Hätten wir sie nur nicht durchgelassen..."
Er brach seinen Gedankengang ab, als er hörte, wie der Truchsess Donar einige Fragen nach sicheren Wegen und Beziehungen zu anderen Völkern stellte.
"Für wahr, Herr Denethor ist sehr schlau!" dachte Elfhelm. "Mit uns hat der Wilde jedenfalls keine Freundschaft geschlossen. Und mit den Dunländern sowieso nicht. Jetzt bin ich mal auf Donars Antwort gespannt."
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"Elfhelm, führe deine Schar nach rechts, wenn wir an der Mauer vorbei sind."
Erchirion trank aus seinem Becher, welcher man ihm zwischenzeitlich gereicht hatte. Es war tatsächlich reiner Obstsaft. Ein verdünnter Wein wäre dem jungen Mann lieber gewesen, aber nun gut, dies zählte zu einer der Bedingungen, welche Arassuil ihm gestellt hatte.
Während er ein wenig auf dem gepolsterten Stuhl herum rutschte, um eine möglichst bequeme Sitzposition zu finden, lauschte der junge Prinz den Worten Denethors und selbstverständlich auch den Antworten Donars. Doch sie waren momentan eher ereignisloser Natur.
Erchirion starrte ein wenig auf den Boden und ließ dort seinen Blick schweifen. Die Fließen sind schön ... diese Verzierungen und Schraffuren ... in den Häusern der Heilung haben sie nicht ganz so schöne Fließen ... Ob Adriana diese schon einmal gesehen hat? Unwillkürlich musste der junge Mann an die junge, hübsche Heilerin denken, welche er eben vorhin im Garten gesehen hatte.
Adriana war ihr Name, ein wunderschönes Geschöpf. Sie ist so etwas wie ... Fleisch gewordene Träume? fragte sich Erchirion in Gedanken, total von dem hier und jetzt abgelenkt. Sein Gesicht hatte einen wenig verträumten Ausdruck angenommen.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Donar wusste nicht wie er die Worte des Truchsesses deuten sollte. Das dieser den Vorfall wirklich bedauerte glaubte er nicht, die Worte klangen vielmehr desinteressiert und abwertend, zumindest für den Bergmenschen.
›Dieses Land oder besser sein Herrscher scheint ziemlich arrogant gegenüber ausländischen Diplomaten zu sein! So etwas habe ich ja noch nicht erlebt ... Ich bin ja mal gespannt wo diese Unterredung noch hinführt, sicherlich werde ich unzählige Fragen beantworten müssen und mein Tun und Handeln genau darstellen! Aber so einen Verhör werde ich mir nicht bieten lassen! Ach wäre Eric bloß hier, der könnte mir gut helfen mit seiner Redegewandtheit und seinem diplomatischen Geschick!‹
Tatsächlich stellte der Truchsess nun viele Fragen, erfreulicherweise aber nur bezüglich Donars Anliegen. Dieser hatte sich zwar noch nicht viele Gedanken über Zölle, Handelswege und so weiter gemacht, da er sich immer sagte, dass er erst mal ein Land das für Verhandlungen geeignet war finden musste, doch hatte er etwa eine Vorstellung wie seine Vision realisierbar wäre. So holte er zu einer umfassenden Antwort aus:
»Nun Handelswege zu erschließen dürfte wohl kaum ein Problem sein ... Zum einen lassen sich Flüsse für den Warentransport nutzen, zum anderen denke ich das die wenigsten Länder etwas gegen die Beteiligung an einer Handelsroute hätten. Und ich bitte Euch, ich kann doch nicht mit Ländern über Handelswege und Straßen beraten, wo ich doch noch keinen Handelspartner habe! Doch geht es mir nicht schlicht um Handelsbeziehungen, über eine solch riesige Entfernung zwischen unseren Ländern wären diese ohnehin zum Scheitern verurteilt ... Nein mir geht es um das Sichern und Festigen einer Macht im Norden. Ich meine der Name dieses Gebietes ist Arnor; zurzeit streifen dort leider viele Gauner und bösartige Wesen umher, von denen Orks noch die am wenigsten schlimmen sind.
Ich bin In dieses, Euer Land gereist um darum zu bitten mein Volk aus der Isolation zu entlassen, in der es seit den großen Schlachten im Norden steht. Einst waren die gesamten Länder des Westens vereinigt diesen Zustand des Friedens wünsche ich wiederherstellen zu können. Besonders im Hinblick auf die wachsende Zahl der Feinde!«
Auf Denethors Gesicht erschien für einen Bruchteil eines Moments ein Lächeln, das jedoch sogleich wieder verschwand, so dass jeder der es bemerkt hatte, daran zweifelte, es gesehen zu haben. Der Truchsess, der bisher recht gerade gesessen hatte, lehnte sich leicht zurück, um eine bequemere Haltung anzunehmen. ›Die Landschaft Mittelerdes hat sich wohl verändert, seit die letzten Karten gezeichnet wurden …‹, dachte sich der Truchsess, ›denn mir war bisher unbekannt, dass es Flusswege gibt, die Arnor und Gondor verbinden. Der Anduin fließt nicht durch Arnor, sondern durch Rhovanion …‹ Doch über solche Kleinigkeiten wollte Denethor nicht sprechen.
»Nun Donar«, sprach nun wieder der Herrscher Gondors, »so hat sich scheinbar Euer Anliegen in den letzten Tagen geändert. Vor fünf Tagen wolltet Ihr mir noch helfen, das Reich Anor wieder aufzubauen. Als Gegenleistung wolltet Ihr, dass ich Eurem Stamm »vor allem durch Handel zu neuem Wohlstand« verhelfe. So waren Eure Worte. Mir scheint, dass Ihr erst heute Euer wahres Anliegen zum Ausdruck bringt!«
Denethor beugte sich wieder vor und erinnerte leicht an eine Spinne im Netz, die ihre Beute begutachtet, die sich in ihren Fängen befand.
»Ihr selbst wollt in Arnor ein Reich erstehen lassen und dort herrschen. Euer Ziel ist es, Euch mit Gondors Hilfe ein Reich zu unterwerfen und Euch auf einen Thron zu setzen, dessen Ihr nicht würdig seid.«
Nun stand Denethor auf. »Arnor wurde einst von Elendil dem Langen gegründet, der als einer der wenigen Númenorer dem Namenlosen widerstehen konnte und ihm nicht verfiel. Arnor ist das Schwesterland Gondors! Und mag es nun dort niemand mehr vom Herrschergeschlecht Elendils geben, so werde ich, Denethor, Ecthelions Sohn, der aus dem Hause Húrins stammt und in dessen Adern numenorisches Blut fließt, keinem Mann auf den Königsthron helfen, der aus dem Volke entstammt, das mit zum Untergang des Königreiches Arnor beigetragen hat, als es sich dem Hexenmeister von Angmar unterwarf.«
Herrschaftlich und weise stand Denethor nun vor dem Stuhl des Truchsess. Sein ganzes Wesen war númenorischer Art und man hätte ihn leicht für den König von Gondor halten können. Sein Gebaren und seine Stärke waren die eines Königs, doch war es wohl gerade die Entscheidung, sich nicht ein Amt anzumaßen, das ihm nicht zustand, welche ihn zu so einem klugen und umsichtigen Herrscher machten. Seinem Sohn Boromir gefiel das nicht, denn er hätte seinen Vater gern auf dem Königsthron Gondors gesehen. Denethor wusste jedoch, dass dieser Thron nicht ihm zu stand, sondern einem anderen. Einem mit königlichem Blut.
»Was glaubt Ihr Donar, wen Ihr vor Euch habt? Dachtet Ihr, dass Gondor genauso am Ende ist, wie Arnor? Das nichts von der Königlichkeit mehr übrig geblieben ist? In Gondor ist der König nicht vergessen und auch nicht die Geschichte des nördlichen und südlichen Königreiches. Wir vergessen nicht die Geschichte unseres Landes und ich bin gewiss nicht der Mann, den Ihr zu Euren Taten missbrauchen könnt.«
Donar fühlte sich mit jeder Sekunde unwohler. Dies lag an den vielen Männern, welche um ihn herum saßen und scheinbar eine Drohkulisse darstellen sollten, aber auch an dem seltsamen Verhalten des Herrschers. Als dieser dann auf den Bergmenschen antwortete, glaubte Donar sich verhört zu haben. War dieser Mann noch bei Sinnen?
›Solch alte Männer sollten keine Staatsgeschäfte mehr führen dürfen ... Obwohl eigentlich scheint er ja in guter körperlicher Verfassung zu sein! Trotzdem, sein Verstand ist wohl schon eingeschlafen, der muss ja wohl verrückt sein zu glauben, dass ich mich für fähig halte über Arnor zu herrschen! Ich möchte doch eigentlich nur meinem Volk helfen - und naja, den Einfluss meines Stammes ausweiten und die Bermenschen einen! Vielleicht mit mir an der Spitze, aber deshalb will ich doch nicht den Westen unterwerfen ... Dafür hätte ich ja noch nicht einmal die Mittel!‹
Natürlich war Donars Unterfangen nicht komplett uneigennützig, doch wollte er in erster Linie seinem Volk helfen. Was ihn aber richtig wütend machte war, dass der Truchsess seine Worte mit dem lange zurückliegenden Krieg zwischen Angmar und Arnor zu begründen versuchte. Einen Augenblick legte er sich seine Worte zurück, dann antwortete er:
»Verzeiht mein Herr, doch habt Ihr mich anscheinend missverstanden. In der Tat habe ich vor fünf Tagen gesagt, dass ich mit Euch das Interesse teile das Land Arnor neu auferstehen zu lassen und das unter Eurer Herrschaft. Heute trug ich dasselbe Anliegen vor, die Länder des Westens zu vereinen. Dies wollte ich mit Handel erreichen, dadurch werden neue Beziehungen begonnen und die Länder, Arnor miteingeschlossen wachsen zusammen. Auch Ihr solltet eigentlich wissen, dass es nicht nur eine Utopie sondern fast eine Zumutung ist, mir zu unterstellen, ich sei nur an der Ausweitung meiner Macht interessiert!
Wenn ich ein Interesse daran hätte über Arnor zu herrschen, dann wäre ich dort wohl schon lange mit meinen Männern einmarschiert! Ich finde es außerdem taurig, dass Ihr die Wunden der Vergangeheit erneut aufreißt ... Ich weiß nicht was sich in den Kriegen des Nordens zugetragen hat, wohl aber weiß ich, dass mein Volk seit diesen Kämpfen, welche schon viele hundert Jahre zurückliegen mit erheblichen Einschränkungen zu kämpfen hat, so möchte kaum ein Volk des Nordens mit uns Kontakt haben. Die Zahl der unseren schwindet von Jahr zu Jahr, eine Hungersnot folgt auf die nächste und immer wieder überfallen uns Orks und wilde Tiere ...
Ihr seht, ich bin ein mittelloser Mann. Meine Schar zählt dreißig Köpfe, mehr Krieger bestitzt mein Stamm auch nicht! Mit einer solch bescheidenden Truppe kann ich Euch schlecht den Rang ablaufen ... Ich komme zu Euch als Bittsteller, nicht als jemand der Forderungen stellt oder Euch gar erpressen und austricksen will! Versteht das doch ... «
Zwischenzeitlich musste sich Donar arg zurückhalten um seinen Frust nicht herauszuschreien. Er hatte ziemlich laut gesprochen, zum Ende aber besann er sich wieder darauf, dass er eigentlich diplomatische Beziehungen beginnen wollte. Doch anscheinend hatte der Truchsess daran ja kein Interesse, was den Bergmenschen arg verwunderte. Wer konnte es sich in solchen Zeiten schon erlauben ein Angebot wie Donars abzuschmettern? Oder lag dies einfach an dem Truchsess, welcher es als seine Aufgabe ansah die Bergmenschen schnellstmöglich wieder zu vertreiben? Was war das bloß für ein komisches Land mit einem noch seltsameren Herrscher?
Aufmerksam hörte Elfhelm dem Gespräch zwischen Denethor und Donar zu. Die Ausführungen des Bergmenschen über Flüsse als Handelswege fand er sehr befremdlich und verwirrend.
"An welchen Flüssen dachte er da? Jedenfalls an keinen, den ich kenne."
In Rohan wusste man über die Länder westlich des Nebelgebirges fast nichts. Bekannt waren den Rohirrim nur die Dunländer, mit denen es ab und an Ärger gab. Elfhelm hatte an den Tagen zuvor das Eine oder Andere über die Geschichte Arnors von dem ebenfalls anwesenden Anardil, dem Verwalter der Archive, vernommen. Daher konnte er den Ausführungen Denethors über das einstige Schwesterreich Gondors einigermaßen folgen.
"Das das Große Volk des Westens auch ein Reich im Norden hatte, war mir fürwahr neu", dachte Elfhelm. "Und wenn Donars Vorfahren an dessen Untergang beteiligt waren, verstehe ich die ablehnende Haltung des Herrn Denethor nur allzu gut."
Elfhelm war von Denethor ziemlich beeindruckt und musste sich eingestehen, dass der Herr von Gondor nicht weniger königlich wirkte als sein eigener Herr Théoden, ja man empfand vor diesem stolzen und schlauen Herrscher fast noch mehr Ehrfurcht als vor dem Herrn der Mark.
Tatsächlich hatte Denethor Donar so weit gebracht, dass der Bergmensch zugab, dass er eigentlich nichts zu bieten hatte, sondern als Bittsteller gekommen war.
"Wenn im Norden kein anderes Volk mit diesen Burschen Verbindungen aufnehmen möchte, wird das schon seinen Gründe haben", dachte Elfhelm. "Und nun erwartet dieser Donar tatsächlich, dass Herr Denethor ihm Hilfe in sein fernes Land schickt, wo doch jeder Mann hier zur Verteidigung gegen Mordor benötigt wird."
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"Elfhelm, führe deine Schar nach rechts, wenn wir an der Mauer vorbei sind."
Noch immer saß Erchirion schweigend auf seinem Stuhl und versuchte sich die wichtigen Staatsangelegenheiten, welche hier besprochen wurden, zu konzentrieren. Die Bergmenschen, Handelsrouten, Arnor, Bündnisse oder doch nur ein Bittsteller? Erchirion wusste nicht genau, was er von Donar halten sollte. Nein, er hegte keine Vorurteile gegenüber diesem Mann. Doch sie mussten vorsichtig sein.
Den gesunden Arm hatte Erchirion auf die gepolsterte Lehne des Stuhles gestützt, das Kinn leicht mit der Hand umschlossen, so als würde er nachdenken. Doch der junge Mann konnte sich einfach nicht konzentrieren, so sehr er es auch versuchte. Adrianas lieblicher Antlitz hüpfte vor seinem inneren Auge auf und ab. Dann war er mit seinen Gedanken in Dol Amroth, seiner Heimat und kurz darauf befand er sich in dem Kampf gegen die Orks und Uruk-Hai, welche ihn vor Tagen diese Verletzung zugefügt hatten. Seine Gedanken machten regelrechte Sprünge, ohne dass er sich auf das hier und jetzt konzentrieren konnte.
Wahrscheinlich lag es an der Verletzung, seiner allgemeinen Schwäche und den immer währenden Schmerzen in der Schulter. Dabei wollte Erchirion unbedingt hier teilnehmen, um endlich einmal raus zu kommen aus den Häusern der Heilung und ein wenig Abwechslung zu erleben. Erchirion war schon wieder ganz in Gedanken versunken, als er auf die reichlich verzierten Fließen am Boden starrte. „Wie viel die Fließen wohl gekostet haben ...“, meinte er schließlich, ohne zu merken, dass er das gerade tatsächlich laut ausgesprochen hatte.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Ohne eine Miene zu verziehen, hörte sich der Truchsess Gondors die Worte des Bergmenschen an. Er las in den Augen des Bergmenschen dessen Gefühle, die er versuchte zu unterdrücken und vor ihm zu verstecken. Doch es gab kaum einen Menschen, der seine Gefühle und wahren Gedanken vor Denethor verstecken konnte, der in den Herzen der Menschen zu lesen vermochte.
Doch hätten seinen Sohn Faramir die Worte des Bergmenschen vielleicht mitleidig gestimmt, so hatte Denethor hauptsächlich Verachtung für Donar und seine Probleme übrig. Gerade wollte Denethor zu einer Antwort ansetzen, als er die Worte seines Neffen Erchirion vernahm, der laut und deutlich, aber geistig abwesend gesprochen hatte.
Ein kurzer verärgerter Blick streifte ihn von Seiten Denethors. ›Scheinbar hat mein Neffe kein Interesse an dieser Verhandlung. Es war wohl ein Fehler ihn einzuladen‹, sagte sich Denethor. Jetzt war jedoch nicht der Moment mit ihm darüber zu sprechen oder ihn zurück in die Häuser der Heilung zu stecken. Denethor schaute noch einen Moment zu Dagnir, seinen Leibarzt, doch dieser schien Erchirions Benehmen nicht für gefährlich zu halten.
Nachdem er sich wieder auf seinen Thron gesetzt hatte, blickte Denethor den Bergmenschen eine Weile an, ohne etwas zu sagen. Während die Ratsherren nicht eine Miene verzogen, wurde die Stille dem Bergmenschen wohl doch etwas unangenehm. Schließlich erhob der Truchsess seine Stimme.
»Ich könnte Euch gern darüber aufklären, welche Vergehen die Bergmenschen in Arnor begangen haben! Es ist eine lange und niederträchtige Geschichte. Arnadil, einer meiner Ratsherren, könnte Euch jedes Ereignis noch mit der passenden Jahreszahl belegen. Doch hier ist nicht der Ort noch die Zeit Euch in Eurer Landesgeschichte zu unterrichten.«
Denethors Stimme hatte wieder seine gewohnte Strenge angenommen.
»Ihr seid nicht gerade ein weiser Führer Eures Volkes, wenn Ihr tatsächlich nur dreißig Krieger habt und mit allen bis ins weit entfernte Gondor reist, um utopische Pläne zu verfolgen. Was machen Eure Frauen, Kinder und Alten, wenn nun die Orks angreifen oder die Wölfe aus dem Gebirge kommen? Wer verteidigt sie?«
In Donars Augen konnte er die Antwort lesen und sie stimmte ihn noch weniger mitleidig. Was gingen ihn auch Nachfahren eines verräterischen Volkes an, die hunderte Meilen von ihm entfernt waren?
Doch noch einmal sprach Denethor, bevor der Bergmensch wieder zu Wort kam.
»Ihr habt Euch gewiss schon in Minas Tirith umgesehen, seit Ihr hier seid. Und gewiss ist Euer Blick auch nach Osten gegangen«, sagte Denethor und holte mit seinem Arm aus und zeigte nach Osten. »Vielleicht wisst Ihr auch nichts über die Geografie des Südens, doch lasst mich Euch sagen, dass hinter den schwarzen Bergen, dem Ephel Dúath das Land Mordor liegt, dessen Herrscher Gondor Jahr um Jahr mit unzähligen An- und Übergriffen in die Knie zu zwingen versucht. Täglich müssen meine Soldaten gegen Orks, Warge und andere Kreaturen des Dunklen Herrschers kämpfen.
Seht hier …«, Denethor wies auf Erchirion, der zum Glück gerade etwas anwesender aussah, » … das ist Erchirion, einer meiner Waldläufer, die im gefährlichsten Gebiet Gondors ihren Dienst tun. Erst vor wenigen Tagen hat er gegen Orks gekämpft und ist zum Glück mit dem Leben davon gekommen. Glaubt Ihr wirklich, dass ich nur einen einzigen Soldaten entbehren kann, um hoch im Norden ein Reich zu begründen, wo nur noch eine Handvoll Bergmenschen leben? Warum sollte ich über ein Land herrschen wollen, wenn es keine Menschen gibt, die dort leben wollen? Gondor ist groß genug, um allen seinen Bewohnern eine gute Heimat zu sein.«
Im Grunde genommen fragte sich der Truchsess, warum er dem Bergmenschen überhaupt solche Fragen stellte. Der Anführer dieses armseligen Haufens schien ihm doch viel zu weltfremd zu sein.
Donar hörte sich die ausufernde Rede des Truchsesses an, mit jedem Wort des Herrschers wuchs Donars Wut. Was bildete sich dieser alte Mann eigentlich ein? Der Bergmensch zumindest hörte in den Worten Denethors nur Verachtung, inzwischen war die Verhandlung fern jeglicher diplomatischer Interessen, es schien Donar als wolle der Truchsess ihn nur schnell loswerden.
Der Stammesführer spürte, wie sich in ihn auf einmal eine Leere ausbreitete, welche alle seine Vorstellungen verschlang. ER konnte nun wieder klarer sehen und sah ein, dass ein weiteres Gespräch, nein seine ganze Reise nach Gondors sinnlos war. Länger noch würde er sich das hier nicht mehr antun, doch in seiner Wut wollte er noch einige Worte loswerden und so begann er zu antworten:
»Nun es mag ja schön für Euch sein, dass Ihr den Feind trotzt. Doch worauf wollt Ihr damit hinaus? Aber im Grunde ist das egal. Euch interessiert mein Anliegen offensichtlich nicht, doch da Ihr auf Eurer Meinung schon so festgefahren seid und keine Kompromisse duldet, frage ich mich weshalb Ihr mich fünf Tage lang hier zappeln gelassen habt? Oder warum Ihr meine Männer wegsperrt, warum habt Ihr mich überhaupt empfangen? So wie es aussieht wollt Ihr mich eh nur loswerden!«
Donar war in Rage und er hatte kaum mehr Selbstkontrolle. ER sprach nun aus, worüber er schon lange sinniert hatte. Dann ging er ein paar Schritte auf den Truchsess zu und beantwortete für diesen seine eigenen Fragen:
»Ich weiß, was Eure Absicht war und ist! Ihr wollt mich bloßstellen, demütigen und aus der Stadt verjagen ... Von Anfang an hattet Ihr kein Interesse an diplomatischen Beziehungen, dass habe ich bitter erfahren! Jetzt habt Ihr Euer Ziel aber erreicht, ich gehe und zwar endgültig!«
Dann stapfte der Stammesführer ohne eine Antwort Denethors abzuwarten aus dem Thronsaal. Niemand hinderte ihn seltsamerweise daran, die Wachen wussten wohl nicht was sie tun sollten. Donar spürte die Blicke der Berater des Truchsesses hinter sich, doch fühlte er sich mit jedem Schritt mit dem er sich von den Gondorianern entfernte sicherer.
Schließlich stand er vor der großen Tür, welche von einer Wache, welche wohl nicht wusste was sie tun sollte geöffnet wurde. Bevor er aber aus dem Saal verschwand schrie Donar der Versammlung noch zu:
»Möge dieses Land genauso bluten wie das meine! Etwas anderes hat es nicht verdient!«
Dann machte sich der Stammesführer auf so schnell wie möglich zu verschwinden. So schnell es seine Wunde ihm erlaubte eilte er hinunter in den sechsten Stadtring, zu Eric und seinen anderen Männern. Als er dort angekommen war, war er schon ganz außer Atem. Er stieß die Tür auf und brüllte nur:
»Wir brechen auf! Sattelt die Pferde und lasst uns verschwinden! Aber schnell ... «
Zwar waren die Männer überrascht, doch waren die meisten folgsam und kramten sofort ihre Sachen zusammen. Donar wechselte kurz einige Worte mit Eric, welcher nur meinte:
»Was ist denn passiert? Wie kommt dein plötzlicher Sinneswandel?« Donar keuchte nur, dass er später ausführlich berichten werde, sie nun aber aus der Stadt verschwinden müssten. Bald waren alle fertig und die Krieger strömten in die nahen Ställe. Dort sattelten sie die Pferde und brachen auf.
Für Donars Geschmack dauerte es viel zu lange, bis die Männer aus der Stadt kamen. Der Vormittag war schon fortgeschritten, als sie endlich auf den Pellennorfeldern ankamen. Auf den Weg dorthin hatte der Stammesführer seine Leute über das Geschehen aufgeklärt, auch Freca hatte interessiert zugehört.
Der Weg aus der Stadt war zu Pferd beschwerlich gewesen, unter anderen mussten die Bermenschen durch einen von kaputten Eiern getränkten Tunnel, doch als sie außerhalb der Stadtmauern waren kamen sie zügig voran. Bereits gegen Mittag hatten sie den Rammas Echor passiert und wenige Tage später sollten sie Gondors Grenze überquert haben. Donar und die meisten anderen waren nur noch darauf fixiert nach Angmar zu kommen und dieses wenig ruhmreiche Kapitel Ihres Stammes hinter sich zu lassen.
Während Elfhelm noch den Worten Denethors und Donars zuhören wollte, merkte er, dass der neben ihm sitzende Erchirion eine seltsame Bemerkung über die Fliesen machte.
"Der junge Mann ist nicht bei der Sache", dachte Elfhelm, "oder er redet im Wundfieber."
Er blickte auf Erchirion. Der junge Mann war zweifellos nicht ganz gesund, aber gerade sah er eher gelangweilt und geistesabwesend aus.
Unterdessen hielt Denethor eine Rede, in der er die weltfremden Anliegen des Bergmenschen abwies. Elfhelm nickte zustimmend. Donar reagierte darauf recht wütend, erging sich in Beschimpfungen und verließ dann plötzlich den Thronsaal.
Nun konnte Elfhelm nicht mehr länger an sich halten.
"Was für ein schändliches Verhalten!" rief er. "Für wen hält sich dieser Wilde eigentlich? Das ist ja unerhört!"
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"Elfhelm, führe deine Schar nach rechts, wenn wir an der Mauer vorbei sind."
Erchirion registrierte erst, dass er die Worte mit den Fließen wohl laut ausgesprochen hatte, als es kurzzeitig still im Saal geworden war und fast sämtliche Augenpaare auf ihn gerichtet wurde. Als der Prinz zu seinem Onkel blickte, entging ihm auch nicht der scharfe Blick, welcher der Truchsess ihm zuwarf. Sofort wandte Erchirion seinen eigenen wieder zu Boden und wäre am liebsten in seinem Stuhl versunken.
Doch zum Glück sagte niemand etwas dazu und der Truchsess begann wieder mit dem Bergmenschen zu 'verhandeln', wenn man dies so nennen konnte. Erchirion selbst versuchte nun mehr bei der Sache zu bleiben und sich auf die Worte zu konzentrieren, welche hier gesprochen wurden. Doch er merkte auch, dass ihm das ganze ziemlich schwer fiel. Er war noch nie jemand gewesen, der große Worte auf Diplomatie hielt. Ein Schwert in der Hand war dem jungen Mann lieber.
Als er seinen Namen aus Denethors Mund hörte, zuckte er unweigerlich zusammen. Doch der Truchsess zeigte dem Bergmenschen nur auf, was seine Soldaten an den Grenzen dieses Landes zu leisten hatte und dass nicht immer alles glimpflich ausging. Er hatte Erchirion nur als ein Anschauungsobjekt verwendet. Der junge Prinz wusste nicht, ob er darauf stolz sein sollte, oder ob es ihn ärgerte. Schließlich war er verletzt aus diesem Kampf hervorgegangen und somit in seinem Stolz gekränkt worden.
Donars Reaktion auf die Worte des Truchsess verblüfften nicht nur ihn. Der Mann ging sogar soweit, dass er nach aufbrausenden Worten, welchen Erchirion dazu veranlassten sämtliche Muskeln in seinem Körper anzuspannen, mit raschen Schritten den Thronsaal verließ. Erchirion sah ihm nur mit offenem Mund hinterher.
Nach einer kurzen Zeit des Schweigens machte sich Gemurmel unter den anwesenden Männern breit und Elfhelm neben ihm tat seinen Unmut kund. Mit so einem Abgang hatte auch Erchirion nicht gerechnet. Vor allem die letzten Worte des Mannes brachten ihn ins Grübeln. »Möge dieses Land genauso bluten wie das meine! Etwas anderes hat es nicht verdient!« „War das eben ein Kriegserklärung? War das eine Kriegserklärung gegen Gondor?“ warf er seine Frage einfach in den Raum. „Lächerlich ...“, kam es dann noch mit einem abfälligen kurzen Lachen aus seinem Mund. Dieser Mann hatte schließlich verlauten lassen, dass sie nur sehr wenige Männer in ihrem 'Heer' besaßen. So ein Land konnte Gondor nicht das Wasser reichen.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Der Truchsess saß ganz ruhig auf seinem steinernen Stuhl, während der Bergmensch seine Hassreden führte. Sein Blick verriet nichts darüber, was er im Augenblick dachte. Dabei wechselten seine Gedanken von Sekunde zu Sekunde. Zuerst dachte er verächtlich, wie dumm Donar war. Er sah nicht ein, dass es für Gondor nicht den geringsten Zweck erfüllte, den Bergmenschen zu helfen. ›Vielleicht ist ihm auch schmerzlich bewusst geworden, dass er sein eigenes Völkchen schmählich im Stich gelassen hat. Von ihm mag gar nichts mehr übrig sein, denn wer verteidigt sie gegen die Überfälle der Orks?‹
Dann wieder war Denethor äußerst amüsiert, als ihm Starrsinnigkeit vorgeworfen wurde und ein heimliches Vergnügen, Bergmenschen in seinen Fängen zappeln zu lassen. ›Ach du armseliger Bergmensch. Ein Truchsess von Gondor hat wichtigeres zu tun, als unwichtige Bergmenschen in Gondor festzuhalten, damit diese sich ärgern. Was sollte mir das nutzen, wenn du dich grün und blau ärgerst?‹
Doch langsam wuchs auch Denethors Wut über so ein ungebührliches Verhalten. So mochten sich die Wilden im Norden aufführen, wenn sie unter ihresgleichen waren, aber niemand sprach so mit dem Truchsess von Gondor! Der Bergmensch hatte sogar Glück, dass er von allein ging, denn Denethor war nahe, sein Schwert zu ziehen und den Bergmenschen zu einem Kampf herauszufordern.
Als Donar den langen Thronsaal entlang lief, gab Denethor seinen Dienern mit seinem Kopf einen Wink, dass sie ihn gehen lassen sollten. Über Donars wilden Worte zum Schluss lächlete Denethor innerlich nur abfällig und zog eine Augenbraue hoch. Er hielt nichts von Verfluchungen. Sie machten ihm keine Angst.
Ein Getuschel machte sich unter den Ratsherren breit und neben Elfhelm und Erchirion riefen auch andere laut ihre Empörung aus.
»Hauptmann Aratan«, wandte sich Denethor an einen sehr erfahrenen Hauptmann. »Nehmt Euch zwanzig Eurer Männer. Begleitet die Bergmenschen aus der Stadt und aus dem Land Gondor. Ihr tragt dafür Sorge, dass sie nichts in diesem Lande tun können. Weder mit einem Menschen sprechen, noch meinem Volk irgendetwas antun. Wenn Ihr scheitert, dann werde ich meine Wut über diesen Bergmenschen an Euch ausleben!«
»Ich werde nicht scheitern!«, rief der Hauptmann mit tiefer, entschlossener Stimme. Aratan verbeugte sich und eilte aus dem Thronsaal.
Denethor wandte sich an Elfhelm: »Ich kann Euch nichts befehlen, doch wenn Ihr meinen Rat hören wollt, Elfhelm: Schickt Théoden einen Boten. Lasst auch Ihr die Bergmenschen nicht unbehelligt durch Euer Land ziehen. Sie sind zu harmlos, um unseren Ländern zu schaden …«Denethors Blick wanderte bei diesen Worten zu Erchirion, »… selbst mein Neffe könnte sie in seinem Zustand noch wie eine Fliege zerquetschen …« Was natürlich eine Übertreibung war, doch Denethor wollte damit klar machen, dass er die Bergmenschen nicht fürchtete, »… Aber ich für meinen Teil habe nicht das Bedürfnis einen von ihrem Volk noch einmal in meinem Land zu sehen. Vielleicht geht es Rohan da ähnlich.«
Nach Elfhelm äußerten auch Erchirion und andere Anwesende ihren Unmut über Donar. Denethor schickte einen Trupp Soldaten hinterher und sprach dann zu Elfhelm.
Nachdem der Truchsess geendet hatte, antwortete Elfhelm:
"Ich werde Euren Rat beherzigen, Herr, und einen meiner Männer nach Edoras schicken, auf dass er dort berichte, was sich hier zugetragen hat und wie unverschämt das Benehmen dieses Anführers war. Sollten die Bergmenschen in unser Land kommen, dann werden wir sie nur zur Pforte von Rohan durchziehen lassen, damit sie ihre Heimat zurückkehren und uns nicht weiter behelligen.
Mit Eurer Erlaubnis würde ich mich gerne sofort darum kümmern. Oder gibt es hier noch etwas zu beraten?"
So ganz konnte Erchirion nicht verstehen, warum Denethor es diesem Wilden einfach erlaubte ohne ein weiteres Wort die Halle zu verlassen. Aber wahrscheinlich steckte der junge Prinz einfach zu wenig in solch politischen Angelegenheiten drin, als dass er es verstehen könnte. Einzig und allein blieb ihm hier übrig den Kopf zu schütteln. Über Denethors und Donars Verhalten.
Nun handelte der Truchsess allerdings weise, indem er einige Soldaten hinter den Bergmenschen her schickte, um sicher zu gehen, dass diese wirklich ohne weitere Verzögerungen das Land verließen. Weitere Unruhen konnte man sich in einer solchen Zeit nicht leisten. Es reichten diese Abtrünnigen, welche in Süd-Gondor für Aufsehen und Tote sorgten. Noch dazu die immer währende Gefahr aus dem Osten.
Elfhelm war einverstanden einen seiner Männer zurück nach Rohan zu schicken. Gerne würde Erchirion dieses Land auch einmal besuchen. Bisher hatte er allerdings noch nicht die Gelegenheit dazu gehabt. Irgendwann ... nahm er sich vor. Doch erstmal wollte er nach Hause nach Dol Amroth, denn er vermisste diese Stadt am Meer und die Landschaft von Belfalas.
Der Rohirrim fragte auch, ob die Versammlung hiermit aufgelöst sei. "Irgendwie hat das hier weniger lang gedauert, als ich befürchtet hatte", murmelte der junge Mann. Vielleicht bekam er nun schneller die Gelegenheit diese Adriana kennen zu lernen. Ein schönes Mädchen, wie er fand. Das machte sogar den Aufenthalt in den Häusern der Heilung ein wenig angenehmer. Auch wenn er es beim 'Ansehen' und ein paar netten Worten belassen würde. Denn auf Ärger mit diesen Hador war er wahrlich nicht aus. Zumindest sah Erchirion es in diesem Augenblick zu. Doch hatte er Adriana auch noch gar nicht kennengelernt ...
Fragend sah Erchirion nun zu seinem Onkel, in der Hoffnung, dass dieser die Versammlung für beendet erklärte. Schließlich hatte das Problem, welches sie hier zusammen sitzen ließ, eben die Stadt verlassen. Und Elfelm schien es ebenfalls zu seinen Männern zu drängen. "Ich denke das war's, oder?" stellte der junge Mann deshalb ebenfalls eine Frage in den Raum.
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Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter gehen ...
Denethor nickte Elfhelm zu. »Ja, gewiss. Geht ruhig. Die Versammlung ist zu Ende.«
Der Truchsess blickte dem Rohir hinterher, der mit langen Schritten den Thronsaal verließ. Er nickte anschließend seinen Beratern zu, dass auch diese sich zurück ziehen können. Dann wandte er sich an seinen Neffen Erchirion.
»Erchirion«, sagte er ruhig, »Wenn du noch nicht zu müde bist, würde ich gern noch ein paar Worte mit dir wechseln. Vielleicht gehen wir nach draußen zur Brüstung?«
Dort würde man sie nicht belauschen können. Außerdem war selbst Denethor froh dann und wann nach draußen zu kommen, um frische Luft zu schnappen. Und der Truchsess mochte den Hof des Siebten Stadtringes. Schon als kleiner Junge hatte er sich gern dort aufgehalten.
Der Rohirrim verließ als erstes die große Halle. Natürlich wollte er sofort dafür Sorgen, dass der König von Rohan über das schändliche Treiben dieser Bergmenschen erfuhr. Nachdem auch die anderen Ratsmitglieder mit einem Kopfnicken Seitens des Truchsess von der Versammlung entlassen wurden, erhob sich auch Erchirion aus seinem gepolsterten Stuhl und leerte den Krug noch schnell, welchen er in der Hand hielt.
Als die Worte seines Onkels an sein Ohr drangen, schaute der Prinz überrascht auf. „Sehr gerne“, erwiderte Erchirion mit einem Kopfnicken. Schließlich sollte frische Luft auch munter machen. Und der junge Mann war schon sehr lange nicht mehr an der Brüstung des siebten Stadtringes gewesen. Was er wohl bereden möchte? ..., fragte sich Erchirion im Stillen. Vielleicht wollte Denethor die Abreise seines Neffen nach Dol Amroth planen. Erchirion hoffte ein paar Wochen in seiner Heimat bleiben zu dürfen, um auch seinen Pflichten als Sohn und Bruder wahr nehmen zu können.